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Europäischer Bahnverkehr
Siemens will Zugsparte an Alstom abgeben

Der deutsche Hochgeschwindigkeitszug ICE wird von Siemens entwickelt. Das französische Gegenstück ist der TGV vom Unternehmen Alstom. Von diesem möchte Siemens nun Anteile kaufen. Im Gegenzug könnte Siemens seine Zugsparte nach Frankreich abgeben. Ein Schritt zur Vereinheitlichung des europäischen Bahnverkehrs?

Von Michael Braun |
    Ein ICE der Deutschen Bahn in der Region Hannover
    Siemens könnte sein Bahngeschäft abgeben (dpa / picture-alliance / Hauke-Christian Dittrich)
    Wenn der TGV aus Paris-Ost einläuft, dann wird auf Frankfurts Hauptbahnhof auch französisch gesprochen. Rund vier Stunden braucht der Schnellzug von der Seine an den Main. Wenn die schnittigen TGVs, ICEs und Thalys in die Bahnhöfe von Frankfurt, München, Saarbrücken oder Marseille rollen, wird klar, dass das Flugzeug längst Konkurrenz bekommen hat.
    Die Hochgeschwindigkeitsstrecken in Europa sollen bis 2020 auf 15.000 Kilometer wachsen. Im Zeitraum 2014 bis 2020 hat sollen fast 32 Milliarden Euro verbaut werden. Diese transeuropäischen Netze reichen in der Planung von Tallin bis Palermo, von Athen bis Porto. Aber: Die Dynamik ist überschaubar. Man sieht es etwa daran, wie schnell die Strecken wachsen, die mit dem gemeinsamen Signalsystem ERTMS ausgestattet sind, mit dem European Railway Traffic Management System. In Deutschland sind zwischen 2010 und 2012 nur knapp 200 Kilometer dazu gekommen, in Italien 40, in den Niederlanden 90. Schnell, so Maria Leenen, Geschäftsführende Gesellschafterin der Beratungsfirma SCI Verkehr GmbH, wird der einheitliche Eisenbahnverkehrsmarkt nicht zu bauen sein:
    "Wir haben historisch gewachsen Systeme, die auch von der Infrastruktur her sehr langlebig sind. Also, bis wir den einheitlichen europäischen Zug haben, wird es sehr, sehr lange dauern."
    Die Europäische Eisenbahnagentur im französischen Valenciennes arbeitet seit zehn Jahren daran, diesen Prozess zu beschleunigen. Hier werden sogenannte "Technische Spezifikationen für die Interoperabilität" erarbeitet. TSI-kompatibel, sagt die Fachwelt.
    Grenzüberschreitender Zugverkehr erfordert viel technischen Aufwand
    Nötig ist das, weil Güterwagen in der EU immer noch auf fünf verschiedenen Spurbreiten fahren, von 1.435 bis 1.668 Millimetern. Eine neuere Verordnung bestimmt, mit welchen Datenelementen Fahrpläne und vor allem Fahrplanänderungen grenzüberschreitend ausgetauscht werden müssen. Viel technischer Aufwand dient dazu, Zugleit- und Zugsicherungssystems so auszulegen, dass grenzüberschreitender Zugverkehr ohne den Einsatz weiterer nationaler Sicherungssysteme möglich wird. Als Zwischenlösung werden vor allem Lokomotiven mit sogenannten Länderpaketen ausgestattet, die – je nach Bedarf – für das deutsche, belgische oder französische Netz aktiviert werden. Aber mehr als vier solcher Pakete passen in eine Lok nicht rein.
    Auch Alstom und Siemens, nach zwei chinesischen Anbietern und der kanadischen Bombardier Nummer vier und fünf auf dem Weltmarkt, bewegen sich in diesem Markt des technischen Übergangs. Maria Leenen von SCI Verkehr sieht technische Unterschiede aber nicht als Hindernis für eine Konzentration des Zuggeschäfts bei Alstom an:
    "Siemens und Alstom sind parallel auf diesen Märkten aufgestellt mit ihren Produkten. Insofern ist das eigentlich für beide Seiten keine Neuerung, keine Veränderung, sondern eher ein Reduzieren von teuren Zulassungskosten, Entwicklungskosten, die man sonst zweimal gehabt hätte und dann vielleicht in der langen Perspektive nur einmal hat."
    Einheitliche Technik würde den Personalabbau vor allem in den Entwicklungsabteilungen beschleunigen. Die Facharbeiterschaft wäre kaum betroffen.