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Euro-Austritt Griechenlands
"Ein Pokerspiel auf sehr hohem Niveau"

Ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone sei das allerletzte Szenario, das irgendjemand in der EU anstrebe, sagte der österreichische Europapolitiker Michel Reimon im DLF. Griechenland habe kein anderes Druckmittel, als anzukündigen, Schulden nicht zu bezahlen. Ein Kompromiss sei auch mit dem Linkspolitiker Tsipras möglich.

Michel Reimon im Gespräch mit Sandra Schulz | 05.01.2015
    Der österreichische Europa-Abgeordnete Michel Reimon (Grüne).
    Der österreichische Europa-Abgeordnete Michel Reimon (Grüne). (Imago / Eibner Europa)
    Die Reaktionen der Bundesregierung auf die Drohungen Griechenlands seien ein Bluff. "Was wir hier erleben, ist ein Pokerspiel auf sehr hohem Niveau", so Reimon.
    Der Grünen-Politiker kritisierte den von der EU geforderten Sparkurs. "Was wir brauchen, ist eine Umschichtung der Vermögen, eine Entlastung der Ärmsten." Man müsse den Griechen erlauben, Geld auszugeben und die Binnennachfrage zu steigern. Griechenland sei natürlich nicht frei von jeder Schuld, aber es sei richtig, Widerstand gegen den "brutalen" Sparkurs zu leisten.
    Das stellvertretende Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung nahm den linken Oppositionschef Alexis Tsipras in Schutz vor Kritik. "Konservative und Sozialisten haben es in den vergangenen Jahrzehnten verbockt", sagte Reimon. Tsipras sei bisher noch keine Minute an der Regierung und man müsse ihm erst mal eine Chance geben. Auch mit ihm sei ein Kompromiss möglich: "Er will unbedingt in der Eurozone bleiben."

