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EU und Brexit
Ferber schließt Neuverhandlungen über Austrittsvertrag aus

Die EU habe gegenüber Großbritannien deutlich signalisiert, dass der Austrittsvertrag nicht mehr aufgeschnürt werde, sagte der Europaabgeordnete Markus Ferber (CSU) im Dlf. Die Briten hätten in der Frage um die irische Grenze keine andere Lösung angeboten. Die EU könne sich nicht erpressen lassen.

Markus Ferber im Gespräch mit Dirk Müller | 30.01.2019
    Markus Ferber, MdeP, Landesvorsitzender der Europa-Union Bayern e.V.
    Der Unions-Politiker ist seit 1994 Mitglied im Europäischen Parlament (imago )
    Das Votum aus dem britschen Unterhaus von Dienstagabend sage nur, was die Abgeordneten nicht wollten, so der Europaabgeordnete Ferber. "Ich habe mittlerweile das Gefühl, dass Frau May eher darauf setzt, jetzt den schwarzen Peter nach Brüssel zu schieben, aber nicht eine Lösung herbeizuführen." Doch müsste es nicht um Schuld gehen, sondern darum, wie der sogenannte harte Brexit vermieden werden könnte. Im Rahmen der politischen Erklärungen sei er zu Nachverhandlungen bereit, erklärte Ferber, aber nicht im Rahmen des Austrittsabkommens.
    Das Europäische Parlament berät am Mittwoch über die jüngsten britischen Beschlüsse zum Brexit. In der kurzfristig angesetzten Debatte soll auch der Chefunterhändler der EU, Michel Barnier, Stellung nehmen. Das britische Unterhaus sprach sich am Dienstagabend mehrheitlich dafür aus, den Austrittsvertrag zu ändern, besonders im Hinblick auf die irische Grenze.

    Das Interview in voller Länge
    Das Unterhaus will also keinen harten Schnitt, keinen harten Brexit. London will neuverhandeln, nachverhandeln. Brüssel hat wiederum signalisiert, nichts wird mehr aufgeschnürt. Das wäre dann der No-Deal-Brexit, eben dann doch der harte Schnitt. Am Telefon ist nun der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber, zugleich Mitglied im CSU-Parteivorstand. Guten Morgen!
    Markus Ferber: Guten Morgen, Herr Müller!
    "Theresa May hat immer Rote Linien definiert"
    Müller: Herr Ferber, nehmen Sie das in Kauf, dass der Brexit scheitert?
    Ferber: Entschuldigung, der Brexit scheitern heißt ja in ihrer Sprache dann, dass es kein Abkommen gibt. Wir haben jetzt zwei Jahre mit den Briten verhandelt, mit der britischen Regierung. Frau May hat alle Angebote der Europäischen Union abgelehnt. Sie hat immer Rote Linien definiert, was sie alles nicht will. Sie hat nie gesagt, was sie will. Und selbst das Votum gestern aus dem Unterhaus sagt ja auch nur, was das Unterhaus nicht will. Aber es sagt nicht, was es will. Und das macht es für uns natürlich schon schwierig. Ich habe mittlerweile das Gefühl, dass auch Frau May eher darauf setzt, jetzt den Schwarzen Peter nach Brüssel zu schieben, aber nicht eine Lösung herbeizuführen. Es geht aber nicht um die Schuldfrage, wer ist schuld an einem harten Brexit, sondern es sollte eigentlich um die Frage gehen, wie können wir den harten Brexit wirklich vermeiden.
    Müller: Wenn wir das richtig verstanden haben, hat das Unterhaus sich aber klar jetzt für Nachverhandlungen ausgesprochen. Warum nicht?
    Ferber: Man kann über alles reden, nur die Briten haben bisher keine andere Lösung angeboten, wie das Problem einer Außengrenze – Irland/Nordirland – und das Problem des Karfreitagsabkommens, keine sichtbare Grenze zwischen Irland und Nordirland, aufgelöst werden kann. Wir haben angeboten, dann machen wir es halt so, wir lassen die Frage offen, für einen langen Zeitraum vielleicht, bis wir da eine Lösung haben. Nachdem wir da in zwei Jahren keine Superidee hatten, weiß ich nicht, wie wir jetzt in zwei Wochen eine Superidee haben.
    "Das Unterhaus hat nicht gesagt, was es wirklich will"
    Müller: Aber es ist doch oft so in der Politik.
    Ferber: Das Unterhaus hat ihr auch keine Idee mitgegeben. Das Unterhaus hat nur gesagt, was es nicht will. Es will das Abkommen nicht, es will keine Neuwahlen, es will keinen ungeregelten Brexit, und es will keinen Backstop. Das ist immer nur, was man nicht will. Das Unterhaus hat nicht gesagt, was es wirklich will.
