Samstag, 20. April 2024

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Europas Politik im Indopazifik
Außenpolitiker: "Offensichtlich sind wir militärisch nicht wirklich gefragt"

Der neue Pakt zwischen den USA, Australien und Großbritannien im Indopazifik müsse für die EU ein Anlass sein, darüber nachzudenken, wie sie auch in dieser Weltregion ihren Einfluss verteidigen könne, sagte der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid im Dlf. Auch gegenüber China brauche es eine EU-Politik.

Nils Schmid im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann   | 21.09.2021
Die USS Cheyenne der US Navy im Pazifik
Ein amerikanisches Atom-U-Boot im Pazifik: Australien hat sich für US-U-Boote und gegen französische entschieden. Das belastet die Beziehungen. (AFP PHOTO / Navy Media Content Operations / ACE RHEA)
Die Verständigung der USA mit Großbritannien und Australien auf einen indopazifischen Pakt, zu dem auch ein milliardenschwerer Deal zur Lieferung von atomgetriebenen U-Booten gehört, hat vor allem in Frankreich große Verärgerung ausgelöst. Denn Australien kündigte auch einen U-Boot-Vertrag mit Frankreich. Die französischen Botschafter in den USA und in Australien wurden nach Hause beordert. Der Ärger in Paris sei "sehr nachvollziehbar", sagte Nils Schmid, der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, im Dlf. "Denn das war ja nicht nur ein kommerzieller Vertrag über Rüstungsgüter, sondern damit war eine strategische Kooperation zwischen Australien und Frankreich rund um den Indopazifik verbunden und letzten Endes über Frankreich auch mit der Europäischen Union."

"Amerikaner und Australier brauchen die Europäer offenbar nicht wirklich"

Australien habe in den vergangenen Jahren bewusst die Nähe zu den Europäern, auch zu Deutschland, gesucht, um sich im Indopazifik gegen den Einfluss Chinas zu schützen, sagte Schmid. Das habe die australische Regierung durch diese ruckartige Entscheidung nun ins Wanken gebracht. Man habe den Eindruck, "dass sowohl Amerikaner wie Australier die Europäer bei ihrer Indopazifik-Strategie nicht wirklich brauchen". Für die Europäer sei das ein Anlass, darüber nachzudenken, "wie und mit welchen Mitteln wir im Indopazifik unseren europäischen Einfluss und auch unsere Werte verteidigen können. Offensichtlich sind wir militärisch nicht wirklich gefragt", sagte Schmid.
Auch in Bezug auf China sei es wichtig, "nicht nur unsere Handelsinteressen zu sehen", betonte Schmid. Handel sei immer eingebettet in geopolitische Erwägungen. Deshalb sei es ganz wichtig gewesen, "dass zunächst Deutschland, aber inzwischen auch die EU eine Indopazifik-Strategie entwickelt hat", sagte der SPD-Politiker. Jede nächste Bundesregierung müsse genau an dieser Stelle weiterarbeiten: "Wir brauchen eine europäische China-Politik."
Nils Schmid bei einer Rede Antrag auf der 239. Sitzung des Deutschen Bundestag in Berlin
Nils Schmid bei einer Rede Antrag auf der 239. Sitzung des Deutschen Bundestag in Berlin (dpa / Flashpic / Jens Krick)

Das Interview in voller Länge:
Dirk-Oliver Heckmann: Herr Schmid, die Vollversammlung der Vereinten Nationen ist der Club, in dem auch dutzende Diktatoren und Potentaten Platz und Stimme haben. Der UNO-Sicherheitsrat ist seit Jahren blockiert, vor allem durch Russland und China. Steht die Aufmerksamkeit für die UNO im diametralen Gegensatz zu ihrer derzeitigen Bedeutung?
Nils Schmid: So würde ich es nicht formulieren. Die UNO bleibt der zentrale Ort des Austauschs und auch der Beschlussfassung, wenn möglich, zwischen den Staaten der Welt, aber zwischen den Staaten, und damit nimmt die UNO keine Rücksicht auf die innere Verfasstheit dieser Staaten. Und es ist richtig: Vor allem der Sicherheitsrat wurde in den letzten Jahren blockiert durch das Veto von Russland und China und war deshalb in entscheidenden Krisensituationen nicht wirklich handlungsfähig. Aber das System der Vereinten Nationen und die Idee, dass die Weltgemeinschaft für Frieden eintreten muss, für Menschenrechte eintreten muss, ist unverändert aktuell und wahrscheinlich drängender denn je.

"Treffen von großer Bedeutung"

Heckmann: Das stimmt. Aber sind das nicht in erster Linie Schaufensterreden, die da gehalten werden in den nächsten Tagen?
Schmid: Ja das ist nun mal das Prinzip dieser Vollversammlung. Es ist ja streng orchestriert, klare Zeitanteile. Man darf von dieser Versammlung bei den Reden nicht allzu viel erwarten, aber es ist ein Treffpunkt, wo die Staats- und Regierungschefs auch in zahlreichen Gesprächen am Rande dieser Versammlung zusammenkommen, und da gab es immer wieder wichtige Kontakte zwischen lange verfeindeten Nationen. Deshalb ist dieses Treffen schon von großer Bedeutung.
Heckmann: Auch mit Blick auf Iran beispielsweise? Erwarten sie sich da möglicherweise Bewegung?
Schmid: Ja, ich erhoffe es mir, denn das zieht sich jetzt sehr lange hin. Allerdings ist durch den Regierungswechsel im Iran das Geschäft schwieriger geworden und wir wissen, ehrlich gesagt, noch nicht so richtig, wie der neue Präsident und der neue Außenminister diese Frage angehen wollen. Und der entscheidende Mann ist nicht dabei; das ist der Revolutionsführer im Iran, der das letzte Wort auch bei dieser Angelegenheit hat.

