Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

EU-Klimaziele
"Was es braucht, ist ein Angebot an die Kohleländer"

Um die Energiewende zu schaffen, dürfe man Kohleländer wie Polen und Tschechien bei "diesem Transformationsprozess nicht alleine lassen", sagte der Vorsitzende des Thinktanks Agora Energiewende, Patrick Graichen, im Dlf. Dürren und Waldbrände zeigten, dass der Klimawandel gerade jetzt weiter fortschreite.

Patrick Graichen im Gespräch mit Jasper Barenberg | 07.10.2020
12.12.2018, Polen, Bedzin: Rauch steigt aus den Schornsteinen im Kohlekraftwerk Lagisza bei Kattowitz. Noch bis 14. Dezember findet in der südpolnischen Stadt der UN-Klimagipfel zum Klimawandel statt. Foto: Monika Skolimowska/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
Kohlekraftwerk Lagisza bei Kattowitz (picture alliance /Monika Skolimowska / dpa)
Bis zur Jahrhundertmitte strebt die Europäische Union Klimaneutralität an. Dann soll in den Ländern der Union nur noch so viel CO2 ausgestoßen werden, wie sich kompensieren lässt. Die bislang angepeilte Verringerung der Emissionen in den kommenden zehn Jahren um 40 Prozent gegenüber 1990 wird dafür nicht ausreichen. Die Abgeordneten im Europäischen Parlament schlagen in ihrem neuen Gesetzentwurf daher ein deutlich verschärftes Klimaziel vor: Es soll auf 60 Prozent Treibhausgasminderung bis 2030 steigen.
Der Vorsitzende des Thinktanks Agora Energiewende, Patrick Graichen, nannte die Pläne einen "ordentlichen Schritt". Spätestens im kommenden Jahr müssten nun auch die deutschen Klimaziele verschärft werden, sagte er im Dlf. Die Bundesregierung "ducke sich" bei diesem Thema im Moment weg. Deutschland strebt nach aktuellem Stand eine Treibhausgasreduktion von 55 Prozent bis zum Jahr 2030 an. Referenzwert ist auch hier das Jahr 1990.
Die Co2-Aufbereitungsanlage des Vattenfall Kraftwerk mit Co2-Abscheidung in Schwarze Pumpe (Brandenburg), aufgenommen am 05.09.2013. Seit 2008 arbeiten Experten in der Pilotanlage an der Abtrennung des Klimagases Kohlendioxid aus Rauchgas. Dadurch lässt sich der Klimakiller unterirdisch speichern (Carbon Capture and Storage - CCS-Technik) oder anderweitig nutzbar machen. Im Interview mit dpa spricht der Geschäftsführer der VE Technology Research GmbH, über Ergebnisse und Probleme. Foto: Arno Burgi/dpa (zu dpa-Interview am 06.09.2013) | Verwendung weltweit
CO2-Speicherung - Wie wir das Klima reparieren könnten - vielleicht
Die Welt lässt sich viel Zeit mit dem Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas, während das Klima sich immer weiter erwärmt. Ein Ausweg könnte sein, das Treibhausgas CO2 nachträglich aus der Atmosphäre zu entfernen und dann zu speichern. Doch das ist bislang wenig erforscht – und könnte teuer werden.

Lesen Sie hier das komplette Interview im Wortlaut.
Jasper Barenberg: Wir haben jetzt viele Zahlen gehört. Es gibt diese Debatte um Prozentzahlen, 55 Prozent, 60, 70 oder gar mehr. Wo stehen wir da zwischen Parlament, EU-Kommission und Europäischem Rat?
Patrick Graichen: Das Parlament hat jetzt ja vorgelegt, hat gesagt, minus 60 Prozent. Die Kommission liegt bei minus 55 Prozent und manche Länder hätten gerne minus 50. Insofern: Ich gehe fest davon aus, dass am Schluss ein Kompromiss bei minus 55 Prozent landen wird.
Barenberg: Wie wichtig ist diese Debatte über Zahlen? Welches Signal geht von der Zahl aus, sollte es am Ende auf 55 hinauslaufen?