    Müller: Selbst, wenn die Briten es nicht so genau wissen, vor allen Dingen, wenn es, wie Sie ja auch zu Recht sagen, es keine klaren Mehrheiten für etwas gibt, steht Europa realpolitisch – das Argument haben wir eben auch in dem Korrespondentenbericht von Jörg Münchenberg ja gehört –, steht Europa realpolitisch dann trotzdem nicht mit in der Verantwortung, eine Lösung zu finden und noch mal auf London zuzugehen?
    Ferber: Wir haben ja eine Vielzahl von Lösungen angeboten für die Frage der irisch-nordirischen Grenze, und die wurden alle von Frau May verworfen, bevor sie überhaupt ins Unterhaus gegangen sind. Und das macht die Situation so schwierig. Wir wollen, dass der Friedensprozess zwischen Irland und Nordirland und der Friedensprozess in Nordirland seine Fortsetzung findet. Dazu ist das Karfreitagsabkommen zu beachten, das eben offene Grenzen verlangt. Man kann aber von uns auch nicht verlangen, dass jemand aus der EU austritt und keine Grenzkontrollen mehr stattfinden. Eine Europäische Union muss ihre Außengrenzen auch entsprechend schützen und kontrollieren können. Und das ist nicht trivial aufzulösen. Und deswegen ist der Backstop die einzige Lösung, zu sagen, wir verschaffen uns Zeit, nachdem wir es in zwei Jahren nicht geschafft haben, es vielleicht dann in einem längeren Zeitraum zu bekommen. Wenn das den Briten nicht schmeckt, dann sollen sie wirklich konstruktiv sagen, wie die Alternativen ausschauen.
    Müller: Herr Ferber, wir haben ja jetzt nur noch ein paar Wochen bis zu diesem vermeintlichen Austrittsdatum. Ende März, 29. März, das ist so festgeschrieben. Jetzt haben wir aus London gehört, dass es dort vielleicht auch noch einmal von britischer Seite aus Spielraum gibt, in der kommenden Woche. Jetzt ist das erst einmal bestätigt worden, dass es keine Verschiebung geben soll. Aber man weiß ja nie, in London. Meine Frage jetzt noch mal an Sie: Wenn Sie Verhandlungsführer wären in der Europäischen Union, wenn Sie dieses Chaos vor Augen haben, das möglicherweise dann kommt, und dann ja nun definitiv beiden Seiten enorm schaden würde – sagen Sie jetzt trotzdem heute Morgen, das letzte Wort aus Europa ist gesprochen?
    Ferber: Natürlich sind wir zu Verhandlungen bereit, das ist ja auch signalisiert worden. Aber es ist auch signalisiert worden, dass man den Vertrag per se nicht mehr aufschnüren kann. Wir müssen den ja jetzt auch in Kürze im Parlament bekommen. Auch das Europäische Parlament muss ja diesem Austrittsvertrag noch zustimmen. Dann kann sowieso nicht mehr verhandelt werden. Es gibt die Möglichkeit im Rahmen der politischen Erklärung, die ja schon zugesagt ist, noch einmal ein paar Dinge zu beschreiben. Das kann man sicherlich auch genauer fassen. Da kann man auch Prozeduren beschreiben. Aber interessant ist doch auch, was Herr Johnson gestern gesagt hat, und das haben Sie ja im Beitrag auch gehabt. Das ist die Denke dieser Hardliner-Brexiteers, die sagen, die werden uns am Ende nicht fallen lassen, wir kriegen am Ende alles von der EU, weil sie wollen den harten Brexit auf alle Fälle vermeiden.
    "Wir können uns doch nicht erpressen lassen"
    Müller: Aber die Hardliner sind ja nun da, Herr Ferber.
    Ferber: Ja, aber wir können uns doch auch nicht erpressen lassen und sagen, jawohl, das ist eine Außengrenze, aber da kontrollieren wir nicht. Das kann von uns auch keiner verlangen.
    Müller: Aber ich habe das jetzt nicht ganz verstanden. Sie sagen, Sie sind zu Nachverhandlungen bereit, was wir jetzt aus Brüssel auch –
    Ferber: Im Rahmen der politischen Erklärungen. Nicht im Rahmen des Austrittsabkommens.
    Müller: Und das ist so entscheidend, dass das Vertragsabkommen nicht noch einmal aufgeschnürt werden kann? Das wird in anderen politischen Bereichen doch auch gemacht.
    Ferber: Ja, aber was sollen wir da reinschreiben?
    Müller: Das weiß ich nicht.
    Ferber: Den polnischen Vorschlag, wir befristen es auf fünf Jahre – Entschuldigung, das ist keine Lösung, weil was ist dann, wenn wir in fünf Jahren keine Lösung haben. Dann können wir die Grenze auch nicht auflassen. Das, was die Briten kritisieren, haben sie sich selbst eingebrockt, und deswegen müssen sie jetzt auch mal ein bisschen konstruktiver werden, wenn man dieses Problem auflösen kann. Frau May hat mal eine High-Tech-Grenze angeboten. Ich weiß auch nicht, wie das funktionieren soll, alle 75 Meter ein Mast mit Kamera und Überwachungstechnologien. Ist das das Modell, das die Briten sich wirklich vorstellen? Da wünsche ich allen dann viel Spaß, die wir hier Schmuggel, unkontrollierte Warenübergänge und Ähnliches mehr vermeiden können.
