Donnerstag, 02. Mai 2024

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EU-Gipfel in Wien zur Beschäftigungspolitik

Remme: In Wien treffen sich heute die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union. Am Ende der österreichischen Ratspräsidentschaft hat Bundeskanzler Viktor Klima in die Hofburg geladen, wohl froh, die anstehenden Probleme und Entscheidungen in andere Hände legen zu dürfen: in die Gerhard Schröders. Der neue deutsche Bundeskanzler hat gerade in der Europapolitik klargemacht, daß mit dem Machtwechsel in Bonn ein neuer Wind gen Brüssel weht. Die Deutschen als Zahlmeister, der Rest als Nutznießer, diese Rollenverteilung will Schröder beenden. Und auch die Tonlage klingt eine Spur aggressiver: O-Ton Schröder: Und für diese Position gibt es - ich sage das in aller Freundschaft - eine ganz einfache Erklärung, und die heißt: Mehr als die Hälfte der Beiträge, die in Europa verbraten werden, zahlen die Deutschen. Eine solche Politik läßt sich aus anderen Hauptstädten leicht fordern, aber realisieren läßt sie sich nicht mehr. Das muß ich sehr deutlich sagen.

11.12.1998
    Remme: Eine zweite bittere Pille fügt er gleich hinzu, wohlweißlich mit der Anmerkung, wer dafür verantwortlich ist: O-Ton Schröder: Es war ein Fehler, daß der deutsche Bundeskanzler nach Polen gefahren ist - ich sage das in allem Respekt vor den Wünschen der Polen - und ihnen gesagt hat, im Jahr 2000 seid ihr in der EU. Niemand kann das sicherstellen, und wenn das so ist, gehört es zur Redlichkeit im Umgang mit den Partnern in der Welt, in Europa, daß man sagt was wahr ist und nicht versucht, aus welchen Gründen auch immer Unsinn zu verbreiten.

    Remme: Bundeskanzler Gerhard Schröder; in wenigen Tagen übernimmt er die EU-Ratspräsidentschaft. - Die zukünftige Europapolitik ist zwischen Regierung und Opposition heftig umstritten. Am Telefon ist Ingrid Matthäus-Maier, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD. Guten Morgen!

    Matthäus-Maier: Guten Morgen Herr Remme!

    Remme: Frau Matthäus-Maier, deutsche Gelder werden in Brüssel verbraten. Ist das der Ton, auf den wir uns einstellen müssen?

    Matthäus-Maier: Was den Ton angeht hat jeder seinen unterschiedlichen Stil. Aber richtig ist - und ich sage das seit vielen Jahren -, daß wir nach der deutschen Einheit im Vergleich zu den anderen Ländern einfach zu viel zahlen. Nach der deutschen Einheit sind wir in der Wohlstands-Rangskala der Länder im Durchschnitt nach unten gerutscht, und deswegen halte ich es für richtig und beklage das seit Jahren, daß wir sagen, netto müssen die Deutschen weniger zahlen als bisher. Sie sagten am Anfang, Schröder hätte gesagt, Zahlmeister Deutschland, der Rest als Nutznießer. Das hat er nicht gesagt, und das stimmt auch nicht, denn wir Deutschen sind auch Nutznießer davon. Wir exportieren in die EU und so weiter. Trotzdem bleibt aber, daß wir im Vergleich zu anderen wohlhabenden Ländern schlicht und einfach einen zu hohen Nettobeitrag zahlen, und da müssen wir versuchen herunterzukommen.

    Remme: Bleiben wir noch beim Stil. Ist dieser der Sache förderlich? Hat sich Gerhard Schröder im Ton vergriffen?

