Montag, 29. April 2024

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Euro-Rettungsschirm: "Das Mäandern geht weiter"

Der Bundestag hat mit großer Mehrheit die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms beschlossen. Damit ist die Diskussion um die Schuldenkrise nicht beendet. Für Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter steht die eigentliche Bewährungsprobe für die Deutschen und ihre Nachbarn noch aus.

Heinrich Oberreuter im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 29.09.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Es sei die vielleicht wichtigste Abstimmung der Kanzlerschaft Angela Merkels, die Abstimmung über die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms namens EFSF. Eine Reihe von Abgeordneten aus Union und FDP hatte ja angekündigt, dem Gesetz nicht zustimmen zu wollen, und doch stand am Ende die Mehrheit, wenig überraschend, denn SPD und Grüne hatten bereits angekündigt zuzustimmen.

    Wir sprechen in den kommenden Minuten über das Ergebnis mit dem Politikwissenschaftler Professor Heinrich Oberreuter von der Akademie für politische Bildung in Tutzing. Schönen guten Tag!

    Heinrich Oberreuter: Ja guten Tag, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Professor Oberreuter, in den vergangenen Tagen war ja heftig darüber spekuliert worden, ob denn die sogenannte Kanzlermehrheit zustande kommt oder nicht, ob die Koalition wenigstens eine eigene Mehrheit erzielt. War diese ganze Aufregung am Ende also völlig übertrieben?

    Oberreuter: Also es war auf alle Fälle eine hochstilisierte Aufregung, denn nirgendwo, weder rechtlich noch politisch, kann man im Grunde rechtfertigen, dass bei einer Abstimmung, so dramatisch sie auch sein kann, die Mehrheit zustande kommen muss, die es braucht, um einen Kanzler und damit eine Regierung zu etablieren. Es ist ja fast mehr als eine Vertrauensfrage über das, was hier abgestimmt oder diskutiert worden ist. Die einfache Mehrheit hätte natürlich völlig genügt, um die Handlungsfähigkeit, vor allen Dingen aber auch die Zustimmung zu der europäischen Materie sicherzustellen. Ich glaube, dass dieses ganze Ballyhoo vor allen Dingen dafür inszeniert worden ist, um die Koalition zusammenzuzwingen einerseits, andererseits, um auf oppositioneller Seite auf gewisse Schwachstellen des Koalitionsdiskurses, der Instabilität vor allen Dingen, hinzuweisen.

    Heckmann: Dennoch war es ja nicht ganz sicher, dass die Kanzlermehrheit wirklich erzielt wird, oder auch eine eigene Mehrheit. Wie erklären Sie sich denn jetzt den Sinneswandel bei einer ganzen Reihe von Abgeordneten offenbar?

    Oberreuter: Ja nun sind eigentlich die üblichen Verdächtigen bei ihren Meinungen geblieben. Interessant ist, dass niemand dazugekommen ist, denn oft erwartet man ja, dass bei der Abstimmung in Camera caritatis, aber die ist es ja nicht, weil es eine namentliche und öffentliche ist, dass da noch mal eine eigene Dynamik zustande kommt. Also hier hat es doch einen ganz starken Druck gegeben, angesichts der Diskussionen der letzten Tage und Wochen zu signalisieren, wir wollen die Regierung nicht scheitern lassen, und wir wollen demonstrieren, dass wir diese Koalition aufrecht erhalten und handlungsfähig sehen wollen, so ja auch die Interpretationen im Nachhinein. Niemand hat über Europa gesprochen, alle haben sie nur innenpolitisch argumentiert, jawohl, wir sind handlungsfähig. Das ist das Signal, das ausgehen soll, und es gibt eigentlich gar keine Alternative, denn diese Koalition kann eigentlich politisch gar nicht platzen.

    Heckmann: Ist es ein legitimer Druck, der da ausgeübt worden ist, wie Sie sagen, oder sind die Kritiker, die Zweifler unbotmäßig unter Druck gesetzt worden? Der Innenexperte der Union, Wolfgang Bosbach, auch ein Gegner, der hat berichtet, er sei in den vergangenen Tagen derart unter Druck gesetzt worden, dass er sich überlege, ob er bei der nächsten Bundestagswahl überhaupt noch einmal kandidiert.

