Donnerstag, 18. April 2024

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Europa und das Iran-Abkommen
"Offensiv gegenüber den USA vertreten, was wir für richtig halten"

Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt plädiert dafür, sich beim Atomabkommen mit dem Iran gegen die USA zu positionieren - auch wenn man dafür mögliche Benachteiligungen in der Handelspolitik in Kauf nehmen müsse. US-Präsident Donald Trump dürfe sich mit seinem "rüpelhaften Vorgehen" gegenüber Europa nicht durchsetzen, sagte er im Dlf.

Jürgen Hardt im Gespräch mit Peter Sawicki | 12.05.2018
    Der Bundestagsabgeordnete und transatlantische Koordinator der Bundesregierung, Jürgen Hardt (CDU), spricht am 21.11.2017 im Bundestag in Berlin. In seiner 2. Sitzung der 19. Legislaturperiode berät der Deutsche Bundestag unter anderem über Bundeswehreinsätze und die Einsetzung verschiedener Ausschüsse. Foto: Silas Stein/dpa | Verwendung weltweit
    Jürgen Hardt (dpa)
    Man sehe keine Veranlassung, die Sanktionen gegenüber dem Iran wieder einzuführen, so Hardt. Das werde eine "veritable Handelsauseinandersetzung" mit den USA nach sich ziehen. "Und da werden wir vermutlich eine unzulässige Vermengung von dieser Frage mit anderen Handelsfragen – Stichwort Strafzölle – bekommen. Und dann müssen wir als Europäer eine klare gemeinsame Position einnehmen und müssen zur Not auch die eine oder andere Benachteiligung ertragen."
    Europa brauche eine gemeinsame Strategie, so Hardt. Man müsse auf der Seite derer stehen, die weiter versuchten, mit diplomatischen Mitteln Konflikte zu lösen - und nicht mit "Macht und Kraft". Auch wünsche er sich, Russland und China "im Boot zu halten".
    Hardt glaubt, dass der Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen das Vertrauen anderer Länder in die USA schwächen wird. Nach dem Ausstieg aus dem Klimaabkommen und der Einführung von Strafzöllen sei es jetzt das dritte Mal, dass die USA keine Verlässlichkeit zeigten.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Sawicki: Am Dienstag haben die USA das Atomabkommen mit dem Iran verlassen.
    Und dieser Schritt von Donald Trump hat auch das Vertrauen in die USA noch einmal erschüttert, vor allem in Europa. Manch einer spricht endgültig von einer Zeitenwende im transatlantischen Verhältnis. Ob dem so ist, darüber sprechen wir jetzt mit Jürgen Hardt. Er ist außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Hardt!
    Jürgen Hardt: Guten Morgen, Herr Sawicki!
    Sawicki: Ist der Westen am Ende?
    Hardt: Natürlich nicht. Gerade die Reaktionen Frankreichs, Deutschlands, Großbritanniens, die Aktivitäten in Europa zeigen ja, dass wir auch ein Stück weit zusammenrücken, wenn wir vor solche Herausforderungen gestellt sind. Es geht darum, dass wir das, was wir für richtig halten, auch gegenüber unseren amerikanischen Freunden offensiv vertreten. Und die Analyse des sogenannten Analysten, wir müssten uns entscheiden, auf welcher Seite wir stehen, ist natürlich hanebüchen, denn es waren ja die Vereinigten Staaten von Amerika, der Präsident, der vor wenigen Tagen aus einem Abkommen ausgestiegen ist, das von allen fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates plus Deutschland geschlossen wurde, das dann von der UN abgesegnet wurde - also das Camp hat der Präsident verlassen und nicht die Europäer.
    "Normalerweise nicht der Ton, mit dem wir miteinander sprechen"
    Sawicki: Aber wir haben ja auch den O-Ton von Angela Merkel, Heiko Maas, der Außenminister, spricht auch von deutlichen Rissen im transatlantischen Verhältnis, und jetzt dieser Ton aus Washington, den wir gerade gehört haben. Sprechen so Partner übereinander, miteinander?
