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EU-Hilfsprogramm endet
Von deutscher Strenge und griechischem Leid

Fast ein Jahrzehnt lang hielt Griechenlands Finanzdrama Europa in Atem. Der Zusammenbruch des Euros oder ein Austritt aus der Gemeinschaftswährung schien denkbar. Nach strikten Sparprogrammen und Krediten in Milliardenhöhe - vor allem aus Deutschland - muss das Land ab dem 20. August wieder selbst zurechtkommen.

Von Theo Geers und Michael Lehmann | 16.08.2018
    Die Fahne Griechenlands weht in Athen neben der Fahne EU.
    Für die EU gilt Griechenland als gerettet (imago stock&people)
    So schön kann eine Krise beginnen: Das Wasser im Hafenbecken der kleinen Insel Kastelorizo leuchtend Türkis. Und leuchtend Lila die Krawatte des damaligen griechischen Regierungschefs. Am 23. April 2010 verkündete Giorgos Papandreou hier, am südöstlichsten Rand Griechenlands, dass sein Land ohne Hilfskredite der europäischen Partner keine Chance mehr hat. Das hatte sich im Herbst 2009 schon angedeutet.
    Es war der Beginn von Finanzkontrollen und Reformen für Griechenland. Geldgeber konnten von diesen Wochen an Bedingungen stellen und kontrollieren, ob Griechenland die dann auch erfüllt. Dafür gab es Hilfen: Im Mai 2010 kaufte die Europäische Zentralbank griechische Staatsanleihen in Höhe von 25 Milliarden Euro auf. Gleichzeitig stieg die Mehrwertsteuer. Beamtengehälter wurden gekürzt. Später noch vieles mehr.
    Wut und tiefe Sorge bei den Rentnern
    Es gab laute und deutliche Gegenwehr. Jede Woche demonstrierten Zigtausende Griechinnen und Griechen auf Straßen und Plätzen in Athen, in Thessaloniki und in vielen anderen Städten. Meistens blieb es friedlich, aber später wurde es manchmal auch aggressiv.
    Athen: Rentner protestieren gegen Sparpläne
    Athen: Rentner protestieren gegen Sparpläne (dpa, picture alliance, Yannis Kolesidis)
    Viele Griechen - auch die nicht Gewaltbereiten - waren frustriert, weil von den Hilfsgeldern bei ihnen persönlich nichts ankam. Im Gegenteil: Je mehr Hilfe das Land von außen bekam, desto tiefer schien der Staat seinen eigenen Bürgern in die Taschen greifen zu müssen. Wut, aber auch vor allem tiefe Sorge empfanden viele Rentner wie die 73jährige Despina Tsilali aus Athen:
    "Ich habe wirklich Angst, ich habe kein Geld. Ich sorge mich aber nicht um mich, sondern vor allem um meine Kinder, weil die im Moment keinerlei Arbeit haben."
    Jugendarbeitslosigkeit von mehr als 60 Prozent
    Als Antonis Samaras, der Chef der konservativen Nea Demokratia, 2012 im zweiten Anlauf einen Regierungsauftrag bekam, wandte er sich auch an die Menschen, die ihn nicht gewählt hatten und versprach allen Bürgern, das Land besser und effektiver umzubauen:
    "Es ist wirklich ein traumatisiertes Land. Mit einer sehr problematischen sozialen Lage. Deshalb müssen wir jetzt kräftig daran arbeiten, die Ergebnisse zu erreichen, die nötig sind. Damit die Leute wieder lachen können und Hoffnung bekommen."
    Doch Hoffnung konnte Samaras nur zu Beginn seiner Amtszeit verbreiten. Vor allem stürzte die Wirtschaft weiter und noch tiefer in die Krise. Die Arbeitslosigkeit stieg auf hohe zweistellige Werte – unter Jugendlichen auf mehr als 60 Prozent. Dazu die gefährliche Grexit-Debatte, denn ein Rausschmiss Griechenlands aus der Euro-Zone stand unmittelbar bevor. Viele Politiker nutzten den Grexit auch als eine Art Gespenst, das immer dann im großen Fenster mit Blick nach Brüssel erschien, wenn das Volk im eigenen Land nicht brav sein wollte.
