Freitag, 19. April 2024

Archiv

EU-Migrationspolitik
"Flüchtlinge sind keine Verbrecher"

Der CSU-Europaparlamentarier Markus Ferber hat die Pläne Ungarns zur Internierung von Flüchtlingen kritisiert. Ferber sagte im Deutschlandfunk, Flüchtlinge dürften "nicht wie Verbrecher" untergebracht werden. Das entspreche "überhaupt nicht den internationalen Standards".

Markus Ferber im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 08.03.2017
    Der CSU-Politiker Markus Ferber
    Der CSU-Politiker Markus Ferber (imago / reportandum)
    Das ungarische Parlament hatte gestern den Plänen von Ministerpräsident Orbán zugestimmt, die rund 600 Flüchtlinge im Land in Lagern nahe der Grenze zu Serbien festzusetzen.
    Ferber forderte mehr Möglichkeiten für die EU, um gegen Rechtsverstöße vorzugehen. Zurzeit bleibe als Strafmaßnahme nur der Entzug des Stimmrechts im europäischen Rat. Das erscheine ihm in diesem Fall aber zu hart. Besser sei die Kürzung von Fördergeldern. Das sei "die einfachste Sprache, die von allen verstanden wird".
    Diese Maßnahme prüft die EU Ferber zufolge gerade im Fall Polens. Die Entmachtung des polnischen Verfassungsgerichts sei ohnehin die gefährlichere Entwicklung für die Demokratie, so Ferber: "Hier wird die Gewaltenteilung in Frage gestellt."