    Hardt: Das ist normalerweise nicht der Ton, mit dem wir miteinander sprechen. Das ist übrigens auch nicht der Ton, den wir als deutsche Abgeordnete erleben, wenn wir mit Senatoren oder Congressmen und Congresswomen in Amerika unsere Gespräche führen. Das ist der Ton, den der amerikanische Präsident anschlägt, der ihn zu diesem Wahlsieg geführt hat, der aber leider relativ unbeleckt ist von den jahrhundertelangen Erfahrungen der Außenpolitik, wie man versucht, auf friedliche Weise Konflikte beizulegen und nicht Öl ins Feuer zu schütten. Und das ist ein Problem zuerst für Amerika, dass sie einen Präsidenten haben, der in der Außenpolitik offensichtlich viele Erfahrungen mit Füßen tritt beziehungsweise nicht beachtet.
    Sawicki: Aber es ist ja auch ein Problem für die EU, für Deutschland, für Frankreich, für anderen auch, weil die sich jetzt ja entscheiden müssen, nach den Worten aus Washington, zwischen dem Beibehalten des Iran-Abkommens und der harten Linie gegen Teheran, was Washington befürwortet. Also wie soll man sich da entscheiden?
    Hardt: Zunächst einmal glaube ich schon, dass es den Schweiß der Edlen wert ist, jetzt zu versuchen, den Iran trotzdem in dem Abkommen zu halten. Der Ausstieg Amerikas bedeutet ja, dass die Vorteile aus dem Abkommen, die durch Handel und Wandel mit Amerika möglich sind, zunächst für die Iranis zukünftig entfallen, dass aber generell natürlich Europa nicht von vornherein gezwungen ist, das Sanktionsregime zu lockern, und das führt uns … und ich gehe davon aus, dass Europa auch entscheidet, jawohl, der Iran bleibt bei seinen Verpflichtungen aus dem Abkommen, der Iran hält sich auch an die Bestimmungen, und deswegen sehen wir keine Veranlassung, die Sanktionen wieder einzusetzen.
    Das wird allerdings – und das ist das große Problem, vor dem wir stehen – zu einer veritablen Handelsauseinandersetzung mit den USA führen. Denn ich kann mir kaum vorstellen, dass der amerikanische Präsident und die amerikanische Wirtschaft es hinnehmen wird, dass wir Europäer Geschäfte mit Iran machen, die den Amerikanern aufgrund der neu wiederverhängten Sanktionen verboten sind. Und da werden wir vermutlich eine unzulässige Vermengung von dieser Frage mit anderen Handelsfragen – Stichwort Strafzölle – bekommen. Und dann müssen wir als Europäer eine klare gemeinsame Position einnehmen und müssen zur Not auch die eine oder andere Benachteiligung ertragen um der Geschlossenheit Willen, damit wir letztlich am Ende dann doch erleben, dass es zu einer einvernehmlichen Lösung kommt und der amerikanische Präsident sich mit diesem, ja, man muss leider sagen: rüpelhaften Vorgehen gegenüber Europa in dieser Frage nicht durchsetzt.
    Sawicki: Also man geht auf Konfrontation zu Donald Trump?
    Hardt: Ich glaube, dass die Konfrontation erstens nicht von uns ausgegangen ist, denn dieses Abkommen …
    Sawicki: Also Gegenkonfrontation sozusagen.
