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Europa-Kolumne
Deutschlands Rolle in einer neuen Außen- und Sicherheitspolitik

Mehr Verantwortung übernehmen bei internationalen Konflikten und Krisen. Das war ein Signal der Bundesregierung auf der Münchener Sicherheitskonferenz am vergangenen Wochenende. Wie aber kommt das bei unseren europäischen Nachbarn an? Ein Blick nach Polen.

Von Adam Krzeminski | 04.02.2014
    Vor drei Jahren überraschte der polnische Außenminister Radosław Sikorski die deutsche, polnische und europäische Öffentlichkeit mit dem beinahe salopp vorgetragenen Bekenntnis, er fürchte deutsche Untätigkeit in Europa mehr als eine deutsche Führungsrolle. Weil der Satz von einem polnischen Politiker stammte, wurde er fast zu einem geflügelten Wort. Ausgerechnet aus dem Land, das das deutsche Reich 1939 gemeinsam mit der UdSSR überfallen und zerschlagen hatte, kam 2011 die Aufforderung an Berlin, es solle mehr Verantwortung für Europa übernehmen und nicht in eng verstandenen nationalen Interessen handeln.
    Sikorskis Worte wie auch der Hinweis auf die guten deutsch-polnischen Beziehungen wurden in Deutschland immer wieder wie eine Salbe auf die Wunden, die die Transparente in Athen, Rom oder Madrid mit Hitlers-Schnurrbart im deutschen Gemüt gerissen haben, verstanden. Aber einen Ruck zugunsten einer offensiven deutschen Europapolitik in der Krise bewirkten sie nicht. Im Gegenteil: Die christlich-liberale Koalition in Berlin galt in der Eurokrise als zaudernd und auf die Wahrung der deutschen Vorteile bedacht. Und in der deutschen Öffentlichkeit nahm sogar eine bisher nur marginal vorhandene unzufriedene Europastimmung merklich zu: Die EU runterfahren! Merkel sollte sich mehr an Cameron orientieren! Man müsse doch noch den Nachbarn gegenüber gleichgültig sein dürfen ... Das sind keine AfD-Wahlkampfzitate, sondern Parolen der letzten Wochen in durch und durch honorigen Medien.
    Diesen Gehversuchen eines neuen deutschen Egoismus gerät nun die massive Ankündigung einer neuen Sicherheitspolitik der Großen Koalition in Berlin in die Quere. Der parteilose Bundespräsident, die christdemokratische Verteidigungsministerin und der sozialdemokratische Außenminister sagten anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz ungefähr dasselbe. Die Bundesrepublik müsse eine ihrem starken Potential und ihrer herausragenden internationalen Rolle entsprechende militärpolitische Verantwortung übernehmen. Es könne nicht sein, dass sie sich hinter der deutschen Geschichte verstecke und zusehe, wie andere bei militärischen Friedenseinsätzen dabei sind, Blutbäder und Völkermord zu verhindern. Neben ehrenwerten pazifistischen Motiven gibt es nämlich auch verlogenen moralisierenden Egoismus.
    Die Stimmen von Joachim Gauck, Ursula von der Leyen und Frank-Walter Steinmeier haben Gewicht. Auch wenn über die Details der Bundestag, die zuständigen Ressorts, aber auch die Bündnispartner und Nachbarn noch werden nachdenken müssen.
    Es geht nämlich bei diesem künftigen neuen deutschen Engagement nicht allein um das deutsche sicherheitspolitische Standing, sondern um das europäische Sicherheitsverständnis. Dass es künftig nicht mehr zu solch peinlichen deutschen Alleingängen kommen darf, wie 2011 bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über Libyen, liegt auf der Hand. Dass aber die Europäer angesichts der pazifischen Verschiebung in den USA ihre Militär- aber auch Rüstungspolitiken stärker als bisher koordinieren und kooperativ betreiben sollten, müsste ebenso naheliegend sein. Eine Europa-Armee ist bereist 1954 wegen des französischen Einspruchs gescheitert. Auch 2014 ist sie nicht in Sicht wie etwa eine Zusammenlegung der französischen und britischen Potentiale oder eine Stimme für Europa im Sicherheitsrat.
    Doch es müsste viele kleinere Wege zu einer Stärkung des europäischen Flügels der NATO geben, angefangen von den europäischen Battlegroups bis zur rüstungspolitischen Arbeitsteilung. Aber auch durch die Förderung europäischer Sicherheitsstudien. Gründe dafür gibt es in der modernen Welt genug, der in München immer wieder apostrophierte globale Terrorismus ist nur einer von vielen.
    Europa braucht eine gemeinsame Außen-, Energie-, Friedens-, aber eben auch Sicherheitspolitik. Niemand sagt, dass es – angesichts der unterschiedlichen Wahrnehmungen der nationalen und europäischen Interessen - leicht sein wird, sie zu entwickeln. Doch die Europäer kommen darum nicht herum. Das war vor drei Jahren auch schon der Sinn der Sikorski-Rede.