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Euro-Krise "ist ein reines Staatsschuldenproblem"

Manfred Neumann hält eine geregelte Insolvenz für bankrotte EU-Staaten für einen gangbaren Weg. Die Staatsschuld könne dann dadurch verkleinert werden, dass die Gläubiger auf Anteile ihrer Einlagen verzichten müssten.

Manfred Neumann im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Martin Zagatta: Erst Griechenland, dann Irland und jetzt wahrscheinlich Portugal. Auch Spanien und Belgien sind wo möglich auf Hilfsgelder der EU angewiesen. Doch kann die Union, kann Deutschland sich das noch länger leisten, oder wäre es sinnvoller, einen Staat wie Griechenland auch einmal bankrottgehen zu lassen? – Zu dem Thema Überschuldung und Staatsinsolvenz in der EU hat der wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums heute Vormittag ein Gutachten vorgelegt. Der Autor der Studie ist Professor Manfred Neumann, der Direktor des Instituts für internationale Wirtschaftspolitik der Universität Bonn. Guten Tag, Herr Professor Neumann.

    Manfred Neumann: Guten Tag!

    Zagatta: Herr Neumann, um vielleicht gleich mit der Schlussfolgerung Ihres Gutachtens anzufangen. Was raten Sie denn Wirtschaftsminister Brüderle, so weitermachen wie bisher und zahlen, oder vielleicht doch einmal einen Staat wie Griechenland Pleite gehen zu lassen?

    Neumann: Das ist nicht nur mein Rat, sondern ich habe eine Arbeitsgruppe geleitet, die zu diesem Schluss gekommen ist. Wir sind der Auffassung, dass man grundsätzlich bereit sein muss, auch einem solchen Staat zu sagen, ihr müsst in die Insolvenz gehen, weil die Insolvenz ist für den Staat letztlich hilfreich, denn die Anleger, die die Staatsschuld halten von diesem Staat, können dann zur Kasse gebeten werden, dass sie sagen wir auf 20, 25 Prozent ihrer Ansprüche verzichten müssen, oder, wenn sie es nicht tun, gar nichts vielleicht erhalten werden.

    Zagatta: Aber wie könnte das ablaufen? Das würde ja auch gleichbedeutend damit sein, dass dieser Staat dann auf den Euro verzichten müsste. Oder kann das sein, mit dem Euro in die Insolvenz gehen? Das geht, ja?

    Neumann: Ja, man kann mit dem Euro in die Insolvenz gehen, weil der Euro ist das Zahlungsmittel, das von der gesamten Gemeinschaft reguliert wird. Das bleibt. Aber insolvent geht nur der betreffende Staat. Nehmen wir ein Beispiel. Zum Beispiel der griechische Staat wäre in Insolvenz gegangen, dann hätte man gesagt, von deinen 300 Milliarden Staatsschuld sollen sich die Anleger mit zehn Prozent beteiligen, dann sind es nur noch 270 Milliarden, und dafür hätte man dann ein Programm gemacht. – Die Idee ist halt, dass ein solcher Staat auch wieder Luft braucht, verstehen Sie, und dazu kommt, dass man halt auch dafür sorgen muss, dass es nicht für die Steuerzahler eines Tages zu teuer werden wird, für den Fall, dass der Staat nicht in der Lage ist, sich wieder zu rappeln.

    Zagatta: Aber was würde das dann für den Euro bedeuten, denn der bliebe ja nach wie vor eine Gemeinschaftswährung?

    Neumann: Der Euro bliebe eine Gemeinschaftswährung. Wir haben ja auch bisher gar keine Euro-Krise gehabt. Man sprach zwar davon, nur deswegen, weil der Euro mal um zehn Prozent gegenüber dem Dollar abgesackt war, aber der Euro ist heute stärker, als er vor zehn Jahren gegenüber dem Dollar war. Das ist überhaupt kein Währungsproblem, sondern das ist ein reines Staatsschuldenproblem.

    Zagatta: Das heißt, die Währung würde dann nicht abstürzen oder in eine Krise geraten? Da sind Sie sicher, ja?

    Neumann: Nein. Sie würde vielleicht um drei, vier Cent mal sich bewegen, aber das ist nun wirklich keine Tragik, über die man reden muss. Ich glaube, dass die Politik da zu viel Wirbel daraus gemacht hat. Wir sind der Meinung, nein, wir brauchen jetzt eine klare Regelung. Ich sage Ihnen auch warum. Wenn wir das nicht machen in der EU, wenn wir jetzt nicht klare Regelungen finden der Art, ja, wir geben einem Staat, der in Probleme kommt, einen Kredit, aber vorher muss er in die Insolvenz gehen, wenn wir das nicht machen, dann wird man erleben, dass über die nächsten 10, 15 Jahre die Programme immer größer gemacht werden müssen, dass man sich daran gewöhnt, man muss immer mehr Kredit geben. Das ist sicherlich nicht, was wir wollen.

    Zagatta: Wie könnte das überhaupt ablaufen? Müsste ein Staat von sich aus bereit sein, dann die Insolvenz anzumelden, oder könnte die EU ihn dazu irgendwie zwingen? Das geht ja wohl kaum.

    Neumann: Ja. Im Prinzip, wenn man es brutal betrachtet, kann die EU ihn zwingen, nämlich sie kann ihm sagen, pass mal auf, wenn du das nicht machst, geben wir dir keinen Kredit, dann musst du halt selber sehen, wie du zurande kommst. Und dieser Staat wird dann gezwungen, ganz alleine von dem Markt, weil ihm die privaten Anleger auch keinen Kredit geben.

