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EU-Parlament dringt auf strenge Abgasnormen

Karl-Heinz Florenz, Vorsitzender des europäischen Umweltausschusses, will die Automobilindustrie zum Umdenken beim CO2-Ausstoß zwingen. Die angebotene freiwillige Selbstverpflichtung habe nicht gegriffen. "Jetzt muss Europa mit Ordnungsrecht kommen, wenn wir verhindern wollen, dass vielleicht in 100 Jahren der Mündungsbereich des Rheins in Köln ist", sagte der CDU-Politiker.

Moderation: Doris Simon | 24.01.2007
    Doris Simon: Die Lobbyisten der Automobilindustrie in Brüssel hatten viel zu tun in den letzten Monaten. Wenn ein europäischer Umweltkommissar und seine Beamten sich darüber Gedanken machen, wie der CO2-Ausstoß von Autos entscheidend gesenkt werden kann, dann ist für die Branche Gefahr im Verzug. Und so kam es, dass der Entwurf von EU-Umweltkommissar Dimas heute nicht wie vorgesehen von der EU-Kommission verabschiedet wird. Besonders laut hatte im Vorfeld Industriekommissar Günter Verheugen gegen die Pläne seines Kollegen protestiert. Der Umweltkommissar will die Autoindustrie gesetzlich verpflichten, den Kohlendioxidausstoß von Kraftfahrzeugen auf maximal 120 Gramm pro Kilometer zu reduzieren. Dafür hätte sie allerdings bis 2012 Zeit.

    Am Telefon ist nun Karl-Heinz Florenz, Mitglied der Europäischen Volkspartei und Vorsitzender des Umweltausschusses des Europaparlamentes. Guten Morgen!

    Karl-Heinz Florenz: Ja, schönen guten Morgen!

    Simon: Sind die Forderungen, Herr Florenz, des Umweltkommissars in dieser Form endgültig vom Tisch?

    Florenz: Nein, sie sind überhaupt nicht vom Tisch. Ganz im Gegenteil: Das Europäische Parlament will sehr engagiert dafür kämpfen, dass Europa sich hohe Standards gibt, gerade in der Frage der Automobilpolitik, denn das Problem ist ja nicht, dass die Absenkung alleine es tun würde, sondern wir dürfen nicht vergessen, dass wir alle immer mehr Autos kaufen und dass wir alle mehr Kilometer fahren, also die Addition des Ausstoßes von 51 Millionen Autos zum Beispiel in Deutschland ist das große Problem. Und deswegen muss man den Kommissar Dimas in dieser Frage sehr engagiert unterstützen.

    Simon: Die Widerstände sind aber stark.

    Florenz: Ja, das ist ganz normal. Die Automobilindustrie hat mich insofern enttäuscht, indem sie uns eine freiwillige Selbstverpflichtung in den letzten Jahren angeboten hat, und sie hat sich auch engagiert, aber sie hat sich nicht genug engagiert, in dem einfachen Punkt, indem sie einfach immer größere Autos gebaut hat, und die brauchen natürlich mehr Treibstoffe und damit mehr CO2-Ausstöße. Also diese freiwillige Vereinbarung hat leider nicht gegriffen. Ich bin ein großer Anhänger von solchen freiwilligen Vereinbarungen. Jetzt muss Europa mit Ordnungsrecht kommen, wenn wir verhindern wollen, dass vielleicht in 100 Jahren der Mündungsbereich des Rheins in Köln ist. Und das wollen wir alle nicht, und deswegen müssen wir uns anstrengen.

    Simon: Der Entwurf des Umweltkommissars war also entschlossen, aber, wie gesagt, der Widerstand mindestens genauso entschlossen, Sie sagten es auch gerade. Nun hat der Kommissionspräsident die Sache an sich gezogen. Was heißt denn das, heißt das, dass das Ganze aufgeweicht wird?

    Florenz: Also selbst wenn der Kommissionspräsident dem Industriekommissar Verheugen folgen würde, dann muss ja ein solcher Vorschlag ins Europäische Parlament. Und wir sind mit beratend und mit entscheidend. Also wir werden das sehr kritisch abwägen, und wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Erderwärmung kein Sandkastenspiel. Wir haben da ein Problem, und da müssen wir an allen Ecken und Kanten arbeiten. Dazu gehören auch die Autos, und ich bin ganz sicher, dass das Parlament hier strenge Vorgaben macht. Und das machen wir nicht, um die Automobilindustrie zu ärgern, sondern wir machen das, weil wir glauben, dass wir über Innovation auch zu mehr Arbeitsplätzen kommen. Also moderne Autos, die sauber sind, die werden auch gekauft, und zwar nicht nur in Europa, sondern auch in Indien und in China. Also Umweltpolitik ist Innovationspolitik und damit auch Arbeitsplatzpolitik. Man muss das Thema hoffnungsvoller angehen und nicht so depressiv, wie das im Moment der Industriekommissar tut.