    Matthäus-Maier: Nein, das hat er ganz sicher nicht. Ich sage, jeder hat seinen unterschiedlichen Stil. Darüber kann man diskutieren, aber das ist gar nicht das Thema. Das Thema ist, daß die alte Bundesregierung und übrigens viele Leute in den Medien, darf ich das einmal so sagen, seit Jahren dieses Thema heruntergespielt haben. Ich selber bin engagierte Europäerin, habe wie viele wissen sehr engagiert für den Euro und seine Einführung gefochten, gleichzeitig aber gesagt, wir zahlen zu viel. Sobald man das sagte, war man Antieuropäer und tat nicht genug für Europa. Das muß aufhören. Man kann für Europa sein; ich bin sehr dafür. Frieden, Freizügigkeit, Wohlstand sind in den letzten 50 Jahren ganz entscheidend durch die europäische Einigung hervorgerufen worden. Man kann aber trotzdem sagen, unsere deutschen Interessen in Sachen zahlen müssen jetzt besser vertreten werden.

    Remme: Wie denken Sie läßt sich diese Kürzung der deutschen Beiträge gegenfinanzieren? Wo ist Sparpotential oder wer soll mehr zahlen, denn diese beiden Möglichkeiten gibt es wohl nur?

    Matthäus-Maier: Es gibt mehrere Möglichkeiten, und da kann man sich an solch einem Morgen nicht festlegen, denn wir müssen mit diesen mehreren Alternativen in die Debatte gehen. Die eine Möglichkeit ist: Es gibt Länder, die haben ungerechtfertigte Vorteile. Ich war vorige Woche gerade in London, und dort ist es so, Frau Thatcher hat einen Rabatt durchgefochten, und die Engländer halten es für absolut selbstverständlich, daß sie diesen Rabatt behalten. Das ist nicht selbstverständlich. - Die Spanier profitieren von einem sogenannten Kohäsionsfonds. Der war eingerichtet worden, damit Länder, die noch nicht reif waren für die Europäische Union, durch Hilfen der EU herangeführt werden. Spanien ist so weit, beharrt aber voll und ganz auf den Geldern aus dem sogenannten Kohäsionsfonds. Das zum Beispiel halte ich beides nicht für machbar. Ob es gelingt, das zurückzuführen, das ist eine ganz andere Frage. Unser Problem ist, dort gilt das Einstimmigkeitsprinzip. Aber versuchen und deutlich machen, unterstützt durch den deutschen Bundestag, muß man das schon. Dann wird eine Obergrenze diskutiert, daß nicht mehr als so und so viel Prozent bezahlt wird. Das hat zum Beispiel auch schon im letzten Jahr Waigel vorgeschlagen. Eine weitere Möglichkeit ist, daß ein Teil der Finanzen für die Agrarpolitik in die Länder zurückverlagert wird, weil natürlich über die Hälfte des EU-Haushaltes in die Agrarpolitik geht. Wenn ich das zurückverlagere, kann man dadurch auch Geld sparen. Das heißt, es gibt mehrere Möglichkeiten. Es ist furchtbar kompliziert und schwierig.

    Remme: Aber Sie sagen, daß die Erleichterungen für Deutschland, die notwendig sind, zu Lasten der Länder gehen können, die Sie genannt haben?

    Matthäus-Maier: Zum Beispiel, oder aber generell durch die Umstrukturierung der Agrarpolitik. Eines ist klar: Wenn jemand netto weniger bezahlt, dann wird es andere geben, die netto mehr zahlen. Ich nenne ein weiteres Beispiel: Luxemburg, Belgien, Dänemark sind Nettoempfänger, obwohl deren Pro-Kopf-Wohlstand höher ist als in Deutschland.

    Remme: Nun bemängeln die Kritiker der SPD, Frau Matthäus-Maier, daß von konkreten Einzelheiten keine Spur ist. Sie sagen, Sie wollen weniger zahlen und natürlich muß das ein Ergebnis von Verhandlungen sein, aber es muß doch auch gefragt werden können, wo hat denn die SPD Erwartungen was konkrete Einsparungen betrifft?