    Zagatta: Aber das, so eine Drohung, das stand ja bei Griechenland im Raum, das würde doch dem Euro dann ganz schnell schaden?

    Neumann: Wieso? Ich meine, warum soll das dem Euro schaden? Das sehe ich überhaupt nicht, denn das ist ja gerade ein Mechanismus, wie man erreichen kann, dass dieser Staat, um den es geht, wieder auf die Füße kommt und wirtschaften kann in der Zukunft, und das sollte ja den Euro stärken, statt ihn zu schwächen.

    Zagatta: Halten Sie das für vorstellbar, dass Griechenland oder Irland diesen Weg wählt?

    Neumann: Freiwillig tut das keine Politik, kein Politiker, aber wenn er mal in der Situation ist, wo er keine Alternativen hat, muss er es halt tun. Worum es jetzt geht, ist, dass man klar macht, in der Zukunft wird das so sein, denn dann hat man den Vorteil, dass die Politiker sich anstrengen, es gar nicht da hinkommen zu lassen.

    Zagatta: Wie realistisch halten Sie jetzt Ihren Vorschlag? Ich meine das dahin gehend, wie sehen Sie das? Die Bundesregierung fährt ja einen ganz, einen völlig anderen Kurs.

    Neumann: Die Bundesregierung hatte auf jeden Fall zunächst diesen Standpunkt klar eingenommen. Das muss man hervorheben. Sie hat das Mitte letzten Jahres so klar in die Verhandlungen eingebracht. Wo die Verhandlungen im Moment stehen, kann ich nicht beurteilen, aber das darf man nicht fahren lassen. Wenn die Bundesregierung da nachgibt, dann sehe ich eigentlich, dass wir in eine Transferunion rutschen werden, ohne dass wir eine politische Union haben. Aber ohne politische Union kann man dann die Transfers nicht mehr kontrollieren. Verstehen Sie? Die entgleiten einem dann und das geht immer zulasten der Steuerzahler.

    Zagatta: Was konkret erwarten Sie jetzt von Minister Brüderle, dass der Ihre Gutachten übernimmt und genau diese Politik jetzt einfordert?

    Neumann: Ja. Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung sich ansieht, was in unserem Gutachten gut ist, jetzt in die Verhandlungen einzubringen. Nächsten Montag haben wir ja Ecofin-Treffen, das Treffen der Finanzminister der Euro-Union, und dann werden wir sehen.

    Zagatta: Wie schnell sollte so was umgesetzt werden? Ist der Euro-Schutzschirm, von dem wir ja jetzt in den letzten Wochen und Monaten immer wieder geredet haben, der jetzt bei Portugal zur Debatte steht, schon betroffen, oder sind das Regelungen, die Sie für 2013 vorschlagen?

    Neumann: Nein, nein. Diese Regelungen könnten erst ab Mitte 2013 frühestens Platz greifen, vorher nicht. Das ist klar. Wir haben jetzt noch den alten Rettungsschirm, aber mit diesen Regelungen würde man ja einen neuen Rettungsschirm verbinden. Der alte soll ja auslaufen. Daran wird man hoffentlich festhalten.

    Zagatta: Und die Diskussion um private Gläubiger, die man da ja fürchtet, dass die sich dann irgendwie zurückziehen könnten, dass die Zinsen gewaltig nach oben gingen, die fürchten Sie nicht?

    Neumann: Wissen Sie, in gewissem Sinne wäre es besser, wenn die Zinsen etwas höher wären für Staatsschuld, nämlich dem Risiko entsprechend. Das wäre eigentlich richtig. Im Moment sind sie viel zu niedrig und das bedeutet, dass sie dem Risiko nicht gerecht werden, und daher kann der Staat, können die Staaten, muss ich sagen, sich zu stark verschulden und missachten die Risiken selber. Das kann nicht sein.

    Zagatta: Aber diese enormen Schulden, die wir schon angehäuft haben, oder viele Länder in der EU schon angehäuft haben, gerade die, die jetzt dort betroffen wären, die würden ja dadurch noch größer?

    Neumann: Nein! Wir wollen ja disziplinierende Wirkung. Wir würden eine disziplinierende Wirkung bekommen erstens für die Regierungen, weil die Regierungen werden sagen, das können wir uns nicht erlauben in der Zukunft, dass wir insolvent gehen müssen. Das stürzt sicherlich jede Regierung, wenn sie das erklären muss. Und die Disziplinierungswirkung wird auch von der Anlegerseite, von den Finanzmärkten herkommen, weil die sagen werden, okay, wir haben die Risiken nicht genügend beachtet, wir müssen grundsätzlich mehr verlangen, wenn wir Staatsschuld erwerben, und das verteuert die Verschuldung, und das wird die Parlamentarier in den Ländern darauf bringen, dass man eigentlich Staatsausgaben mit Steuern finanzieren muss und nicht mit Verschuldung.

    Zagatta: Dann sind wir jetzt ganz gespannt, wie die Bundesregierung mit Ihrem Gutachten umgehen wird, ob sie sich daran hält. Danke schön für dieses Gespräch, Herr Neumann. – Das war Professor Manfred Neumann, der Direktor des Instituts für internationale Wirtschaftspolitik der Universität Bonn, mit seinem Gutachten, das er heute dem Wirtschaftsministerium vorgelegt hat.