    Simon: Herr Florenz, das Europaparlament und die Kommission sind das eine, die nationalen Regierungen das andere. Und die Bundesregierung hat sich in Brüssel traditionell ja immer schützend vor die deutsche Autoindustrie gestellt. Sie selber sprachen gerade den Klimawandel an, der ist ja nun während der deutschen Präsidentschaft auch ein Hauptthema. Wie passt denn das nun zusammen, das Eintreten für die Autoindustrie und der Kampf gegen den Klimawandel?

    Florenz: Also der deutsche Umweltminister und der deutsche Verbraucherminister, Gabriel und Seehofer, waren ja gestern in meinem Ausschuss. Und die haben noch mal sehr deutlich gemacht, dass in dieser Frage wir nicht schwach werden dürfen, gerade vor dem Hintergrund der Chance, die sich dahinter verbirgt, dass auch die europäische Automobilindustrie auch diese Autos weltweit verkaufen kann, und das ist auch unser Ziel, saubere Autos zu verkaufen. Also die Bundesregierung, da bin ich ganz sicher, wird sich auf die Seite der strengen Innovationswerte stellen, noch einmal, nicht um die Industrie zu bestrafen, sondern ganz im Gegenteil, noch Innovation zu fördern und Arbeitsplätze zu schaffen.

    Simon: Das heißt also im Zweifel hinter dem Umweltkommissar und gegen den deutschen Industriekommissar?

    Florenz: Mein Gott, das Leben ist ein Prozess von Lernen. Warum soll der Industriekommissar in einer anstehenden Debatte auch im Parlament nicht einsehen, dass am Ende strengere Standards zu modernen Motoren führen, zu weniger Treibstoffverbrauch, und sich einer solchen Debatte anschließen. Dass der jetzt einmal erst dagegen hält, kann ich ja verstehen. Aber die Politik wird in Europa nicht nur aus der Kommission gemacht, sondern glücklicherweise wird sie mitgestaltet vom Parlament und vom Rat, also die Addition aller 27 Mitgliedsländer, und da ist noch lange nicht aller Tage Abend. Wir müssen hohe Standards für unsere Kinder haben. Die werden uns eines Tages ganz üble Vorwürfe machen, wenn wir jetzt nicht aufpassen, wie gesagt, sonst haben Sie eines Tages den Mündungsbereich des Rheins bei Ihnen in Köln.

    Simon: Herr Florenz, Sie haben als Vorsitzender des Umweltausschusses so Ihre Erfahrung gemacht mit Lobbyisten, auch aus der Automobilindustrie. Wenn die immer wieder sagen, das können wir gar nicht, das geht gar nicht, und die Leute wollen doch schwere Wagen fahren, was sagen Sie denen?

    Florenz: Also ich bin kein Marktanalyst, der beurteilen kann, ob die Leute wirklich diese schweren Wagen fahren wollen. Wenn es dann so ist, dann muss eben Innovation kommen und diese schweren Wagen müssen mit besseren Motoren ausgestattet werden, die weniger Treibstoff brauchen und weniger CO2 ausstoßen, aber nicht nur das, auch NAX, da gibt es ja noch viele Werte, über die wir nicht glücklich sind und die Menschen krank machen, zum Beispiel auch Feinstaub. Also wenn man schon so große Motoren baut und fährt, dann muss man sie sauberer machen, dann muss noch mehr Fantasie reinkommen. Und die Gesetzgebung muss die Rahmendaten dafür schaffen, dass die Automobilindustrie noch mehr junge Leute einstellt, noch mehr forscht. Eines Tages werden wir keine andere Wahl haben, in Richtung Nullwerteauto zu kommen. Es gibt zwar keine Null, aber trotz allem müssen die Autos immer sauberer werden, und da muss gerade auch unsere deutsche Automobilindustrie von uns so gestellt werden, dass sie das erreichen kann.

    Simon: Karl-Heinz Florenz, der Vorsitzende des Umweltausschusses des Europaparlamentes. Vielen Dank, Herr Florenz, auf Wiederhören.

    Florenz: Ja, gern geschehen, auf Wiederhören.