    Matthäus-Maier: Entschuldigen Sie, was ich gerade genannt habe, die verschiedenen Möglichkeiten, das ist sehr konkret.

    Remme: Ich meinte eher das, was die Summen angeht?

    Matthäus-Maier: Schauen Sie, da wäre man ja wirklich verrückt, vor der deutschen Ratspräsidentschaft sich konkret festzulegen. Das würde ja nun gerade auch die anderen Partnerländer mit Protesten hervorrufen. Das ist ja so ähnlich wie bei den Tarifverhandlungen. Da geht man hinein, und am Schluß kommt ein Kompromiß heraus. Wenn ich aber der anderen Seite schon sage, ich erwarte so und so viele Milliarden, dann wissen die, worauf sie sich einstellen müssen und dann muß ich die andere Seite herunterhandeln. Nein, das ist völlig korrekt.

    Remme: Sie sind doch Finanzexpertin. In Ihrer Position haben Sie mit den Milliarden geradezu jongliert, und man hatte oft den Eindruck, da ist jemand der genau weiß, wo etwas fehlt und wo es herkommen soll. Jetzt keine Zahlen. Was braucht denn die Bundesrepublik?

    Matthäus-Maier: Die Bundesrepublik muß herunter davon, daß sie unterm Strich 22 Milliarden D-Mark zahlt. Auf mehr kann man sich vorher nicht festlegen. Das ist aber schon konkret genug. Da wird immer noch weniger herauskommen, als wir jetzt alle gehofft haben, weil wie gesagt das Einstimmigkeitsprinzip herrscht. Übrigens hat ja auch die Kommission einen Bericht gemacht, worin die verschiedenen Möglichkeiten ja aufgelistet sind. Ich finde, das ist konkret genug was die verschiedenen Wege angeht. Wichtig ist nur, daß am Schluß etwas dabei herauskommt. Das ist ein ganz hartes Stück Arbeit. Darum muß man Schröder und die Kollegen nicht beneiden. Das muß aber her, und ich sage Ihnen: In Edinburgh wurde das damals beschlossen. Bei internationalen Verträgen kann man nicht einzelne Paragraphen ändern; da kann man nur ja oder nein sagen. Da haben wir natürlich nicht nein gesagt. Aber von dem Tag an haben wir das kritisiert, und deswegen muß jetzt einmal Schluß sein mit dieser Einseitigkeit. Das sage ich als jemand, der sehr für Europa ist, aber auch für gerechte Zahlungen.

    Remme: Vielen Dank. Das war Ingrid Matthäus-Maier, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD. Mitgehört hat Elmar Brok von der CDU. Er sitzt im Europäischen Parlament, ist außenpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion. Guten Morgen Herr Brok!

    Brok: Guten Morgen!

    Remme: Die Opposition im Bundestag erhebt massive Vorwürfe gegen die neue Bundesregierung. Sie verspiele dort Kapital von Jahrzehnten. Ist das nicht ein paar Nummern zu groß?

    Brok: Wir müssen sehen, daß das ja nicht nur mit der Finanzordnung der Fall ist, sondern auch manche außenpolitischen Aussagen betrifft. Wenn man sich vorstellt, daß am letzten Wochenende Großbritannien und Frankreich einen Vorschlag zur revolutionären Fortentwicklung der gemeinsamen Verteidigungspolitik vorgelegt haben, dann ist das die erste wesentliche europapolitische Initiative der letzten 40 Jahre, die nicht eine deutsche Unterschrift hat, und es wird bewußt gesagt, daß hier ein gewisses Mißtrauen auch gegenüber der deutschen Politik vorhanden ist.

    Remme: Das heißt Sie stimmen diesen Vorwürfen, die aus der Opposition kommen, zu?