    Tsipras hat den Spar- und Reformkurs voller Härte durchgesetzt
    Das griechische Volk bekam als Lohn fürs Zähne-Zusammenbeißen gefühlt rein gar nichts zurück: Armenküchen, Medikamentenspenden, Enteignungen und fehlende Job-Perspektiven beherrschten stattdessen die Schlagzeilen. Alexis Tsipras, der Anführer des Linksbündnisses Syriza, erschien da manchen Griechen geradezu als Messias – Tsipras füllte im Wahlkampf 2015 auch große Plätze:
    "Wir besiegen die Furcht. Heute eröffnen wir die Straße zur Hoffnung. Wir tun das mit großer Geschlossenheit und mit großem Stolz. Für ein Griechenland mit sozialer Gerechtigkeit und mit Wohlstand. Wir werden ein gleichberechtigtes Mitglied Europas sein, das sich verändert. In einem Europa der Menschen und der Solidarität. Wir sind optimistisch, dass uns die Zukunft gehört und wir werden gewinnen."
    Griechenland gilt als gerettet
    Auch Konservative wählten Tsipras im Jahr 2015 zum neuen Regierungschef – ein Experiment oder auch die letzte Chance für die einen. Ein gefährliches Wagnis, eine programmierte Entgleisung für die anderen.
    Syriza-Chef Alexis Tsipras bei der Ankunft auf der Siegesfeier seiner Partei in Athen
    Syriza-Chef Alexis Tsipras bei der Ankunft auf der Siegesfeier seiner Partei in Athen (AFP / ANGELOS TZORTZINIS)
    Das Lächeln, das aus dem Blitzlichtgewitter zu seiner Vereidigung aus Athen um die Welt zog – dieses Lächeln hat Tsipras nie abgelegt. Innerlich hat er sich aus Sicht der weiter links stehenden Kritiker in der eigenen Partei extrem gewandelt. Er habe als linker Politiker den Spar- und Reformkurs härter durchgesetzt als es jeder Konservative je getan hätte, heißt es. Tsipras habe dafür Dutzende Wahlversprechen gebrochen, empört sich dieser Rentner:
    "Die linke Regierung hat uns verarscht, unser Leben wurde in Fetzen gerissen. Wir können nicht mal unseren Kindern helfen. Wir sind mit einer ehrwürdigen Pension in den Ruhestand gegangen und haben geglaubt, davon auch gut leben zu können. Aber leider will die Regierung, dass wir möglichst früher sterben."
    Alexis Tsipras im Umfragetief – seit langem schon weiß er, dass ihm nicht mal mehr ein Fünftel der Wahlberechtigten ihre Stimmen geben würden. Im September 2019 wird gewählt.
    In Europa und Brüssel aber bleibt Tsipras ein recht verlässlicher Partner. Am 20. August läuft das dritte Hilfspaket für Griechenland aus. Das Land gilt offiziell als gerettet. Im Moment ist das jedenfalls so.
    Mit frisierten Zahlen in die Währungsunion
    Deutschland traf der Ausbruch der Griechenlandkrise vor gut acht Jahren völlig unvorbereitet. Griechenland war im Jahr 2001 nur aufgrund geschönter Statistiken in die Währungsunion gekommen. Nun ein Haushaltsdefizit, das nicht 3,7 Prozent, sondern plötzlich 12 bis 13 Prozent betrug. Griechenland hatte damit seine Euro-Partner wieder mit frisierten Zahlen getäuscht. Deshalb kostete es Überwindung, jetzt dem Land mit einer Finanzspritze unter die Arme zu greifen. Euro-Staaten wie Deutschland waren damals zudem selbst durch die Finanzkrise schwer getroffen, hatten bereits mit hohen Milliarden-Beträgen Banken gerettet.
    In dieser Situation drohte auch noch eine Staatspleite in Griechenland. Finanzminister Wolfgang Schäuble musste viel Überzeugungsarbeit leisten, um eine kritische Öffentlichkeit, vor allem aber die Bundestagsabgeordneten aus dem eigenen Unionslager, für die unpopuläre Rettungsaktion zu gewinnen.
    "Es geht ja nicht darum, dass wir Steuergelder zur Verfügung stellen. Wir haften nur mit Steuergeldern. Es sind Kreditlinien, bis zu denen Griechenland diese Kredite in Anspruch nehmen kann und unter der Bedingung, dass Griechenland sein ungewöhnlich hartes Sanierungsprogramm umsetzt."
    1. Hilfspaket: 22,4 Milliarden Euro
    Der deutsche Anteil für das erste Hilfspaket lag bei 22,4 Milliarden Euro. Ein zweiter Grundsatz sollte die Griechenland-Debatten hierzulande für die nächsten Jahre prägen: Keine Leistung ohne Gegenleistung, Geld fließt nur gegen Reformen, versicherte Schäuble:
    "Das Programm wird mit bisher einer beispiellosen Strenge alle drei Monate von den europäischen Institutionen überprüft. Und bei der ersten Abweichung werden sofort Konsequenzen gezogen."