    Oberreuter: Nun wissen wir nicht im Einzelnen, wie die Gespräche gelaufen sind. Es ist im Parlamentarismus üblich, im Fraktionenparlamentarismus üblich, dass dort, wo es kritisch wird und wo Mehrheiten unbedingt gebraucht werden, Abweichler, die sich ja auch fairerweise öffentlich zu erkennen geben, dass man mit denen intensive Gespräche führt. Herr Bosbach hat natürlich sehr intensiv auch selbst die Öffentlichkeit gesucht, er hat eigentlich fast im Alleingang Opposition betrieben, und insofern kann ich mir vorstellen, dass man ihm besonders heftig zugesetzt hat. Aber grundsätzlich kann man einen Abgeordneten – und das zeigen ja auch die Beispiele derer, die sich ihr Rederecht erkämpft, nicht erschlichen haben -, man kann keinen Abgeordneten davon abhalten, seine Meinung zu äußern und sie auch in der Abstimmung zum Ausdruck zu bringen. Das ist eigentlich der Kerngehalt des freien Mandats. Die Auseinandersetzung mit den eigenen politischen Freunden, ob es gerechtfertigt ist, sich so oder so zu verhalten, um die kommt natürlich jemand, der eine andere Meinung hat, nicht herum. Ich kann mal an, einen gewiss weisen und hochgeistigen Mitgründer der Bundesrepublik aus der Sicht der Sozialdemokratie, erinnern, der in seinen Memoiren geschrieben hat, wie komme eigentlich ich dazu, so klug ich sein mag, in meiner Fraktion in Anspruch zu nehmen, dass meine Meinung die richtige ist. Also diese Konflikte muss man aushalten.

    Heckmann: Nach der Rettung ist vor der Rettung. Anfang kommenden Jahres entscheidet der Bundestag über die Errichtung des permanenten Rettungsschirms ESM. Der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler, der sammelte ja bereits Unterschriften für einen Mitgliederentscheid. Mäandert die Partei, die FDP weiter zwischen Europabegeisterung und Euro-Skepsis? Und die CSU, entwickelt die sich möglicherweise zu einer Anti-Europa-Partei? Denn CSU-Chef Horst Seehofer hat ja schon gesagt, bis hierhin und nicht weiter.

    Oberreuter: Ich denke, das Mäandern geht weiter, und das Bis-hierhin-und-nicht-weiter ist natürlich eine Position, die auch in der Öffentlichkeit äußerst populär ist, und jede Abstimmung und jede Regelung, die hier gefunden wird, wird durch ein gleiches Stahlbad der politischen Empfindungen und auch Distanzierungen gehen. Hinter all dem, was wir gerade erleben, steckt ja eigentlich nicht so sehr eine Koalitionsfrage und innenpolitische Stabilitätsfrage, sondern hinter all dem steht ja auch eine wachsende Skepsis gegenüber dem Europagedanken, den viele ja durch mangelnde Solidarität der Schuldnerländer herausgefordert sehen. Das ist die eigentliche Bewährungsprobe, die auf die Deutschen und auf die Nachbarn zukommt und auf den Deutschen Bundestag, und diese Diskussion wird man auch in den nächsten Monaten weitergeführt sehen, zumal ja niemand davon ausgeht, dass die Entscheidungen, die jetzt gefällt wird und die demnächst auf uns zukommen, dass die schon abschließende Wirkungen haben.

    Heckmann: Peer Steinbrück war der Hauptredner der SPD und damit der Opposition. Ganz kurz noch, Herr Oberreuter: Haben wir da den Kanzlerkandidaten für die nächsten Bundestagswahlen gesehen?

    Oberreuter: Die Linken in der SPD wollen ihn nicht. Die Situation am Wählermarkt ist insgesamt so, dass es fast den Eindruck hätte, die SPD könnte jeden aufstellen, den sie zur Verfügung hat, und sie wird mit Rot-Grün eine Mehrheit erzielen. Aber Steinbrück wäre mit Sicherheit der Kandidat, der in der Öffentlichkeit am allermeisten zu vermitteln wäre.

    Heckmann: Der Politikwissenschaftler Professor Heinrich Oberreuter war das live hier im Deutschlandfunk. Besten Dank, Herr Oberreuter.

    Oberreuter: Bitte schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.