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EU-Kommission gegen Deutschland
Ein Sommer voller Streit

Deutschland droht nicht nur wegen der PKW-Maut Ärger aus Brüssel. Auch mangelnde Sicherheit an Flughäfen und bei der Überprüfung von Piloten will die EU-Kommission untersuchen, ebenso wie die Mehrwertsteuer-Erstattung für Ausländer. Die Bundesregierung muss sich Gegenargumente zurechtlegen.

Von Andreas Meyer-Feist | 01.06.2015
    Unzählige Autos fahren bei Nacht auf einer Autobahn und erzeugen rote und gelbe Lichtspuren.
    Die PKW-Maut dürfte für Deutschland das größte Problem mit der EU-Kommission bedeuten. (imago/McPHOTO)
    Wer sich in Berlin schon auf einen ruhigen politischen Sommer freut, freut sich zu früh. Aus Brüssel kommt mächtig Ärger. Das bedeutet: Arbeit. Deutschland stehen fünf wichtige EU-Vertragsverletzungsverfahren bevor.
    Einige sind schon in die Wege geleitet: Es geht um eine EU-Richtlinie zum Recycling von Elektroschrott und um Mängel bei der Sicherheitskontrolle von Passagieren. Vor allem die Flughäfen Frankfurt und Düsseldorf sollen im Focus stehen, obwohl die EU-Kommission aus Sicherheitsgründen keine Namen nennen will.
    In einem wichtigen anderen Bereich droht ebenfalls ein EU-Vertragsverletzungsverfahren: bei der Maut. Sie ist ist eine der größten Politik-Baustellen. Im deutschen Gesetzgebungsverfahren wurde sie schon erfolgreich abgeschlossen, nach langem Hin und Her und einigen Korrekturen.
    Erst jetzt, nach den Berliner Beschlüssen, kann das Gesetz von der EU-Kommission auf seine europäische Kompatibilität hin überprüft werden. Mahnungen, dass es Probleme geben könnte, gab es reichlich. EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc hatte angemahnt:
    "Das deutsche Mautgesetz muss fair sein, Fairness ist entscheidend."
    Sie hatte auch auf mögliche Probleme hingeweisen: Die deutsche Maut könnte unfair für EU-Ausländer sein und damit ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz für alle EU-Bürger. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrint (CSU) hatte in Brüssel mehrfach für sein Konzept geworben und sich nach den Gesprächen mit der EU-Kommission stets unbeirrt gezeigt, auch mit Blick auf die Maut-Gegner:
    "Es gibt da immer die Hoffnung, irgendwann wird's irgendwer stoppen. Seit einem Jahr geht das so. Bis jetzt hat's niemand gestoppt."
    Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) steht mit verschränkten Armen im Plenarsaal des Bundestags.
    Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) hat sein Ziel erreicht: Der Bundestag hat die Einführung der Pkw-Maut beschlossen. (picture alliance / dpa / Lukas Schulze)
    Österreich will deutsche PKW-Maut zu Fall bringen
    Das wollen aber auf jeden Fall die Österreicher probieren - mit Brüsseler Hilfe. In Wien hatte man nur darauf gewartet, dass das Gesetz beschlossen wurde. Der Vorstoß gegen Berlin wird aber seit mehr als einem Jahr vorbereitet. Die Wiener Ex-Verkehsrministerin und heutige Nationalratspräsidentin Doris Bures spart nicht mit kräftigen Worten gegen Berlin:
    "Wir werden jedes Rechtsmittel ausschöpfen bis hin zum Europäischen Gerichtshof."
    Ihr Nachfolger Alois Stöger will jetzt Pflöcke einschlagen: "Wir bleiben konsequent. Da sind wir unserer Bevölkerung verpflichtet", erklärte er unlängst in Brüssel.
    Auf den ersten Blick gibt es dafür einen nachvollziehbaren Grund: Die Österreicher sollen nicht doppelt zahlen, wenn sie rüber ins Nachbarland wollen: die eigene Autobahnmaut (abgerechnet über eine Vignette, das ebenfalls nicht unumstrittene "Pickerl") und dann noch eine Vignette in Deutschland - schon gar nicht, wenn Deutsche eine Kompensation über die Kraftfahrzeugsteuer bekommen.
    Wird die Maut also bald gestoppt, am Ende vom Europäischen Gerichtshof? Es könnte auch ganz anders kommen. Wie immer, wenn mit deftigen Worten um das jeweils eigene Lager gekämpft wird in Brüssel. Kompromisse sind denkbar.
    Österreichs hat selbst Schwachstellen, die von EU-Verkehrskommissarin Bulc "beobachtet" werden. So ist die Laufzeit und Staffelung der österreichischen Vignette umstritten wegen einer möglichen Benachteilung von Autofahren, die nur kurz in oder durch das Land wollen. Deutsche EU-Diplomaten wollen "prüfen", ob die österreichische Maut gerecht ist - falls Österreich mit Brüsseler Hilfe gegen die Deutschen vorgeht. Dieses "Druckmittel" könnte Berlin eine gewissen Rückendeckung in Brüssel verschaffen - und die Argumentation erleichtern.