    Sandra Schulz: Ist die griechische Euro-Krise zurück? Jedenfalls zurück sind Gedankenspiele und Spekulationen über ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone, seitdem klar ist, dass es vorgezogene Parlamentswahlen geben wird in Griechenland. Bei guten Chancen für die linke Syriza-Partei, die sich, verknappt gesagt, vom Konsolidierungskurs verabschieden will und die Schulden neu verhandeln, seitdem haben die Gedankenspiele über den sogenannten Grexit wieder Konjunktur. Der „Spiegel" berichtet, dass Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble einen Euro ohne Griechenland inzwischen für verkraftbar hielten. Darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon ist der österreichische Europaparlamentarier Michel Reimon, für die Grünen Stellvertreter im Ausschuss für Wirtschaft und Währung. Guten Morgen!
    Michel Reimon: Guten Morgen.
    Schulz: Ein Euro ohne Griechenland, wird das jetzt vorstellbar?
    Reimon: Ich glaube, das ist das allerletzte Szenario, das irgendjemand in der Europäischen Union anstrebt. Was wir hier erleben, ist ein Pokerspiel auf sehr hohem Niveau. Tsipras, der griechische Kandidat, will neu verhandeln, will die Schuldenpolitik der Europäischen Union auf den Prüfstand stellen, der Sparkurs, der Griechenland aufgezwungen wird, soll neu diskutiert werden, und er hat kein Druckmittel, kein anderes, als anzukündigen, die Schulden zu streichen. Und das will natürlich die deutsche Bundesregierung nicht und setzt jetzt einen Bluff dagegen, um zu sagen, na gut, wenn Du damit drohst, dann verlass eben die Eurozone.
    "Ein Bluff der deutschen Regierung"
    Schulz: Aber ist das nicht der Unterschied zwischen den beiden Positionen, dass, wie Sie gerade sagen, Tsipras kein Druckmittel hat, die Bundesregierung aber schon?
    Reimon: Er hat ein Druckmittel. Er hat das Druckmittel, Schulden einfach nicht zu bezahlen. Das wäre natürlich eine fatale Möglichkeit. Das wissen auch die Griechen, das weiß auch Tsipras. Darauf will er nicht rauskommen und genau deswegen versucht offensichtlich das deutsche Finanzministerium, hier Druck entgegenzusetzen. Es ist ja bemerkenswert, dass es von der deutschen Bundesregierung, also von hochrangigen Politikern, von Merkel oder Schäuble, keine direkte Stellungnahme dazu gibt. Der „Spiegel"-Bericht sagt ja nur, aus dem Umfeld der deutschen Regierung. Das heißt, ich glaube wirklich, dass das ein Bluff ist und nicht wirklich das Ziel der deutschen Regierung.
    Schulz: Aber ist es nicht wichtig und richtig, den Druck zu erhöhen, gerade wenn es diese Gedankenspiele gibt von Tsipras und der Syriza, sich aus dem Sparkurs rauszuziehen?
    Reimon: Das ist eine Grundsatzeinschätzung, wie man der Sparpolitik und der Krisenpolitik der Europäischen Union gegenübersteht. Ich glaube, dass es völlig falsch ist, Griechenland in so einen brutalen Sparkurs zu zwingen. Ich glaube, dass der gesamte Austeritätskurs der Union der letzten Jahre vollkommen falsch ist, dass es richtig ist, dagegen Widerstand zu leisten. Da ist es durchaus willkommen, wenn das eine europäische Regierung sehr offensiv macht. Auf der anderen Seite muss man sagen, die Maximaldrohung von Tsipras wäre sicher nicht gut für Griechenland, sicher nicht gut für die gesamte Union. Noch einmal: Es ist ein Pokerspiel. Es gilt jetzt für alle Seite, da die Nerven zu bewahren.
    Schulz: Der griechische Schuldenberg liegt bei 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Gibt es da eine Alternative zum Sparen?
    Reimon: Selbstverständlich. Es gibt Vermögen in beträchtlicher Höhe. Es wird einseitig in ganz Europa derzeit nur auf Ausgabensenkung gesetzt. Das trifft in ganz Europa die Arbeitsmärkte, nicht in Deutschland, weil Deutschland Exportweltmeister ist und auch innerhalb der Europäischen Union einen Exportüberschuss hat. In den meisten anderen Ländern ist dieser Sparkurs fatal. Was wir brauchen, ist eine Umschichtung der Vermögen, eine Entlastung der Ärmsten, damit der Konsum auch wieder steigt in diesem Bereich. Es gibt eine dritte Möglichkeit und die wird auch massiv von der deutschen Bundesregierung verhindert.
    Griechenland nicht von der Verantwortung freisprechen
    Schulz: Aber Griechenland hat es ja nach wie vor auch nicht geschafft, ein funktionierendes Steuersystem einzuführen, was ja auch ein Teil der europäischen Forderung ist. Gibt es eine Alternative dazu, zu sagen, jetzt macht Ernst?
    Reimon: Nein. Man muss jetzt da dann auch Griechenland nicht freisprechen von jeder Verantwortung und von jeder Schuld an dieser Misere. Darum geht es nicht. Selbstverständlich hat Griechenland ein vernünftiges Steuersystem einzuführen. Selbstverständlich hat die griechische Verwaltung in diesem Bereich viel, viel besser zu werden. Das ist aber ein Versäumnis, das man Tsipras nun wirklich nicht vorwerfen kann. Der war bisher noch keine Minute an der Regierung. Da waren schon Konservative und Sozialisten, die das in den letzten Jahrzehnten verbockt haben. Da muss man Tsipras die Chance geben, in diesem Bereich tätig zu werden. Das ist, glaube ich, eine gute Tradition in Europa, dass man sich nicht in die Innenpolitik der anderen Länder vor Wahlen einmischt und versucht, die zu beeinflussen. Das wird hier auch etwas mit Füßen getreten, diese Tradition.
    Schulz: Womit rechnen Sie? Was wird passieren, sollte Tsipras gewählt werden? Es kommt jetzt aus allen Richtungen die Warnung und die Ermahnung, wir gehen davon aus, dass Griechenland seine Verpflichtungen erfüllt. Könnte das passieren, dass Tsipras gewählt wird und da nachgibt?
    Reimon: Ich rechne fest damit, dass er nachgibt, wenn man seine Maximaldrohung quasi als Ausgangspunkt nimmt. Noch einmal: Er will und er sagt ja auch in Griechenland, er will unbedingt in der Eurozone bleiben. Das ist Teil des Wahlkampfes. Er will Milderungen im Sparprogramm. Er will Nachlässe bei den Zinsen. Er will einen Mindestlohn wieder einführen dürfen. Wenn man ihm da entgegenkommt, dann wird er natürlich von seinen Maximaldrohungen abrücken, weil er die ja gar nicht umsetzen möchte. Ich glaube, dass ein Kompromiss möglich ist und dass ein Kompromiss im Sinne einer nicht neoliberalen Wirtschaftspolitik in Europa durchaus sinnvoll sein kann. Man kann natürlich im Vorfeld jetzt nicht die Details bewerten, aber das Ganze ist und muss keine Katastrophe für Europa sein. Ganz im Gegenteil: Es kann eine Abkehr vom völlig falschen Wirtschafts- und Sparkurs der letzten Jahre hier bringen.
    Binnennachfrage muss angekurbelt werden
    Schulz: Was macht Sie denn da so zuversichtlich? Tsipras hat ja allein Wahlversprechen in Höhe von zehn Milliarden Euro gemacht. Wo soll das Geld herkommen? Aus Europa, verstehe ich Sie da richtig?
    Reimon: Es geht nicht darum, mit zusätzlichem Geld aus Europa seine Wahlkampfversprechen zu finanzieren. Es geht darum: Sie müssen ja auch europäische Schulden bedienen, Zinsen bedienen. Man kann Griechenland da stunden und man sollte das tun. Warum? ..., weil wir die Binnennachfrage in Griechenland ankurbeln müssen. Wir haben dort eine Jugendarbeitslosigkeit von fast 50 Prozent. Wir können natürlich darauf bestehen, dass Griechenland diesen Sparkurs beibehält, aber dann bestehen wir auch darauf, dass diese Jugendarbeitslosigkeit so hoch bleibt. Wenn wir den Griechen erlauben, Geld auszugeben, und das, bitte, in bester keynesianischer Manier, wie wir vor Jahrzehnten in Europa gewirtschaftet haben - auch Deutschland hat nach einer Krise oder nach einem Krieg, besser gesagt, nicht sämtliche Schulden, Reparationszahlungen und so weiter zurückzahlen müssen, sondern durfte jahrzehntelang in die eigene Wirtschaft investieren. Diese Möglichkeit muss man letztlich auch Griechenland geben. Wenn die keine Binnennachfrage schaffen, werden sie immer so kaputt bleiben wirtschaftlich. Das bliebe eine logische Folge davon.
    Schulz: Der österreichische Grünen-Europaparlamentarier Michel Reimon heute hier in den Informationen am Morgen im Deutschlandfunk. Haben Sie herzlichen Dank!
    Reimon: Bitte, gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.