    Hardt: Ja, es ist eine, wie ich finde, erlaubte Gegenwehr, dass wir unsere Interessen klar artikulieren und auch festhalten an dem Ziel, dass wir Konflikte, internationale Konflikte im Rahmen von Verträgen einhegen. Eine der weiteren Folgen der Aufkündigung Amerikas bedeutet ja, oder sehen wir ja in diesen Tagen, dass letztlich auch der Versuch, einen wesentlichen Konflikt der Region eben tatsächlich auf vertragliche, völkerrechtliche Weise durch friedliche diplomatische Maßnahmen zu lösen, dass dieser Prozess jetzt zunächst einmal unterbrochen oder schwer beschädigt ist und dass natürlich das Vertrauen der Menschen in der Region, dass überhaupt Diplomatie, Verhandlungen und Verträge etwas an ihrem Schicksal, an ihrer prekären Lebenssituation – das gilt ja nicht nur für die Menschen im Iran, sondern auch für die Menschen in Israel, in den palästinensischen Gebieten –, die Hoffnung, dass vertragliche Vereinbarungen, Verhandlungen großer Nationen ihr Los bessern, diese Hoffnung ist auch ein Stück zerschlagen worden.
    Und deswegen fürchte ich, dass wir jetzt in einer Phase sind, wo die Falken die Oberhand gewinnen, die sagen, es muss alles mit Macht und mit Kraft geregelt werden und eben nicht mit Diplomatie und wechselseitigem Abwägen der Interessen. Ich glaube, dass Europa ganz klar berufen sein sollte, auf der Seite derer zu stehen, die sagen, nein, auch in der heutigen Zeit und auch schier unlösbar scheinende Konflikte können gelöst werden durch diplomatische Verhandlungen. Das setzt allerdings voraus, dass auch alle mitspielen.
    "Damit sinkt Vertrauen"
    Sawicki: Heißt das, keine Verträge mehr mit Donald Trump?
    Hardt: Zumindest wird die Bereitschaft vieler Nationen, Verträge mit zu unterschreiben, die in Amerika den Segen der Regierung haben, schon etwas ernüchtert sein. Denn wir hatten ja die Situation mit dem Klimaabkommen, was die Vereinigten Staaten von Amerika ja mit unterschrieben hatten, wo der Präsident auch angekündigt hat, Amerika steigt aus. Das haben wir deshalb noch nicht so dramatisch gesehen, weil wir wissen, dass viele amerikanische Staaten und Städte auch massiv aktive Klimapolitik betreiben, viele republikanische Gouverneure, die das ganz oben auf ihrer Tagesordnung haben.
    Aber mit dem zweiten Thema Handelspolitik, wo der amerikanische Präsident Regelungen der WTO aus unserer Sicht infrage stellt – Stichwort Strafzölle auf Stahl und Aluminium –, und jetzt drittens mit der Aufkündigung des Iran-Nuklearabkommens, hat Amerika dreimal etwas gemacht, was zwar völkerrechtlich vielleicht okay ist, was aber absolut unüblich ist, nämlich sich über das hinweggesetzt, was Amerika, als starke Stimme Amerikas, in der Welt gesagt und unterschrieben hat. Damit sinkt Vertrauen.
    Sawicki: Genau, und das hat ja Donald Trump – wenn ich da mal einhaken darf –, genau das hat ja Donald Trump aber ja auch im Wahlkampf angekündigt, und hat man davor vielleicht zu lange die Augen verschlossen?
    Hardt: Man hat zunächst einmal natürlich erwartet, dass Donald Trump nicht Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wird. Ich persönlich hatte auch damit gerechnet, dass der Präsident im Amt doch erkennt, dass das eine oder andere seiner Vorgänger vielleicht doch nicht so völlig falsch war. Wir haben zum Beispiel ja auch die Umkehr in der Afghanistanpolitik erlebt. Da ist er ja explizit von einer Position, die er im Wahlkampf vertreten hat – Amerika so schnell wie möglich raus aus Afghanistan –, abgegangen. Er hat es auch so bekundet und hat gesagt, ich habe hier neue Erkenntnisse gewonnen.