    Brok: Ja, ich stimme dem zu, weil in der Tat die Tonlage und der Zustand des Eindruckerweckens, daß man hier bestimmte neue Ansätze findet, völlig falsch sind. Und wenn ich mir vor Augen halte, daß man dieser Finanzordnung, die man jetzt kritisiert hat, 1992 zugestimmt hat, wenn ich mir vor Augen halte, daß die Reduzierung des deutschen Nettobeitrages schon lange von der alten Bundesregierung diskutiert worden ist, daß die EU-Kommission die Vorschläge zur möglichen Reduzierung des deutschen Beitrages ja auf Bitten der Bundesregierung vorgelegt hat, dann meine ich, dann sollte man auf dieser Ebene weiterarbeiten, um dann zu einer Verbesserung zu kommen, als so tun, als würde man mit dem Donnerschlage die neue Situation erreichen, obwohl die entsprechenden Vorbereitungen schon durch die alte Bundesregierung erfolgt sind. Man soll darüber hinaus auch zum Ausdruck bringen, wir sind nicht der größte Nettozahler. Der größte Nettozahler pro Kopf der Bevölkerung ist beispielsweise die Niederlande. Wir müssen zum Ausdruck bringen, daß wir in diesem Jahr einen Handelsbilanzüberschuß mit den anderen 14 EU-Staaten haben, der mehr als fünfmal so hoch ist wie der deutsche Nettobeitrag zum EU-Haushalt. Die ganze Wahrheit muß auf den Tisch, um auf diese Art und Weise gegenüber der Bevölkerung und unseren Partnern eine wirklich vernünftige Konstellation für Verhandlungen zu haben.

    Remme: Herr Brok, Sie sitzen im Europäischen Parlament. In den vergangenen Wochen verging kaum ein Tag, wo nicht über geradezu kriminell leichtfertigen Umgang mit öffentlichen Geldern seitens der EU-Kommission berichtet wird. Trotzdem hat der Haushaltskontrollausschuß gestern einer Entlastung der Kommission zugestimmt. Kann es Sie denn wundern, daß Brüssel immer noch als Selbstbedienungsladen angesehen wird?

    Brok: Ich bin der Auffassung, daß die Entlastung in diesem Gesichtspunkt nicht erfolgt. Die deutschen Sozialdemokraten haben der Entlastung zugestimmt; die Christdemokraten haben dem nicht zugestimmt. Wir müssen weiterhin sagen, daß 80 Prozent der europäischen Mittel, die nicht ordnungsgemäß verwandt werden, nicht von der EU-Kommission veruntreut werden, sondern daß hier vieles in den Mitgliedstaaten und den Regionen schiefläuft. Sie müssen sich einmal die Rechnungshofberichte der Bundesländer oder der Bundesrepublik Deutschland in dieser Frage ansehen. Dort sind 80 Prozent der Fälle vor Ort zu klären, und es kann nicht allein die europäische Ebene damit gebrandmarkt werden.

    Remme: Abschließende Frage, Herr Brok: Hat Helmut Kohl sich etwas vorzuwerfen? Der Vorwurf von Gerhard Schröder lautet ja, er hat den Polen zu viel versprochen.

    Brok: Er hat nicht gesagt, im Jahr 2000 soll Polen Mitglied werden, sondern er hat vor etlichen Jahren gesagt, um das Jahr 2000. Das war seine Formulierung in Warschau. Um das Jahr 2000 soll Polen Mitglied der Europäischen Union werden, und das gilt nach wie vor. Die Verhandlungen haben begonnen, und wir haben heute als Zielsetzung das Jahr 2003. Dieses ist so von der Bundesregierung verfolgt worden. Dies war der Plan, als die Verhandlungen im vergangenen Jahr konkret begannen, und man soll nicht mit einer solchen Propaganda auf Ängste der Bevölkerung eingehen. Hier ist die Frage der Versöhnung auch nach Osten zu wichtig, als daß dieses populistisch in solche Sprüche gekleidet werden darf.

    Remme: Vielen Dank. Das war Elmar Brok von der CDU, Mitglied des Europäischen Parlaments und außenpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion.