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EuGH-Urteil zum kirchlichen Arbeitsrecht
"Pauschal Kirchenmitgliedschaft zu fordern - das wird wohl so nicht zu halten sein"

Die Kirchen müssen künftig bei Stellenausschreibungen begründen, warum sie von Bewerbern eine bestimmte Konfession erwarten. Das hat der EuGh entschieden. Das Urteil wird Auswirkungen auf Deutschland haben, sagt der Jurist Hans-Michael Heinig, aber die Kirchen bleiben "spezielle Arbeitgeber."

Hans Michael Heinig im Gespräch Levent Aktoprak | 18.04.2018
    Logo an einem Haus der Diakonie in Deutschland.
    Logo an einem Haus der Diakonie in Deutschland. (imago / CHROMORANGE)
    Levent Aktoprak: Gestern haben die Richter am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zu einem Fall aus Deutschland entschieden. Wenn kirchliche Arbeitgeber von Stellenbewerbern die Kirchenmitgliedschaft verlangen, müssen sie eine gerichtliche Überprüfung in Kauf nehmen. Eine konfessionslose Berlinerin hatte sich erfolglos beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung beworben und daraufhin wegen religiöser Diskriminierung geklagt. Es muss dem Urteil zufolge objektiv ein direkter Zusammenhang zwischen der Konfession und der fraglichen Tätigkeit bestehen, zum Beispiel wenn diese mit einem Beitrag zum "Verkündigungsauftrag" der kirchlichen Einrichtung verbunden sei.
    Jetzt muss allerdings noch die deutsche Justiz über den Fall entscheiden und der Klägerin gegebenenfalls die von ihr geforderten rund 10.000 Euro Entschädigung zusprechen. Ich bin jetzt verbunden mit Prof. Hans Michael Heinig. Er ist Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland und Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Georg-August-Universität in Göttingen. Guten Morgen.
    Hans Michael Heinig: Guten Morgen.
    Aktoprak: Eigentlich steht, Professor Heinig, den staatlichen Gerichten nicht zu, über das Ethos kirchlicher Arbeitgeber als solche zu befinden, und dennoch hat es ein Gericht getan. Wie bewerten Sie das?
    Heinig: Der Europäische Gerichtshof hat festgehalten, dass die theologischen Fragen nicht Gegenstand gerichtlicher Überprüfung sind. Also das Ethos als solches werden Gerichte auch weiterhin typischerweise nicht überprüfen. Und zum Ethos der evangelischen Kirche gehört, sich als Dienstgemeinschaft zu verstehen und daraus ein theologisches Konstrukt zu bilden und bestimmte Konsequenzen zu ziehen, etwa auch für Loyalitätspflichten. Aber die weltlichen Wirkungen, die unterliegen nun einer intensiveren gerichtlichen Kontrolle, so der EuGH - eine Absetzung von dem, was das Bundesverfassungsgericht bisher entschieden hat.
    Wie erkennbar soll Kirche sein?
    Aktoprak: Es wird von verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Kreisen die Frage gestellt, ob das kirchliche Sonderarbeitsrecht in Deutschland eigentlich zeitgemäß ist und ob es nicht abgeschafft gehört. Wie stehen Sie dazu?
    Heinig: Na, die Kirche ist schon ein spezieller Arbeitgeber, und das ist auch allgemein anerkannt. Das erkennt auch das Europarecht an. Das Antidiskriminierungsrecht ist europäisch geprägt, und wir haben gerade eine besondere Regelung in diesem Antidiskriminierungsrecht für kirchliche Arbeitgeber. Das sieht man schon, dass allgemein europäisch vermittelt ist, dass es Sonderkonstellationen gibt. Es ist eben ein ganz spezieller Arbeitgeber, weil im Hintergrund des kirchlichen Arbeitsrechts immer die Frage mitverhandelt wird, was die Kirche zur Kirche macht. Und das ist eine theologische Frage, die sich so für andere Arbeitgeber nicht stellt.
    Hans Michael Heinig, Professor für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht an der Uni Göttingen
    Hans Michael Heinig, Professor für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht an der Uni Göttingen (Universität Göttingen / Daniel Moeller Fotografie)
    Aktoprak: Dieses Urteil, diese Entscheidung der europäischen Richter ist doch eigentlich auch eine Stärkung der Arbeitnehmerrechte, der Arbeitnehmer-/innen und der Religionsfreiheit kann man sagen.