    Dabei blieb es. Griechenland erhielt das Geld aus den Hilfspaketen immer nur in Tranchen ausgezahlt. Vor jeder Auszahlung prüfen Experten der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalen Währungsfonds IWF, ob die griechische Regierung die vereinbarten Spar- und Reformauflagen auch umgesetzt hat. Erst wenn die Troika grünes Licht gab, floss das Geld nach Athen.
    2. Hilfspaket: 144,5 Milliarden Euro
    Doch in Deutschland wuchsen mit jeder Milliarde mehr für Griechenland auch die Zweifel, ob das Land die Kredite je würde zurückzahlen können. Denn schon 2011, also ein Jahr nach dem ersten Hilfspaket, wurde klar, dass Griechenland noch ein zweites Hilfspaket benötigt. Die Verhandlungen darüber zogen sich über Monate hin. 144,5 Milliarden Euro war es schließlich schwer. Das Vertrauen in Griechenland erreichte jetzt einen Tiefpunkt. Auch an den Finanzmärkten war man skeptisch, ob die Länder der Eurozone in der Lage sind, das Griechenland-Problem zu lösen. In dieser angespannten Situation leistete sich Schäuble im fernen Singapur einen Versprecher, der tief blicken ließ:
    "I think there will no ….– it will not happen that there will be a Staatsbankrott in Greece."
    Scheitert Griechenland, scheitert auch die Eurozone
    Damals, im Oktober 2012, war dies ein Satz von ungeheurer Tragweite. Der wichtigste Finanzminister der Eurozone, der Minister, dessen Land bei allen Rettungsprogrammen das meiste Geld gab und dessen Stimme deshalb auch das größte Gewicht hat, hat sich faktisch festgelegt: Es werde keine Staatspleite in Griechenland geben. Denn scheitert Griechenland, scheitert auch die Eurozone. Dann aber wären die Folgen noch schlimmer.
    "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa – und das darf nicht passieren."
    Angela Merkel hat dies seit Ausbruch der Krise mehrfach wiederholt. Es ist ein Bekenntnis zur Solidarität auch mit Krisenländern wie Griechenland. Dabei blieb die deutsche Bundeskanzlerin, obwohl es immer lauter rumorte in CDU und CSU. Auch die Zahl der Abweichler, die im Bundestag gegen die Hilfsmaßnahmen stimmten, stieg von Mal zu Mal.
    "Schauen sich Tsipras an, schauen Sie sich Varoufakis an: Würden sie von denen einen Gebrauchtwagen kaufen? Wenn die Antwort darauf 'Nein' ist, dann stimmen sie mit auch Nein heute. Das Elend wird weiter gehen, die nächsten Milliardenzahlungen stehen an. Wir werden uns über ein Volumen von 30 bis 40 Milliarden unterhalten mit Blick auf Juni und es wird kein Ende nehmen."
    Klaus-Peter Willsch (CDU) war von Anfang an gegen die Hilfsprogramme für Griechenland und fühlte sich Ende Februar 2015 bestätigt. Wieder musste der Bundestag Geld für Griechenland freigeben, wieder bangte die Bundesregierung um eine Mehrheit. Denn zwei Monate vorher hatte sich die Lage erneut dramatisch zugespitzt.
    Ende 2014 lief das zweite Griechenlandpaket, nur die letzte Tranche stand noch aus. Doch wieder hatte Griechenland nicht alle Zusagen gegenüber seinen Geldgebern erfüllt. Damit nicht genug: Wegen der im Land selbst verhassten Reformen kam es zu Neuwahlen, die das Linksbündnis Syriza gewinnt. Alexis Tsipras wird neuer Premier in Griechenland, Yanis Varoufakis Finanzminister und damit neuer Gegenspieler von Wolfgang Schäuble.
    Showdown zwischen Schäuble und Varoufakis
    Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und sein griechischer Amtskollege Yanis Varoufakis
    Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und sein griechischer Amtskollege Yanis Varoufakis (dpa / picture alliance / Kay Nietfeld)
    Beide werden schnell zu Lieblingsfeinden. Anfang Februar 2015, beim Antrittsbesuch von Varoufakis in Berlin, kam es zum Showdown: Schäuble beharrte auf Einhaltung des Sparkurses, mahnte weitere Reformen an. Varoufakis wollte das Gegenteil, er forderte für die neue Regierung mehr Luft zum Atmen, sprich mehr Zeit und auch mehr Geld. Schäuble versuchte, den tiefen Graben diplomatisch zu kaschieren:
    "Was wir jetzt tun müssen, darüber stimmen wir trotz einer intensiven Diskussion noch nicht überein. Also soll ich jetzt sagen: 'We agree to disagree.'"