Graichen: Das ist schon ein ordentlicher Schritt mehr, als wir bisher geplant haben. Statt minus 40 auf minus 55 ist ein deutlicher Schritt nach vorne. Und was das konkret bedeutet, sehen wir jetzt schon am europäischen Emissionshandelsmarkt. Da nehmen nämlich die Händler gerade eine entsprechende Entscheidung vorweg. Der CO2-Preis liegt bei 25 bis 30 Euro die Tonne CO2 und das macht Kohlekraftwerke in ganz Europa gerade unwirtschaftlich.
Patrick Graichen, Chef des Energiewende-Thinktanks Agora
Patrick Graichen, Chef des Energiewende-Thinktanks Agora (Picture-Alliance / Tagesspiegel / Doris Spiekermann-Klaas)
Barenberg: Die größte Fraktion im Europäischen Parlament, die EVP, in der ja auch unter anderem die Union organisiert ist, die sagen ja jetzt schon, 55 Prozent, das ist eine extreme Herausforderung. Wir haben gerade gehört, dass die EVP sich möglicherweise deshalb enthalten will bei der Entscheidung. Erleben wir auch eine Debatte über das richtige Verhältnis zwischen dem Notwendigen auf der einen Seite und dem Machbaren auf der anderen?
Graichen: Ich glaube, wir erleben eine Debatte darüber, ob jetzt ein komplett neues Paradigma kommt. Dieses neue Paradigma heißt dann nicht mehr, wir machen einen Kompromiss zwischen Wirtschaft und Umwelt, sondern wir erfinden die Umwelt- und Wirtschaftsdebatte neu. Wir suchen die umweltgerechte Wirtschaft.
Wenn ich genau das mache, wenn ich sage, ab jetzt investieren wir nur noch in CO2-freie Technologien, in Erneuerbare, in grünen Wasserstoff, in die grüne Stahlfabrik, dann kann ich natürlich auch viel mehr Minderung erreichen, als wenn ich immer nach dem nächsten Schritt überlege, wo viele Effizienzpotenziale schon ausgereizt sind.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Fridays for Future: Keine Unterstützung für das EU-Klimaschutzgesetz Sophia-Marie Pott, EU-Sprecherin der Fridays-for-Future-Bewegung hat das neue Klimaschutzgesetz der EU scharf kritisiert. Es sei zwar gut, dass der Klimaschutz jetzt gesetzliche Grundlagen habe, aber die Ausgestaltung des Gesetzes reiche absolut nicht aus, sagte die 16-Jährige im Dlf.
"Wir erleben auch gerade einen rasanten technischen Fortschritt"
Barenberg: Ich will noch einmal auf die Zahlen zurückkommen, weil wir heute Morgen hier im Deutschlandfunk ja eine Vertreterin von Fridays for Future im Programm hatten, die Leiterin der Europakampagne. Die sagte, die Wissenschaft diktiert eigentlich ein Ziel von minus 80 Prozent. Mit anderen Worten die Frage an Sie: Hinken wir dem, was eigentlich nötig ist, immer weiter hinterher?
Graichen: Wenn ich das 1,5 Grad Ziel, das als Vision im Pariser Klimaschutzabkommen drin war, erreichen will, ja, dann müsste ich noch mehr tun. Die meisten in der Politik halten sich an dem deutlich unter zwei Grad Ziel fest und das ist wahrscheinlich mit dem, was jetzt auf dem Tisch liegt, machbar. Aber wir sehen ja auch, wie der Klimawandel jetzt gerade immer weiter fortschreitet. Das dritte Dürrejahr in Folge hatten wir, die Waldbrände in Kalifornien. Es stimmt schon: Man könnte das Ganze noch beschleunigen. Das Gute ist aber: Wir erleben auch gerade einen rasanten technischen Fortschritt. Insofern: Je weiter wir voranschreiten, desto mehr können wir uns auch zutrauen.
Barenberg: Ist denn die Bundesregierung mit ihren letzten Beschlüssen auf Höhe der Zeit und auf dem richtigen Pfad?