    Ich glaube allerdings, dass der amerikanische Präsident innenpolitisch schon erheblich unter Druck steht, weil viele seiner Vorhaben eben doch nicht so einfach durchsetzbar sind, wie er sich das vorgestellt hat, entweder weil es den Kongress gibt, der im Zweifel ein Wort mitzureden hat, oder weil Gerichte im Zweifel ihn daran hindern, die Dinge so umzusetzen, wie er sich das vorstellt – Stichwort Einwanderungsbeschränkung –, und dass er sich deshalb auf die Themen konzentriert, wo er als Präsident eigenmächtig und alleine handeln kann, um zu zeigen, dass er handlungsfähig ist. Das ist diese Stahl- und Aluminiumfrage, mit der halbseidenen Begründung, das sei aus Sicherheitsinteressen Amerikas unvermeidlich. Das ist aber eben jetzt auch die Nichtfortsetzung der Aufhebung von Sanktionen – das ist es ja im formalen Sinne –, wo der Präsident auch selbst das Recht hat, das zu tun. Also er konzentriert sich auf die Dinge, wo er handlungsfähig ist.
    Sawicki: Ja, und damit musste man doch rechnen. Also war man da nicht einfach auch zu lange zu naiv?
    Hardt: Wir haben gehofft, ich persönlich habe auch gehofft, dass der amerikanische Präsident über die Monate seiner Amtszeit einen Weg findet, mit dem Kongress gemeinsam aktiv und konstruktiv die Dinge zu gestalten, und das hat sich leider nicht erfüllt. Ich bin gespannt, wie das die nächsten Monate weitergeht. Ich bin vor allem auch gespannt, wie der amerikanische Kongress darauf reagiert, wenn tatsächlich jetzt diese Sanktionen und die Folgen der Sanktionen und der Streit mit Europa eskaliert, denn dann könnte ja durchaus auch die Situation entstehen, dass der eine oder andere Congressman oder Senator der Meinung ist, er müsse dazwischen gehen. Das Recht hat der Kongress im Prinzip. Es muss nur eine starke Mehrheit dagegen geben.
    "Gemeinsame europäische Strategie ist dringend erforderlich"
    Sawicki: Fragt sich jetzt auch nur noch, wie geschlossen Europa da tatsächlich ist. Sie haben gesagt, man muss mit einer Stimme sprechen, gemeinsam handeln. Die "Süddeutsche Zeitung", die analysiert heute, das ist gar nicht so klar, weil der Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat gesagt, auch bei uns im Programm, man könne relativ wenig tun für deutsche Unternehmen im Iran. Der französische Minister, der entsprechende, sieht das deutlich anders. Also gibt es da nicht schon wieder eine Spaltungsgefahr?
    Hardt: Ich gehe davon aus, dass die Außenminister, vielleicht auch die Staats- und Regierungschefs und die Wirtschaftsminister in der Europäischen Union, die ganz konkret betroffen sein werden, dass sie in Kürze auch persönlich zusammentreffen, wo diese Dinge besprochen werden. Und ich glaube, dass allen Beteiligten klar ist, eine gemeinsame europäische Strategie als Antwort auf diese Herausforderung ist dringend erforderlich. Und es ist eben auch eine Frage an die Europäer, welche Konsequenzen daraus erwachsen, dass dieses Abkommen an sich nun gekündigt ist, also nicht nur mit Blick auf die Handelspolitik, die möglicherweise ja in Schwierigkeiten geraten, sondern eben auch mit Blick auf das Abkommen und seine Wirkung.
    Da würde ich mir wünschen, dass es den Europäern gelingt, auch die Russen und Chinesen mit im Boot zu halten, die ja dieses Abkommen mit unterschrieben haben. Das ist natürlich eine Entwicklung, die der amerikanische Präsident auch nicht so gut finden kann, dass wir Europäer uns gezwungen sehen, jetzt in Moskau und Peking vorzufühlen, weil wir in Washington in dieser Frage auf taube Ohren stoßen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.