Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv

EU-Postenvergabe
"Es wird nicht immer die Beste ausgewählt"

Die Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin für die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton treibt derzeit Brüssel um. Die Postenfrage werde weít ernster genommen als in der Vergangenheit, sagte der Politikwissenschaftler Wolfgang Wessels im DLF. Die Qualifikation für das Amt sei zwar wichtig, das sei aber nur eines von mehreren Auswahlkriterien.

Wolfgang Wessels im Gespräch mit Sandra Schulz | 18.07.2014
    Es werde nicht immer der beste Kandidat ausgewählt, sagte Wessels im Deutschlandfunk: "Siehe Ashton, die die Aufgabe nicht so wahrgenommen hat, wie man sich das vorgestellt hat." Es gebe verschiedene Kriterien, die berücksichtigt würden.
    So geht es laut dem Politikwissenschaftler von der Universität Köln auch um den "Parteien-Proporz" und den "Proporz Süd-, Ost-, Nordeuropa", und außerdem um die Frage der "Genderausgewogenheit". Deshalb sei wohl eine Frau für das Amt gesetzt.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Die Besetzung wichtiger europäischer Spitzenposten verzögert sich. Bei einem neuen Treffen Ende August soll nun eine Einigung auf ein gesamtes Paket, wie das im EU-Jargon heißt, beim Führungspersonal gefunden werden.
    Über dieses Thema hat meine Kollegin Sandra Schulz mit Wolfgang Wessels gesprochen, Politikwissenschaftler an der Universität Köln, und sie hat ihn um seine Lesart der Ergebnisse, oder besser des Nichtergebnisses des Gipfels gebeten.
    "Man will seine Leute unterbringen"
    Wolfgang Wessels: Vielleicht entgegen der landläufigen Meinung lese ich daraus, dass man das sehr ernst jetzt nimmt. Man will seine Leute unterbringen und man nimmt das jetzt ernster, als das lange Zeit der Fall war, wo dann jeder so seinen Liebling unterbrachte. Aber jetzt wird das mehr ausgefochten, weil man auch gewisse Positionen besetzen will. Ob das dann am Schluss gut ist, ist eine zweite Frage, aber der erste Schritt ist, man nimmt die Besetzung der Spitzenpositionen jetzt viel ernster, als das in den letzten Fällen der Fall war.
    Sandra Schulz: Jetzt hat selbst der italienische Premier kritisiert, die Steuergelder hätte man sich auch sparen können. Wer hat diese Pleite, dieses Scheitern zu verantworten?
    Wessels: Im Zweifel er selbst mit, denn er hat ja eine Kandidatin vorgeschlagen, die ja nicht auf die, sagen wir mal, Gegenliebe stieß. Man weiß nicht, ob das deshalb war, weil sie aus Italien kam und eine relativ, sagen wir mal, prorussische freundliche Politik scheinbar vertreten hat, oder ob sie auch unerfahren war. Das war wohl ein wesentlicher Kritikpunkt, dass man sagt, wir nehmen nicht "jede", sondern wir schauen, ob jemand auch ausgewiesen und erfahren ist, und das war eben bei dieser Kandidatin nicht der Fall.
    Man muss ja auch sehen, diese Spitzenpolitiker, die ja alle ihr nationales Ego haben, müssen ja ihren Weg auch gemeinsam finden, und da braucht man manchmal Zeit. Das ist für uns Außenstehende manchmal schwierig nachzuvollziehen, aber ich würde dem mal erst keine zu grundsätzliche Bedeutung zumessen.
    Schulz: War das denn tatsächlich jetzt auch die Hauptschwierigkeit, die Personalie, oder ging es da doch eher um den Streit um den Proporz, 2:2 Sozialdemokraten und Christdemokraten?
    "Es gibt verscchiedene Kriterien, die gleichermaßen erfüllt sein müssen"
    Wessels: Ja, es geht ja immer um verschiedene Proporze. Es geht einmal um den Parteienproporz, dann geht es auch um die Frage der Gender-Ausgewogenheit. Deshalb wird eine Frau dort, sagen wir mal, gesetzt sein, was ja auch nicht falsch ist. Dann geht es um den Proporz Süd-, Nord-, Osteuropa. Das war ein Punkt, der sehr stark eingebracht wurde, dass nach den jetzigen Überlegungen niemand aus den neuen oder neueren osteuropäischen Staaten da vertreten sein wird.
