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EU-Kommissionspräsident
"Keine große Liebe für Juncker"

Wer wird neuer EU-Kommissionspräsident? Es müsse nicht unbedingt einer der Spitzenkandidaten der Europawahl werden, sagte Graham Watson, Vorsitzender der Europäischen Liberalen (ALDE), im Deutschlandfunk.

Graham Watson im Gespräch mit Christiane Kaess | 03.06.2014
    Anhänger der UKIP-Partei mit Wahlplakaten.
    EU-Gegner wie die Unabhängigkeitspartei UKIP sind in Großbritannien im Aufwind. (dpa / Andy Rain)
    Watson hält auch eine Alternative zum Spitzenkandidaten der Europäischen Konservativen, Jean-Claude Juncker, für möglich. Wenn die Staats- und Regierungschefs jemanden empfehlen wollten, der kein Spitzenkandidat bei den Wahlen war, müsse es aber eine 100-prozentige Zustimmung für diesen geben, sagte Watson im Deutschlandfunk. "Ich hoffe, dass es eine tiefgehende Diskussion geben wird."
    Den Widerstand des britischen Premier David Cameron gegen Juncker kann Watson nicht nachvollziehen. Juncker habe im Wahlkampf bekräftigt, die Vorbehalte Großbritanniens gegenüber der EU angehen zu wollen. Er hoffe, dass Cameron nicht damit gedroht habe, die EU bei einer Berufung Junckers zu verlassen, sagte Watson. Dies hatten verschiedene Medien berichtet. "Das wäre kein faires Prozedere."
    Watson sagte weiter, dass 27 EU-Mitgliedsstaaten auf "Europa bauen" würden. Drei oder vier Mitgliedsstaaten hätten allerdings "keine große Liebe für Juncker".

    Das vollständige Interview können Sie hier nachlesen.
    Christiane Kaess: Soll der Spitzenkandidat der europäischen Konservativen, Jean-Claude Juncker, Präsident der EU-Kommission werden und damit das wichtigste Amt in der EU bekommen? Zunächst war es eine Machtprobe zwischen dem Europäischen Parlament, das nur einem der Spitzenkandidaten aus dem Wahlkampf zustimmen will, und den Staats- und Regierungschefs auf der anderen Seite. Jetzt wird das Ganze immer mehr zum Tauziehen zwischen den Regierungschefs selbst.
    Angela Merkel will sich nach einigem Zögern nun doch für Juncker einsetzen, aber nicht alle Staats- und Regierungschefs wollen ihn auch. Der wohl gewichtigste, der den konservativen alt gedienten Europapolitiker ablehnt, ist Großbritanniens Premierminister David Cameron. Der soll schon auch mal damit gedroht haben, sein Land werde dann die EU verlassen.
    Graham Watson ist der Vorsitzende des europäischen Bündnisses der liberalen Parteien. Er ist im Moment noch Abgeordneter im Europaparlament, ein Mandat, das er künftig nicht mehr ausüben wird. Er ist jetzt am Telefon, guten Morgen!
    Graham Watson: Schönen guten Morgen.
    Kaess: Herr Watson, Sie kennen den britischen Premier besser als wir. Wird Cameron Juncker schlussendlich akzeptieren?
    Watson: Ich glaube, er könnte vielleicht am Schluss Juncker akzeptieren. Aber er hat gesagt, er wird das nicht. Ich hoffe, er hat nicht gedroht, Großbritannien aus der Union zu ziehen, wenn Jean-Claude Juncker zum Präsidenten der Kommission wird. Ich finde, das wäre kein faires Prozedere. Natürlich müssen wir zwischen den Staats- und Regierungschefs eine tief gehende Diskussion haben, wen wollen wir als Präsident der Kommission, und nicht nur als Person, aber für welchen Zweck. Das heißt, was soll jetzt ein Präsident der Kommission tun, um Europa handlungsfähiger und, wenn möglich, beliebter zu machen.
    Kaess: Darüber können wir gleich noch genauer sprechen. Sie hoffen also, dass Cameron Juncker schlussendlich akzeptieren wird. Aber kann Cameron denn überhaupt noch zurück, ohne sein Gesicht zu verlieren?