    Das Interview in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: "Wir befinden uns in diesem Augenblick weiterhin im Belagerungszustand." So sagte es Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán gestern und meinte damit, dass immer noch zu viele Flüchtlinge nach Ungarn kommen. Derzeit sind es etwa 300 pro Woche, die von Schleusern irgendwie über die mit Zäunen gesicherte Grenze gebracht werden. Diese Flüchtlinge, die sollen jetzt erst mal nicht mehr im Land verteilt werden, sondern in sogenannten Transitzonen an der Grenze untergebracht werden, und dort sollen sie auch bleiben, bis über ihr Asylverfahren entschieden wird. Sie dürfen dieses Lager nicht verlassen.
    Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen erklärte gestern, das verstoße gegen internationales und europäisches Recht. Muss die Europäische Union also einschreiten? – Darüber möchte ich mit Markus Ferber sprechen, CSU-Parlamentarier im Europaparlament. Guten Morgen, Herr Ferber.
    "Transitzonen sind natürlich nicht wie Gefängnisse auszugestalten"
    Markus Ferber: Einen schönen guten Morgen, Frau Büüsker.
    Büüsker: Herr Ferber, Ungarn führt Transitzonen ein. Das klingt ein bisschen wie eine Idee, die die Union auch schon mal hatte.
    Ferber: Zunächst mal ist gegen Transitzonen nichts zu sagen. An jedem Flughafen in der Europäischen Union haben wir Transitzonen, wo Menschen sich aufhalten, die keine Einreiseberechtigung haben. Aber – und das will ich gleich mal ganz deutlich sagen – die Regeln sagen eindeutig aus, dass diese Transitzonen natürlich nicht wie Gefängnisse auszugestalten sind, und insofern ist das, was Herr Orbán macht, weit über das hinaus, was vorstellbar ist, und entspricht überhaupt nicht den internationalen Standards und auch nicht dem, was auf europäischer Ebene gilt.
    Büüsker: Was ist denn dann konkret hier das Problem, wie die Flüchtlinge untergebracht sind, oder die Tatsache, dass sie da gar nicht raus dürfen?
    Ferber: Die Art und Weise, wie sie untergebracht werden. Die Rechtsprechung, auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Menschengerichtshofs, des Europarates sagt eindeutig, dass Flüchtlinge nicht wie Gefangene behandelt werden dürfen. Sie sind ja keine Verbrecher. Es geht natürlich durchaus, wir kennen das in Deutschland ja auch, dass man eine Residenzpflicht hat, damit das Verfahren zügig abgewickelt werden kann. Das heißt, bei uns in Deutschland dürfen sie sich nur in dem Landkreis und in dem Regierungsbezirk frei bewegen, in dem sie untergebracht worden sind, damit das Verfahren durchgeführt werden kann. Aber Residenzpflicht heißt nicht, dass man quasi zwangskaserniert oder quasi zwangseingesperrt ist, und Transitzone heißt auch nicht, dass man in gefängnisähnlichen oder gefängnisgleichen Zuständen untergebracht ist.
    Ungarn auffordern, sich an "international geltendes Recht zu halten"
    Büüsker: Wenn Ungarn hier europäisches Recht bricht, was ist dann jetzt von Seiten der EU zu tun?
    Ferber: Genau das, was die Kommission gestern angekündigt hat, nämlich dagegen vorzugehen. Die Kommission kann erst vorgehen, wenn Ungarn das beschlossen hat. Das war gestern der Fall. Mit dem Parlamentsbeschluss ist die Situation ja noch nicht eingerichtet, sondern sie ist nur beschlossen, dass sie eingerichtet werden soll. Ab jetzt kann die Kommission tätig werden und das hat sie gestern schon angekündigt, dass sie Ungarn auffordern wird, genau dieses nicht zu tun, was beschlossen wurde, sondern sich an international geltendes Recht zu halten.
    Büüsker: Den Fall kennen wir, dass Ungarn etwas beschließt und die EU dann sagt, nein, macht das bitte nicht, und Ungarn macht es trotzdem. Welche Möglichkeiten der Einwirkung hat die EU denn da tatsächlich?
    Ferber: Ja, aber das ist eine Diskussion, die wir natürlich an vielen Fällen diskutieren können. Wir überlegen uns zurzeit ja intensiv, wie wir die Polen dazu bringen können, dass sie die Gewaltenteilung in ihrem Land achten und die Gerichtsbarkeit als unabhängige eigene Institution im demokratischen Rechtsstaat akzeptieren. Wir haben das Problem mit Rumänien, wo das Thema Verfolgung von Korruption per Erlass aufgehoben wurde und nur durch Volksdemonstrationen wieder verändert wurde. Sie dürfen nicht immer die Kommission dafür kritisieren, dass sie wenig tun kann, wenn die Mitgliedsstaaten der Kommission nicht die notwendigen Instrumente gegeben haben, dass sie was tun wird. Ich hoffe aber, dass der internationale Druck hilft, dass Ungarn hier schnell zu einer neuen Beschlussfassung im Parlament kommt.
    Ein Instrumentarium für die EU-Kommission schaffen
    Büüsker: Welche Instrumente bräuchte die Kommission denn, um etwas tun zu können?
