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EU-Gipfel
Treffen der Minimalkompromisse

Brexit, Migration, Cybersicherheit und Zukunft der Euro-Zone - die Staats-und Regierungschefs mussten sich durch eine Vielzahl umstrittener Themen kämpfen. Doch trotz geringer Fortschritte war die Stimmung in Brüssel besser, als es die Ergebnisse vermuten ließen.

Von Paul Vorreiter | 19.10.2018
    Europäische Spitzenpolitiker im Gespräch, darunter Bundeskanzlerin Merkel, Österreichs Bundeskanzler Kurz, der französische Präsident Macron und EU-Kommissionspräsident Juncker
    "Und warum? Weil Italien halt Italien ist." Beim Treffen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel meldete sich auch Kommissionspräsident Juncker gewohnt launisch zu Wort. (POOL)
    Brexit, Migration, Cybersicherheit und Zukunft der Euro-Zone: Es war ein vielfältiges Tableau an Themen, das die Staats- und Regierungschefs bei ihrem zweitätigen Gipfel durchgearbeitet haben. Das offizielle Ergebnis war eine sechsseitige Gipfelerklärung. Aber es kam nicht immer nur auf das Geschriebene an, erinnerte EU-Ratspräsident Donald Tusk, gefragt nach dem Stand der Brexit-Verhandlungen:
    "What I feel today is that we are closer to the final solutions and the deal. It may be a more emotional impression than a rational one, but emotions matter, also in politics."
    Auch in der Politik kommt es auf Emotionen an
    Es komme nicht nur auf den Verstand, sondern auch auf Emotionen an, sagte Tusk. Und so spüre er, dass man sich näher an einer Lösung für den Brexit befindet. Aber von konkreten neuen Vorschlägen war auf dem Gipfel wenig zu hören. Die britische Premierministerin Theresa May nahm die Idee einer längeren Übergangsphase für Großbritannien nach dem Brexit zur Kenntnis und hält sich die Option offen. Beide Seiten glauben daran, die Verhandlungen noch erfolgreich zu Ende zu führen. So, dass ein Austrittsabkommen steht, rechtzeitig vor dem geplanten Brexit im März 2019.
    Weil die Verhandlungen auf der Stelle treten, wollen die EU-27 aber noch keinen Brexit-Gipfel im November einberufen, es jedoch tun, sobald genügend Annäherung besteht. Annäherung – auf die warten manche der 28 EU-Staats- und Regierungschefs bereits seit Jahren, wenn es darum geht, verpflichtende Quoten zur Aufnahme von Flüchtlingen durchzusetzen.
    Merkel kritisiert Vorstoß von Österreichs Kanzler Kurz
    Auf dem Gipfel hat die österreichische Ratspräsidentschaft versucht, den Konflikt mit einem alternativen Konzept zu lösen. Bundeskanzler Sebastian Kurz machte sich vor seinen Rats-Kollegen für das Prinzip einer "verpflichtenden Solidarität" stark. Das heißt, nicht länger auf einer Verteilung beharren. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, sollen sich anderweitig engagieren. Zum Beispiel mit mehr Geld. Manche Länder wollen diesen Weg nicht gehen. Zu ihnen zählt auch Deutschland:
    "Ich glaube, dass wir es uns damit noch ein bisschen zu einfach machen. Es ist zu befürchten, dass alle EU-Staaten lieber Geld zahlen, als Flüchtlinge aufzunehmen. Dann würden Hauptankunftsländer in der EU in Krisensituationen wieder 'alleine gelassen'."
    Und so blieb es in der Erklärung weitgehend bei den bekannten Minimalkompromissen. Die Staats- und Regierungschefs sprechen sich für ein stärkeres Vorgehen gegen Schmuggler aus. Migranten sollen von Anfang an davon abgehalten werden, sich auf den Weg nach Europa zu machen. Dafür wollen die EU27-Teilnehmer stärker mit nordafrikanischen Ländern kooperieren. Von sogenannten "Ausschiffungsplattformen", in die Bootsflüchtlinge in Nordafrika zurückgebracht werden, ist nichts zu lesen.
    Zur Reform der Euro-Zone hatte der Gipfel zwar ohnehin keine Beschlüsse geplant, doch die Diskussion darüber ist umso brisanter geworden, seit sich ein Streit um den neuen italienischen Haushalt anbahnt. EU-Kommissionspräsident Juncker sagte, seine Behörde vorverurteile die Vorschläge aus Rom zwar nicht, zöge aber auch Grenzen:
    "Ich weiß, dass in der Vergangenheit immer gesagt wurde, die Kommission sei zu großzügig gewesen, als es um italienische Haushalte ging, und ich kann ihnen sagen, dass Italien alle Möglichkeiten der Dehnbarkeit der Stabilitätsregeln genutzt hat. Und warum? Weil Italien halt Italien ist."
    Sanktionen für die Verbreitung von Fake-News?
    Bei den Plänen, die Bankenunion zu vollenden, soll es beim kommenden EU-Gipfel im Dezember neue Impulse geben. Die Euro-Finanzminister sollen bis dahin Vorschläge erarbeiten. Die Staats- und Regierungschefs sprachen sich außerdem dafür aus, Cyberangriffe stärker zu bekämpfen. Sie verurteilten die Cyberangriffe gegen die Organisation für das Verbot chemischer Waffen in den Niederlanden, hinter denen Russland vermutet wird.
    Die europäischen Regierungen wollen sich gerade mit Blick auf die Europawahl besser gegen Fake-News oder Desinformationen wappnen. Parteien sollen bestraft werden, wenn sie gezielte falsche Informationen streuen. Denkbar sind geringere Zuwendungen zum Beispiel für die Fraktionen im Europaparlament:
    "Als Parteichefin der CDU sage ich: Ja, das kann alle Parteien treffen, auch wenn ich sicher bin, dass das die CDU nicht treffen wird", scherzte Kanzlerin Merkel.
    Im Anschluss an den EU-Gipfel begann am Abend der zwölfte Asien-Europa-Gipfel. Dabei ging es unter anderem um eine stärkere Zusammenarbeit in Wirtschafts- und Finanzfragen. Von dem Jahr dürfte vor allem ein Zeichen für einen geordneten Multilateralismus in Handelsfragen ausgehen.