    Watson: Ohne sein Gesicht zu verlieren, vielleicht nicht. Aber ich finde es merkwürdig, dass er von Anfang an gesagt hat, Jean-Claude Juncker geht für uns nicht, der ist zu föderalistisch. Ich meine, es gibt viele, die Europa befürworten wollen, und wenn wir jemand als Kommissionspräsidenten haben wollen, dann sollte diese Person auch für Europa Kampagne machen.
    Ich persönlich glaube, dass dieses Prozedere, dieser Prozess der Spitzenkandidaten keine schlechte Sache war. Es muss nicht notwendig jemand von den Spitzenkandidaten sein. Das heißt, wenn innerhalb des Europarats, wenn zwischen unseren Premierministern und Regierungschefs es wirklich keinen Konsens gibt über Jean-Claude Juncker oder Martin Schulz oder Guy Verhofstadt und so weiter, dann muss es mit dem Europaparlament eine Debatte geben, wer könnte akzeptabel sein. Aber was sicher ist, ist, dass der nächste Präsident der Kommission eine tiefe Unterstützung haben muss innerhalb des Rates und auch innerhalb des Parlamentes.
    Kaess: Herr Watson, Sie haben gesagt, Sie finden die Position von Cameron merkwürdig. Aber das ist doch eigentlich nur konsequent, was er gerade sagt, oder wie er sich gerade verhält, denn das, was Juncker verkörpert, also mehr Europa, das ist ja nun mal einfach nicht das Ziel Camerons.
    Watson: Nein, das ist nicht das Ziel Camerons. Aber er muss wissen, dass zwischen 27 Ländern viele glauben, wir sollten immer noch Europa bauen. Und wenn Großbritannien eine andere Position hat, riskiert er, dass er sich letzten Endes alleine wiederfindet. Jean-Claude Juncker hat gesagt während der Wahlkampagne, sehr klar, wenn ich Präsident der Kommission werde, wird es eine meiner Prioritäten sein, eine Lösung für das britische Problem zu finden. Ich glaube, das ist keine schlechte Sache.
    Die Idee eines Spitzenkandidaten ist gut
    Kaess: Aber diese Isolation oder diese mögliche Isolation, die Sie ansprechen, die scheint Cameron ja anscheinend nicht besonders Befürchtungen einzujagen. Er hat angeblich damit gedroht, aus der EU auszutreten, wenn Juncker EU-Kommissionspräsident wird. Glauben Sie, dass er das gemacht hat?
    Watson: Ich weiß nicht, ob er das gemacht hat. Ich war nicht dabei. Dies sind Gespräche zwischen Regierungschefs. Aber ich muss sagen, ich wäre erstaunt, wenn er das wirklich so gesagt hat. Ich meine, man kann nicht so klassisch gegen jemand stehen, wenn man weiß, dass diese Person einen Konsens finden muss zwischen allen Staats- und Regierungschefs. Nein, ich hoffe wirklich, es wird eine tief gehende Diskussion geben. Ich hoffe, es kommen auch Frauennamen ins Gespräch. Aber wenn die Staats- und Regierungschefs jemanden im Parlament empfehlen wollen, der nicht einer der Spitzenkandidaten ist, dann muss diese Person 100 Prozent Unterstützung zwischen den Staats- und Regierungschefs haben. Sonst gibt es keinen Grund dafür, warum es nicht einer der Spitzenkandidaten sein soll.
    Kaess: Der britische Ex-Premier, Tony Blair, der hat sich jetzt auch in die Debatte eingemischt, und er sagt, erst müsse es eine Reformagenda für Europa geben und dann erst den passenden Präsidenten der EU-Kommission dazu. Hat er nicht letztendlich recht?
    Watson: Ich stimme ihm zu! Es sollte eine Reform geben. Wir brauchen Reformen der Union. Ich glaube, wir brauchen auch jemanden als Präsident der Kommission, der die Kapazität hat, die Möglichkeiten hat, die Ideen hat für eine solche Reform.
    Die Reformideen sind unterschiedlich
    Kaess: Und dafür wäre Juncker die passende Personalie?