    Ferber: Wenn wir eine Rechtsgemeinschaft sind in der Europäischen Union – ich will das wirklich jetzt nicht nur am Fall Ungarn aufhängen; darum habe ich bewusst auch die beiden anderen Fälle, die uns momentan besonders unter den Nägeln brennen, angesprochen -, wenn wir wollen, dass wir eine Rechtsgemeinschaft sind, und ich dachte immer, das ist unser gemeinsames Verständnis, dann muss man auch ein Instrumentarium schaffen, dass Recht durchgesetzt werden kann. Momentan gibt es nur eine einzige Sanktionsmöglichkeit bei solchen groben Rechtsverstößen gegen Mitgliedsstaaten. Das ist der Ausschluss von der Abstimmung im Rat. Das ist nicht die adäquate Maßnahme.
    Wir sind jetzt in Polen dabei zu überlegen, wie wir über Kürzungen im Haushalt für Mittel gerade in der Strukturpolitik, die für Polen vorgesehen sind, kürzen können, um damit Druck aufzubauen. Ich denke, das ist die einfachste Sprache, die in allen Mitgliedsstaaten verstanden wird, sogar ohne Dolmetschung. Wer sich nicht an die Regeln hält, der muss damit rechnen, dass ihm Geld gekürzt wird. Ich denke, das wäre das geeignete Instrumentarium, das sehr schnell wirkt.
    "Das Stimmrecht im Rat entziehen, ist die Ultima Ratio"
    Büüsker: Nun ist die Europäische Union aber gerade ja auch in einer etwas wackligen Phase. Wir stehen jetzt auch kurz vor dem EU-Gipfel, da wird der Brexit wieder eine Rolle spielen, und da steht die Frage im Raum, wie die EU sich nach dem Austritt von Großbritannien neu konsolidiert, wie man sich insgesamt aufstellt, wo es hingehen soll. Kann da nicht dann auch so eine Situation wie mit Ungarn, wie mit Polen sehr schwierig werden und letztlich zu heftige Sanktionen dazu führen, dass diese Länder sich aus der EU zurückziehen?
    Ferber: Noch mal: Wir können ja nicht nur tatenlos zusehen. Das war ja auch Ihre Eingangsfrage, Frau Büüsker. Und da müssen wir eine adäquate Antwort finden. Die Antwort, wir können euch das Stimmrecht im Rat entziehen, ist die Ultima Ratio. Das ist eine sehr harte Sanktion nach dem Motto, wir beschließen was, was für Dich gilt, und Du darfst Dich nicht mal mehr an der Beschlussfassung beteiligen. Insofern fehlen hier Zwischeninstrumente und das europäische Recht sieht eigentlich die Möglichkeit vor, allerdings bei Regelverstößen gegen bestimmte Strukturmaßnahmen, wenn hier die Spielregeln nicht eingehalten werden, dass Mittel gekürzt werden können. Das müsste ausgeweitet werden, das funktioniert sehr schnell und es wird auch überall verstanden.
    "Wir sind in Polen in einer viel gefährlicheren Situation"
    Büüsker: Wenn Sie sagen, der Stimmrechtsentzug im EU-Rat ist ein sehr hartes Mittel, ist es dann jetzt nicht vielleicht auch das richtige Mittel gegen Ungarn?
    Ferber: Nein. Bei Ungarn sehe ich das noch nicht, um das ganz deutlich zu sagen. Das sehe ich bei Polen. Polen geht viel tiefer in die Rechtsstaatlichkeit hinein. Hier wird die Unabhängigkeit der Justiz in Frage gestellt, hier wird die Gewaltenteilung in Frage gestellt, und das ist eines der Grundprinzipien eines demokratischen Rechtsstaates und eines der Grundprinzipien derer, die Mitglied der Europäischen Union sein können. Hier müssen wir schon bei den Sanktionen auch verhältnismäßig sein.
    Die Beschlussfassung eines Parlamentes löst zunächst mal eine entsprechende Reaktion der Kommission aus, wir hatten das ja schon mehrmals diskutiert, und in der Phase sind wir jetzt. Wir sind in Polen in einer ganz anderen Situation, die viel gefährlicher ist auch für die innere Staatlichkeit und die innere Demokratie in Polen, und deswegen halte ich das bei Ungarn für momentan absolut unangemessen.
    Büüsker: Aber, Herr Ferber, wir sehen im Fall Ungarn die Internierung von Menschen in Lagern. Was soll denn noch passieren, damit da Konsequenzen folgen?
    Ferber: Ich weiß nicht, ob Sie die Abschaffung des Verfassungsgerichts als weniger schlimm sehen wie die Internierung von Menschen, die noch nicht stattgefunden hat. Die Abschaffung des Verfassungsgerichts oder die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts in Polen hat bereits stattgefunden. Ich halte das für einen viel gefährlicheren Vorgang.
    Im Falle Ungarn "noch nicht mit der härtesten Strafe kommen"
    Büüsker: Und dass Ungarn Menschen wie Menschen zweiter Klasse behandeln will, ist okay?
    Ferber: Jetzt noch mal! Frau Büüsker, jetzt unterscheiden wir bitte zwischen etwas, was stattgefunden hat, und Sie haben gerade selber zu Recht gesagt, was Ungarn machen will. Wir werden jetzt Druck auf Ungarn ausüben, dass sie das nicht machen, was das Parlament beschlossen hat und ihren Parlamentsbeschluss revidieren. Da können Sie noch nicht mit der härtesten Strafe kommen. Wenn aber eine Regierung per Gesetz das Verfassungsgericht in seiner Unabhängigkeit außer Kraft setzt, dann hat etwas stattgefunden, was viel schwerwiegender ist, und deswegen ist dieser Fall auch anders zu behandeln. In Ungarn wird jetzt der notwendige politische Druck aufgebaut, und genau das ist die richtige Maßnahme zum jetzigen Zeitpunkt. Wenn Ungarn nicht ablässt, dann muss man natürlicher über weitere Maßnahmen denken.
    Büüsker: … sagt Markus Ferber, CSU-Abgeordneter im Europaparlament. Herr Ferber, wir müssen zum Schluss kommen, weil der Programmtipp auf uns wartet. Ich danke Ihnen für das Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.