    Wir sind uns einig dass wir uns nicht einig sind? Varoufakis wollte nicht einmal das stehen lassen, schaute kurz hinüber zu Schäuble und dann sein legendäre Satz:
    "We didn’t even agree to disagree from where I’m standing."
    "Aus meiner Sicht sind wir uns noch nicht mal darüber einig, dass wir uns uneinig sind", so Varoufakis. Tiefer kann ein Zerwürfnis nicht sein.
    Dabei drängte die Zeit. Griechenland stand das Wasser bis zum Hals, brauchte dringend die letzte Tranche aus dem zweiten Hilfspaket, um danach Verhandlungen über ein weiteres – ein drittes - Paket zu führen. Doch liefern wollte die Regierung Tsipras nicht. Drei Wochen später riss bei Schäuble der Geduldsfaden:
    "Am 28., 24 Uhr isch over!"
    Der 28. Februar 2015 war gemeint. Es blieben drei Tage. Athen lenkte schließlich ein, aber über den Berg war das Land nicht. Denn inzwischen pochte der IWF auf Rückzahlung der Milliarden aus dem ersten Hilfspaket und in Athen wurden die letzten Reserven zusammengekratzt. Anfang April verkündet dann eine scheinbar gut gelaunte Christine Lagarde:
    "Yes, I’ve got my money back."
    Was bei der IWF-Chefin so scherzhaft klang, hatte einen äußerst ernsten Hintergrund: Hätte der IWF sein Geld nicht zurückbekommen, hätte er zwingend Griechenland für pleite erklären müssen. So schreiben es seine Statuten vor. Und wenn der IWF Griechenland für pleite erklärt, wären auch die Euro-Staaten nicht darum herum gekommen. Das hätte unabsehbaren Folgen für das Land - und die Eurozone. Deshalb musste wieder neues Geld fließen, damit Griechenland liquide bleibt.
    3. Hilfspaket: 86 Milliarden Euro
    Dafür sorgte das dritte Hilfspaket. Im August 2015 wurden noch einmal 86 Milliarden Euro an Krediten zur Verfügung gestellt; über 30 Milliarden davon waren für Rückzahlungen an den IWF bestimmt, der sich immer weiter aus der Griechenlandhilfe zurückzog.
    "Wenn der IWF nicht mehr dabei ist, dann gibt es ein richtiges Problem", warnte Unionsfraktionschef Volker Kauder in jenen Tagen. Denn ohne IWF-Beteiligung würde die Zustimmung seiner Abgeordneten zum dritten Hilfspaket wackeln. Doch die Abgeordneten wurden vertröstet, der IWF werde später wieder hinzustoßen, versprach die Kanzlerin:
    "Frau Lagarde, also die Chefin des IWF, hat sehr deutlich gemacht: Wenn diese Bedingungen eintreten, wird sie dem Board, also dem Aufsichtsgremium des IWF, vorschlagen, dass der IWF im Oktober in das Programm eintritt. Und ich habe keinen Zweifel daran, dass das was die Frau Lagarde gesagt, auch Realität wird."
    Christine Lagarde (l), Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF), und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geben am 05.04.2016 im Kanzleramt in Berlin eine Pressekonferenz. 
    Ohne den IWF möchte auch Kanzlerin Angela Merkel Griechenland nicht länger helfen (dpa/ picture alliance/ Rainer Jensen)
    Doch dazu kam es nicht. Der IWF machte Schuldenerleichterungen für Griechenland zur Voraussetzung dafür, dass er auch beim dritten Griechenland-Paket einsteigt, doch genau das lehnte die Bundesregierung immer wieder ab.
    Ohne Schuldenschnitt aber bleibt der IWF außen vor und im Laufe der Zeit versandete die Sache auch in Deutschland. Im Juli dieses Jahres, als der Bundestag die letzte Tranche über 15 Milliarden Euro für Griechenland frei gab, wurde auch die Forderung nach einer IWF-Beteiligung sang- und klanglos ad acta gelegt.
    Ist Griechenland über den Berg?
    Fast 250 Milliarden Euro hat Griechenland insgesamt aus den drei Rettungsprogrammen erhalten. Doch bei der Frage, ob das Land nun über den Berg ist, scheiden sich die Geister.