    Das heißt, es gibt verschiedene Kriterien, die gleichermaßen erfüllt sein müssen, und das führt mit zu diesem Problem, was manchmal leider dazu führt, dass nicht der Beste oder die Beste ausgewählt sind. Frau Ashton, die Vorgängerin als Außenbeauftragte, war ja nicht die best ausgewiesenste, und das hat sich leider ja auch weitgehend bewiesen oder herausgestellt, dass sie diese Aufgabe nicht so wahrgenommen hat, wie man sich das landläufig vorgestellt hat.
    Schulz: Und gerade der Streit um eben die Nachfolge Ashton, der scheint die Gespräche jetzt auch ziemlich beschwert zu haben. Welche Bedeutung hat das Amt nach Ashton überhaupt noch?
    "Man sollte auch Frau Ashton jetzt nicht nur negativ bewerten"
    Wessels: Das Amt ist sehr wichtig. Man sollte nicht sagen, weil Frau Ashton nicht immer im Zentrum der Weltpolitik stand, auch der Nachfolger oder die Nachfolgerin wird nicht im Zentrum der Weltpolitik stehen. Aber wir brauchen eine Außendarstellung mit einer Stimme und einem Gesicht über fünf Jahre. Man sollte auch Frau Ashton jetzt nicht nur negativ bewerten. Sie hat auch einiges erreicht, im Bereich Kosovo, bei den Gesprächen mit dem Iran. Das heißt, sie hat schon ein gewisses Profil der EU dargestellt. Aber das große Problem ist natürlich, wie sie mit ihren Kollegen aus den nationalen Hauptstädten, insbesondere mit denen aus den größeren zurecht kommt, und das wird für den Nachfolger auch eine wichtige Rolle spielen. Derjenige oder diejenigen, die zu große Erwartungen an diese Position hatten, die sind natürlich enttäuscht.
    Schulz: Sie haben es gerade schon gesagt: Italien hat seine Außenministerin Mogherini ins Spiel gebracht. Die Kritikpunkte haben Sie auch gerade schon genannt. Könnte sie dem Amt denn neue Kontur geben?
    "Man kann nicht lernen, Regierungschef zu werden"
    Wessels: Ja das ist jetzt sehr spekulativ. Wie gesagt, die Voraussetzungen scheinen, nicht die besten zu sein. Sie ist neu im Amt, ein halbes Jahr mehr oder weniger, sie ist auch vorweg nicht besonders ausgewiesen, sie hat nicht besondere Erfahrung im internationalen Bereich gesammelt. Aber wir dürfen nicht vergessen: Wir hatten einen Außenminister, der am längsten da war, der vorweg ein Innenminister war, nämlich Herrn Genscher, der plötzlich Außenminister wurde, weil das in das Parteikalkül passte, und sich dann als ein herausragender Außenpolitiker erwiesen hat, mit Vor- und Nachteilen natürlich. Aber man kann nicht absprechen, dass er nicht ein sehr geschickter Außenminister war. Das heißt, man sollte nie unterschätzen, dass es immer wieder Entwicklungspotenzial gibt und dass für gewisse politische Positionen es auch keine Erfahrungswerte gibt. Man kann nicht lernen darauf. Man kann lernen, Professor zu werden. Ich sage mal, man kann lernen, auch Journalist zu werden. Aber man kann nicht lernen, Regierungschef zu werden, Außenminister zu werden. Man kann Erfahrungen sammeln, manchmal nutzt man sie besser, manchmal schlechter, aber es ist eine neue Herausforderung, und insofern, würde ich jetzt mal sagen, kann man nicht sofort sagen, dass das ein Scheitern ist. Aber vom ganzen Zeichen her, von dem ganzen Hintergrund her würde man doch nicht sagen, dass das die optimale Lösung wäre.
    Heinemann: Der Politikwissenschaftler Professor Wolfgang Wessels von der Universität Köln im Gespräch mit meiner Kollegin Sandra Schulz.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.