    "Nachgebessert" hatte Berlin schon. Aus der Autobahnmaut ist eine "Infrastrukturabgabe" geworden. Für Alexander Dobrindt ein elementarer Unterschied, den er in Brüssel ins Feld führen will:
    "Erst mal hat uns die EU ja in den vergangenen Jahren immer wieder aufgefordert, dass wir von der Steuerfinanzierung hin zur Nutzerfinanzierung doch endlich auch in Deutschland kommen sollen. Wir gehen jetzt diesen Weg."
    Entscheidend: Die Abgabe betrifft nicht nur die Autobahnen. In diesem Punkt hat Dobrindt sogar Freunde in Österreich. Die grüne Tiroler Verkehrspolitikerin Ingrid Felipe sieht im deutschen System auch Vorteile:
    "Die Überlegung, wie man den Verkehr so lenken kann, dass die großen Verkehrsströme über die Autobahnen und nicht durch die Dörfer rollen, ist sehr sinnvoll - und das ist ja bei uns auch das Problem."
    In Österreich verstopfen Mautverweigerer die Dorfstraßen - in Deutschland soll das nicht so einfach möglich sein. Die Maut kann also auch der umweltverträglichen Verkehrslenkung dienen. Kann Dobrinth also die Maut in Brüssel doch noch retten retten - am Ende sogar nicht gegen, sondern mit dem ärgsten gegener Österreich?
    In einem Punkt hat er Brüssel hinter sich: Wenn es um das langsame Umschwenken von der Steuer- zur Nutzerfinanzierung der Straßen geht, die in Österreich zwar teilweise gegeben, aber auch umgehbar ist und Umweltprobleme schafft.
    Die slowenische Kandidatin für die EU-Kommission, Violeta Bulc, am 18. September 2014.
    EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc wünscht sich ein europaweit einheitliches Vignettensystem. (Jure Makovek / dpa)
    EU-Kommission will weniger Vignetten in Europa
    Problem: Das geplante deutsche System ist für Brüssel eine unerwünschte Bereicherung der ohnehin unübersichtlichen Vignettenvielfalt in Europa - Windschutzscheiben sehen bald noch verklebter aussehen als bisher. Jedes System funktioniert nach eigenen mehr oder weniger komplizierten regeln. Kosten und Laufzeiten sind so unterschiedlich wie die Farben der Aufkleber. Von Europa keine Spur. EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc stört die Mautvielfalt in Europa:
    "Wir müssen endlich die Vision eines einheitlichen europäischen Verkehrsraumes verwirklichen", fordert sie. Der Maut-Streit mit Berlin könnte Europa am Ende näher an diesen Weg führen, hofft man in der EU-Kommission. Ein ehrgeiziger Plan.
    Wahrscheinlicher ist, dass am Ende erst einmal eine deutsche "Mini-Maut" steht, ein Maut-Rudiment, das den Vorwurf der "Ausländerdiskriminierung", so Österreichs Verkehsrminister Alois Stöger, weitgehend entkräften kann. Diese Einschätzung ist jedenfalls aus einigen Bundesländern zu hören, die in Brüssel nicht mit am Tisch sitzen, aber die Stimmung in Brüssel genau verfolgen. Der "einheitliche Verkehrsraum", den Violeta Bulc, schaffen will, könnte dann zum langfristigen Projekt erklärt und angeschoben werden, um zu Lösungen zu kommen, die alle zufriedenstellen.
    Die Maut ist nicht das einzige Brüssel-Problem für Berlin: Flughafensicherheit - nicht ausreichend. Pilotenchecks - ungenügend. Mehrwertsteuer-Erstattung - zu kompliziert für Ausländer. Das sind weitere Bereiche, die von Brüssel noch überprüft werden.
    Außerdem steht der Ruf des europäischen Saubermanns auf dem Spiel: Die Deutschen können noch immer nicht ganz einfach ihre alten Elektrogeräte zurück ins Geschräft bringen. Dabei sollte die EU-Elektroschrott-Richtlinie, die unter anderem das fordert, schon bis Februar umgesetzt sein. Brüssel geht es darum, mehr Wertstoffe zu recyceln. Auch hier steht ein EU-Vertragsverletzungsverfahren bevor.
    Selbst wenn Berlin schnell nacharbeitet: Bis Oktober wird es wohl dauern, bis alles beschlossen ist. In Sachen Elektroschrott drohen Strafzahlungen von mehr als 200.000 Euro, für jeden Tag, an dem sich nichts getan hat. Das könnte sich auf viele Millionen summieren, abgesehen von den anderen Verfahren, die schon laufen oder demnächst drohen.
    Lange hatten Berliner Regierungsmitglieder gehofft, dass sie es mit der EU-Kommission von Jean-Claude Juncker einfacher haben als mit dem Vorgänger Barroso. Diese Hoffnung hat sich bis jetzt nicht erfüllt. Es könnte - im Gegenteil - noch schwieriger werden.