    Heinig: Es stehen zwei Aspekte der Religionsfreiheit hier gegenüber: Das eine ist die Religionsfreiheit der Kirche und ihrer Mitglieder, es ist ja nicht so, dass da in der evangelischen Kirche nur ein paar Obere entscheiden, sondern es sind synodale Entscheidungen, die gleichsam demokratisch legitimiert sind: dass man sich darauf verständigt, was macht die Kirche im Arbeitsleben aus und was brauchen wir eigentlich, damit wir als Kirche auch erkennbar sind nach außen? Und da meint man im Grundsatz die Kirchenmitgliedschaft zu fordern und davon dann Ausnahmen zuzulassen, das ist ja bisher schon weitestgehend praktiziert.
    Auf der anderen Seite haben wir ein allgemeines Arbeitsleben - und die Diakonie ist ein großer Arbeitgeber - sodass die gesellschaftliche Erwartung schon ist, dass dort weitestgehend die allgemeinen Regeln gelten und deshalb Religion für die Begründung eines Arbeitsverhältnisses keine Rolle spielt. Und das ist ein Grundkonflikt der individuellen gegen die kooperative Religionsfreiheit, das ist aber auch nicht ganz selten, das ist eigentlich ein staats-kirchenrechtlicher Klassiker.
    Grundspannung zwischen Religionsfreiheit und Diskriminierungsverbot
    Aktoprak: Warum tat sich die deutsche Justiz so schwer? In Deutschland ging der Fall nämlich mit widersprüchlichen Entscheidungen durch die Instanzen. Warum konnte so eine Entscheidung wie gestern in Luxemburg nicht in Deutschland getroffen werden? Warum musste man sich Hilfe holen?
    Heinig: Na Hilfe hat man sich nicht geholt, sondern wir haben eben ein sehr komplexes Recht inzwischen, in dem europäische und nationale Aspekte ineinander greifen, und das geht nicht immer nahtlos auf. In diesem Falle haben wir eben ein europäisches Antidiskriminierungsrecht, dass in deutsches Recht umgesetzt werden muss, deshalb ist der EuGH zuständig. Und zugleich sind Fragen der Religionsfreiheit berührt, damit verfassungsrechtliche Fragen nach deutschem Recht, und da ist das Bundesverfassungsgericht letztlich für zuständig. Und zwischen diesen beiden Logiken, Rechtslogiken klafft ein Widerspruch, und nun hat der EuGH seine Perspektive dazu eingebracht. Jetzt sind wir alle gespannt, wie das Bundesarbeitsgericht damit umgeht und sozusagen diese Grundspannung zwischen verfassungsrechtlichen Vorgaben nach deutschem Recht und Europarecht in der Lesart des EuGH zusammenbringt.
    Änderung des Kirchenrechts ist wahrscheinlich
    Aktoprak: Was bedeutet das nun konkret, dieses Urteil der europäischen Richter in Luxemburg für den kirchlichen Arbeitgeber?
    Heinig: Also wir reden über ungefähr 600.000 Arbeitsverhältnisse in der Diakonie und in der verfassten Kirche. Und nachdem, was der EuGH jetzt entschieden hat wird man sagen können, erstens wird es zukünftig eine intensivere gerichtliche Kontrolle geben der kirchlich gesetzten Kriterien. Und die bisher kirchengesetzlich geregelte, das Erfordernis einer pauschalen Kirchenmitgliedschaft wird wohl so nicht zu halten sein, sondern wir brauchen einrichtungs- und arbeitsplatzspezifischere Begründungen in der Kirche, wenn man denn eine Kirchenmitgliedschaft weiter über Leitung und Verkündigung hinaus verlangen will.
    Aktoprak: Das heißt auch Änderungen des Kirchenrechts, des Arbeitsrechts. Kommt das auf die Evangelische Kirche zu?
    Heinig: Jedenfalls, wenn sie sich dafür entscheidet, weiterhin relativ, also breiter angelegt, als das im sonstigen Arbeitsrecht der Fall ist, eine Religionszugehörigkeit hier zu verlangen, ja.
    Aktoprak: Professor Heinig, ich bedanke mich für das Gespräch.
    Heinig: Danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.