    "Eine Außengrenze ist eine Außengrenze"
    Müller: Außengrenze ist Außengrenze. Da gibt es keinen Spielraum für Sie?
    Ferber: Noch mal: Entweder, wir haben Außengrenzen, die auch kontrolliert werden, oder wir hören auf mit dem ganzen Thema. Sie wissen, was es an anderen Stellen in der Europäischen Union bedeutet.
    Müller: Aber hier geht es ja um Großbritannien.
    Ferber: Ja, Entschuldigung, aber das heißt doch nicht, weil es Großbritannien ist, dürfen wir keine Grenzkontrollen mehr machen. Eine Außengrenze ist eine Außengrenze. Die Briten sagen ja auch, es ist eine Außengrenze.
    Müller: Also da sehen Sie gar keinen Spielraum, haben wir jetzt schon diskutiert. Vielleicht noch mal ein anderer Punkt. Wir hören jetzt immer, es ist die Notfalllösung für Irland, die dort nicht passt, die dort nicht angenommen wird in London, die mit großer Wahrscheinlichkeit keine Mehrheit finden wird. Wir haben das gestern im Parlament ja auch wieder gesehen. Glauben Sie denn intern, dass diese nordirische Frage die einzige, entscheidende Frage ist, oder gibt es noch mehr dahinter?
    Ferber: Das ist jetzt die Auskunft, die wir aus dem Unterhaus bekommen haben. Der Backstop ist der offene Punkt von den 585 Seiten des Austrittsabkommens. Nur, die Briten haben den Austritt beschlossen, nicht die Iren. Das, was die Briten die letzten zwei Wochen diskutiert haben, hätte ja bedeutet, dass Irland auch faktisch aus der EU austritt, mindestens aus dem Binnenmarkt. Entschuldigung, das gibt das Votum des Referendums auch nicht her, dass die gleich noch über andere beschließen, was die zu tun und zu lassen haben. Auch das ist eine sehr vermessene Analyse in Großbritannien gewesen.
    "Weitreichende Konsequenzen auch für uns in Deutschland"
    Müller: Sie haben in den vergangenen Wochen, Herr Ferber, ja viel mit Ihren britischen Kollegen gesprochen, Sie haben auch viele Kontakte nach London. Wir haben das häufiger auch im Deutschlandfunk thematisiert. Was sagt Ihr Bauchgefühl? Geht die ganze Sache schief?
    Ferber: Das einzig Positive, das ich von gestern mitnehme, auch das hat ja der Beitrag gesagt, ist, dass Herr Corbyn jetzt zum ersten Mal bereit ist, mit der Regierung zu reden. Vielleicht gelingt es ja doch noch, aus dem Herzen des Parlaments die konstruktiven Kräfte parteiübergreifend zusammenzubündeln und auch im Unterhaus eine konstruktive Lösung zu finden. Das ist die letzte Hoffnung, die ich noch habe. Sie werden die Hardliner bei den Tories und die Hardliner bei den Labours damit ausgrenzen können. Es bedeutet aber dann auch, und das ist der bittere Beigeschmack für Herrn Corbyn, es wird keine Neuwahlen geben, und er muss dann aufpassen, dass er nicht selbst unter die Räder gerät. Und auch das ist bisher ja der Grund gewesen, warum diese parteiübergreifenden Verhandlungen nicht stattfinden konnten.
    Müller: Ärgert Sie das ein bisschen, dass Sie jetzt jeden Tag auch so detailliert sich mit britischer Innenpolitik befassen müssen? Wir müssen das auch machen. Viele finden das anstrengend, die Hörer haben uns das auch schon geschrieben. Immer wieder Brexit. Ist das wirklich so entscheidend, ist es so wichtig? Müssen wir das so detailliert immer wieder covern?
    Ferber: Natürlich ist es wichtig, weil das ist eine Entscheidung eines Landes, die sehr weitreichende Konsequenzen auch für uns in Deutschland hat, nicht nur in ökonomischer Art, sondern auch in der Frage, wie funktioniert diese Europäische Union, wie hat sie noch Bindungskräfte, um Länder zusammenzuhalten und Zusammenarbeit zu organisieren. Auf der anderen Seite habe ich bisher den Eindruck gehabt, es geht Großbritannien nur darum, das Bestmögliche durch Erpressung bei uns rauszuholen, ohne sich selbst bewegen zu müssen. Und vielleicht gelingt es jetzt – das ist der einzige Hoffnungsschimmer von gestern –, dass sich hier vernünftige Kräfte in der Mitte des Hauses zusammenfinden, um dieses Problem zu lösen und dann sich wieder in den alten innenpolitischen Streit bei Gesundheit und Transport zu finden. Dann soll es mir recht sein, weil dann hätten wir doch die Lösung hinbekommen.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag!
    Ferber: Gern, Herr Müller!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.