    Watson: Er könnte das auch sein. Das Problem ist folgendes: Was für Reformen brauchen wir? Großbritannien hat seine eigenen Ideen und Frankreich und Deutschland und Italien. Diese Ideen sind nicht dieselben. Also sehr, sehr klug muss diese Person sein, wenn er oder sie als Präsident der Kommission handlungsfähig arbeiten kann.
    Kaess: Und wer könnte diese ganzen verschiedenen Interessen, die Sie jetzt angesprochen haben, überhaupt zu einem Konsens kommen lassen? Schauen wir mal auf die Rolle Angela Merkels: Ihr Verhältnis zu Cameron gilt ja als gut. Wie schätzen Sie denn ihren Einfluss ein?
    Watson: Ich glaube, dass Angela Merkel einen sehr großen Einfluss hat in dieser Frage. Mir wäre es sehr lieb, wenn Frau Merkel selbst eine solche Rolle spielen wollte. Aber es sieht nicht so aus.
    Kaess: Warum sieht es nicht so aus?
    Watson: Sie hat sich zumindest nicht als Kandidatin deklariert.
    Kaess: Aber jetzt einen Konsens herzustellen in dieser Position, da spielt sie doch eine Rolle?
    Juncker kein schlechter Kandidat
    Watson: Ach so, in dieser Position. Ich sage, es wäre keine schlechte Sache, wenn wir eine Frau am Kopf der Kommission hätten, und Angela Merkel wäre auch ein guter Kandidat. Aber ich glaube, sie zielt auf jemand anders, und wenn diese Person Spitzenkandidat der größten Partei im Europaparlament sein sollte, das heißt Jean-Claude Juncker, wäre es meiner Meinung nach keine schlechte Sache.
    Kaess: Wenn Sie Angela Merkel beraten müssten, würden Sie ihr raten, Juncker zurückzuziehen, oder mit der Mehrheit des Rates auch gegen Großbritannien und wahrscheinlich auch einige andere Staaten durchzusetzen?
    Cameron scheint von der UKIP getrieben
    Watson: Man muss sehen, wie viele Staaten gegen Juncker sind. Im Moment scheint es, dass drei oder vier Mitgliedsstaaten keine sehr große Liebe für Jean-Claude Juncker haben. Aber wir haben noch eine Sitzung des Europarates am 26. Juni, glaube ich. Ich bin sicher, in den kommenden Tagen werden wir – und ich hoffe es wirklich – einen Konsens finden im Rat für einen Kandidaten. Wenn es nicht so ist, kann man sowieso eine Entscheidung im Rat nehmen und eine Empfehlung ans Europaparlament machen. Aber was die Staats- und Regierungschefs nicht vergessen können ist, dass es auch ein Votum im Europaparlament geben muss und dass die politischen Parteien im Parlament sehr entschieden dahinter stehen, dass die Person einer der Spitzenkandidaten sein sollte. Das heißt, wenn es sonst jemand sein muss, dann muss es 100 Prozent Unterstützung im Rat geben.
    Kaess: Schauen wir zum Schluss noch mal kurz auf die britische Perspektive. Cameron hat ja innenpolitisch ein wichtiges Jahr vor sich: im Herbst die Abstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands, im Mai 2015 dann die Unterhauswahlen, danach das Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU. Ist er ein Getriebener der Rechtspopulisten der UKIP?
    Watson: So scheint es und er hat schon seit der Europawahl gesagt, ja, wenn die Schotten bei uns bleiben, dann werden wir Schottland mehr Kompetenzen geben, mehr Rechte, Steuerpolitik kann in Schottland gemacht werden. Ich finde das keine sehr gute Taktik. Ich finde, es wäre viel besser zu sagen, wir wollen, dass Schottland zu den Urnen geht und sagt, wir wollen mit England und Wales bleiben, weil wir die Schotten lieben. Wenn man immer sagt, wir werden ihnen noch etwas geben, dann hat man in einem gewissen Sinn dieselben Argumente der Nationalisten.
    Kaess: Die Meinung von Graham Watson. Er ist Vorsitzender der europäischen Liberalen. Danke für dieses Interview heute Morgen.
    Watson: Danke für die Möglichkeit.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.