    Einerseits hat ausgerechnet die Linksregierung von Alexis Tsipras die tiefen Einschnitte ins Sozialsystem durchgezogen, die als Gegenleistung für die Hilfen verlangt worden waren. Lohn dieser Anstrengung: Jetzt, am Ende dieser achtjährigen Rosskur, wo das vorerst letzte Hilfsprogramm ausläuft, erhält Griechenland weitere Erleichterungen bei der Bedienung seiner gigantischen Schulden.
    Kredite müssen nicht ab 2023, sondern erst ab 2033 zurückgezahlt werden, manche Darlehen laufen jetzt über 42 Jahre bis ins Jahr 2060. Durch solche und weitere Maßnahmen spart das Land in den kommenden Jahrzehnten 34 Mrd. Euro.
    Die Staatskasse nimmt wieder mehr ein als sie ausgibt
    Im Sommer 2018 will sich Griechenland wieder neu zu orientieren auf dem freien Kapitalmarkt. Drei wichtige Punkte helfen dabei: Die Wirtschaft wächst, wenn auch nur sanft, die Arbeitslosigkeit ist von dramatisch auf etwas weniger dramatisch zurückgegangen und das Land hat – wie von den Geldgebern gefordert, einen Primärüberschuss von dreieinhalb Prozent erreicht. Bei dieser Rechnung werden Schulden nicht berücksichtigt. "Überschuss" heißt – die Staatskasse nimmt deutlich mehr ein als sie ausgibt. Allerdings konnte der Staat die Staatskasse nur deshalb auffüllen, weil er seinen Bürgern sehr viel zumutete: Renten und Löhne wurden gekürzt um bis zu 50 Prozent, Steuern erhöht, immer wieder. Es hat geschmerzt, doch es war wichtig, sagt der Athener Wirtschaftsprofessor Panajiotis Petrakis:
    "Es wird noch Jahre dauern, bis wir tatsächlich vieles verändert haben werden. Aber wir sehen schon ganz genau am Horizont, was wir erreichen können. Ja – natürlich mit der großen Einschränkung, dass wir viele soziale Errungenschaften über Bord geworfen haben. Vieles wird jetzt davon abhängen, wie unsere Politik da sozial manches abfedern kann."
    Ein älterer Mann verkauft Taschentücher vor einem geschlossenen Geschäft in Athen.
    Ein älterer Mann verkauft Taschentücher vor einem geschlossenen Geschäft in Athen (AFP / Aris Messinis)
    Der Plan der Politik für diesen Sommer scheint klar: Finanzpolster sind angelegt, damit es keinen Engpass gibt, auch wenn das Geld, das Griechenland sich nach der Sommerpause vermehrt auch vom freien Kapitalmarkt holen muss, wieder teurer wird als eingeplant – durch höhere Zinsen etwa.
    Auf dem Rücken der Bevölkerung
    Die Chancen, die Griechenland trotz aller Bedenken und Gegen-Rechnungen bleiben, liegen auf dem ziemlich breiten Rücken der Bevölkerung. Geduldig, zäh und leidenserfahren arbeiten oder hangeln sich Millionen von Menschen nun schon seit so vielen Jahren durch ihr Leben. Der jungen Start-Up-Unternehmer Stavros Tsombanidis etwa. Er hat es mit seinem kleinen Vorzeige-Betrieb für Smartphone-Hüllen und Brillengestelle aus getrocknetem Seegras in griechische und in eine große US-Zeitschrift geschafft. Er sagt:
    "Wir müssen aber auch handeln. Und wenn wir in den nächsten fünf Jahren nicht handeln, werden wir immer die gleichen Klagen führen müssen, dass es Griechenland schlecht geht, wenn wir keine Jobs haben und keine wirtschaftliche Entwicklung."
    Der griechische Tourismus boomt, manche Branchen wie die Biotechnologie und große Transportunternehmen sind kräftig im Aufwind. Aber das alleine wird nicht reichen, um auf lange Sicht an den Finanzmärkten ohne fremde Hilfe klarzukommen, meint der Athener Journalist Tasso Telloglou:
    "Ich sehe nicht, dass Griechenland sich selbstständig vom Markt Geld leihen kann. Weil bis August – und das ist die Gretchenfrage – Griechenland sich nicht das Vertrauen der Märkte zurückergattert hat."
    Das milliardenschwere Finanzpolster, das die griechische Regierung für alle Fälle angelegt hat, dürfte über den Winter reichen. In Wahrheit also wird erst das nächste Jahr entscheiden, ob Griechenland wirklich über den Berg ist.