Graichen: Das deutsche Klimaziel 2030 muss man natürlich auch anpassen. Da duckt sich die Bundesregierung gerade weg. Das kann sie natürlich auch jetzt, weil sie sagt, wir sind europäische Ratspräsidentschaft und müssen vermitteln, anstatt eigene Impulse zu setzen. Aber nächstes Jahr ist völlig klar, dass auch das deutsche 2030-Klimaziel angepasst werden muss.
Barenberg: Schauen wir noch mal auf die europäische Bühne. Da ist uns allen ja bewusst, dass es einige Mitgliedsstaaten gibt, die da gerne ein bisschen stärker auf die Bremse gehen würden, weil für sie die Energiewende besonders schwer zu machen ist. Da gibt es Kohleländer wie Polen oder wie Tschechien. Wie lässt sich verhindern, wenn es am Ende um den Dialog zwischen den Mitgliedsstaaten, dem Parlament und der Kommission geht, dass Kohleländer wie Polen oder Tschechien da das Ganze bremsen?
Graichen: Was es braucht, ist natürlich ein Angebot an die Kohleländer, dass man sie bei diesem Transformationsprozess nicht alleine lässt. Insofern ist der Just Transition Fund, der im Prinzip gerade auch in Polen und in Tschechien den Umstieg in den Kohleregionen finanzieren soll, ein ganz wesentlicher Baustein in den EU-Budget-Verhandlungen. Deswegen gehe ich davon aus, dass im Dezember, wenn sowohl das EU-Budget als auch das EU-Klimaziel dann zur finalen Diskussion im Rat anstehen, dass diese beiden Themen dann auch zusammengebunden werden und dass ein gut ausgestatteter Just Transition Fund und das höhere EU-Klimaziel dann ein Paket werden.
Energieforscherin: "Die wichtigste Weiche ist die CO2-Bepreisung"
Technisch, wirtschaftlich und politisch hält die Energieforscherin Karen Pittel die Energiewende für machbar. Deutschland müsse während seiner Ratspräsidentschaft aber darauf hinwirken, dass sich die EU bei der Umsetzung nicht im Klein-Klein verliere.
Mehr Klimaschutz bei Budgetverhandlungen mit einpreisen
Barenberg: Im Moment gibt es ja Anzeichen dafür, dass in der EU die Einigung jedenfalls unter den Staats- und Regierungschefs doch schwerfallen könnte. Unser Korrespondent hat ja gerade berichtet, dass der Dezember-Gipfel eigentlich entscheiden sollte. Jetzt heißt es schon hier und da, möglicherweise müssen wir das noch mal verschieben. Wie schwertut sich denn die EU als Ganzes, jetzt vonseiten des EU-Rates geschaut, da ein ordentliches Paket zu schnüren?
Graichen: Ich glaube, es kommt jetzt genau darauf an, dass diejenigen, die mehr Klimaschutz wollen, bereit sind, bei den Budget-Verhandlungen das dann auch in die CO2-Emissionen mit einzupreisen.
Barenberg: Herr Graichen, es tut mir leid. Wir hören Sie gerade ganz schlecht beziehungsweise Sie sind nahezu aus der Leitung verschwunden. – Ich frage noch mal: Hören Sie mich jetzt wieder gut?
Graichen: Ja, jetzt höre ich Sie. Hören Sie mich auch wieder?
Barenberg: Ja, danke. Da war kurz ein Loch in unserer Verbindung. Vielleicht setzen Sie noch mal an bei der Frage, was man den Staaten denn anbieten kann, um diesen Transitionsprozess zu meistern.
Graichen: Die Verhandlungen werden zusammengeführt werden zum EU-Budget und zum EU-Klimaschutzziel. Insofern müssen gerade diejenigen, die mehr Klimaschutz wollen, die auch gleichzeitig bei den Budget-Verhandlungen auf der Bremse standen, wie jetzt die Niederlande, wie die Schweden, wie auch die Österreicher, dann bereit sein, da einen Deal zu machen, mehr Gelder für so was wie den Just Transition Fund, der den Kohleländern den Umstieg ermöglicht. Das gilt dann im Gegenzug auch für ein höheres EU-2030-Klimaziel.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.