"Das Engagement der USA für die UN ist zurück"

Heckmann: Herr Schmid, die Vereinten Nationen – wohl keine Institution steht so sehr für Multilateralismus, für internationale Zusammenarbeit und Diplomatie. Ex-Präsident Donald Trump aus den USA hat ja aus seiner Verachtung für die UNO keinen Hehl gemacht. Mit der Wahl Joe Bidens zum US-Präsidenten war die Hoffnung verbunden, dass sich die USA wieder zum Multilateralismus bekennen. Was ist aus Ihrer Sicht aus dieser Hoffnung geworden?
Schmid: Die Hoffnung hat sich erfüllt. Das Bekenntnis ist da, das Engagement, auch das finanzielle Engagement der USA für die UN und die UN-Organisationen, wenn ich etwa an die Weltgesundheitsorganisation denke, ist zurück. Und es ist schon auch eine große diplomatische Leistung der Europäer gewesen, die Trump-Amtszeit zu überstehen, ohne dass der Multilateralismus – da zähle ich nicht nur die UNO dazu, sondern auch die NATO – beschädigt worden ist. Allerdings gilt auch für die Biden-Regierung, dass sie stark die eigenen amerikanischen Interessen im Auge hat und dass wir als Verbündete immer wieder darum ringen müssen, ausreichend beteiligt und konsultiert zu werden. Wir haben es gerade bei Afghanistan erlebt, dass die Amerikaner dann letzten Endes doch ihr eigenes Ding machen.

"Afghanistan war von A bis Z eine amerikanisch geführte Militäroperation"

Heckmann: Ihr eigenes Ding machen – da hat Joe Biden den endgültigen Abzug befohlen, ohne dass er die Bündnispartner informiert hätte. Er hat auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der US-Botschaft in Kabul abgezogen, ohne dass das abgestimmt gewesen wäre. So jedenfalls wurde es berichtet. Zeigt sich nicht hier, wenn es um diese ureigenen amerikanischen Interessen geht, die Sie gerade auch angesprochen haben, dann sind die Unterschiede zwischen Trump und Biden gar nicht so groß?
Schmid: Wir haben allgemein eine Tendenz bei Republikanern wie Demokraten, sich aus den Krisenregionen der Welt zurückzuziehen, die sogenannten unbegrenzten Kriege, die ewig dauern aus Sicht vieler Amerikaner, zu beenden.
Heckmann: Aber es ist die Frage, wie man das macht, ob man die Bündnispartner mit ins Boot holt dabei.
Schmid: Genau! Das ist leider bei Afghanistan nicht gelungen. Bei anderen Fragen ist die Zusammenarbeit sehr gut, wenn ich an Libyen denke oder an die Frage, wie es im Westbalkan weitergeht. Auch im Verhältnis zu Russland ist die Abstimmung deutlich besser. Aber ich verhehle nicht eine gewisse Enttäuschung, dass gerade bei Afghanistan wir eine doch sehr eine Entscheidung im Alleingang verzeichnen mussten, und Afghanistan war von A bis Z eine amerikanisch geführte Militäroperation. Wir haben jeden Strategiewechsel der Amerikaner mitmachen müssen. Das ist auf Dauer für das Bündnis nicht gut.

Position der Europäer im Indozpazifik überdenken

Heckmann: Afghanistan ist das eine, Herr Schmid. Der Deal der USA mit Großbritannien und Australien auf einen indopazifischen Pakt ist das andere. Washington und Australien vereinbarten ja einen milliardenschweren Deal zur Lieferung von atomgetriebenen U-Booten. Das ist letzte Woche bekannt geworden. Australien kündigte daraufhin einen Vertrag mit Frankreich auf, ließ ihn platzen, was dort wütende Reaktionen auslöste. Die französischen Botschafter in den USA und in Australien wurden nachhause beordert. Wie nachvollziehbar ist dieser Ärger in Paris?
Schmid: Ich halte ihn für sehr nachvollziehbar, denn das war ja nicht nur ein kommerzieller Vertrag über Rüstungsgüter, sondern verbunden damit war eine strategische Kooperation zwischen Australien und Frankreich rund um den Indopazifik und letzten Endes über Frankreich auch mit der Europäischen Union. Australien hat in den letzten Jahren bewusst die Nähe zu den Europäern, auch zu Deutschland gesucht, um im Indopazifik sich zu schützen gegen den Einfluss von China, und das hat jetzt die australische Regierung durch diese ruckartige Entscheidung doch ins Wanken gebracht.
Heckmann: Nur die australische Regierung, oder auch US-Präsident Biden? Die Frage ist ja, inwieweit er auch als verlässlicher Partner gelten kann, oder?
Schmid: Ja! Aber es war zunächst mal eine Entscheidung der australischen Regierung, dann auch diesen Rüstungsvertrag zu kündigen. Aber Sie haben recht: Die Abstimmung zwischen Europäern und Amerikanern in dieser Frage war nicht gut, und man hat den Eindruck, dass sowohl Amerikaner wie Australier die Europäer bei ihrer Indopazifik-Strategie nicht wirklich brauchen, und das ist für uns Europäer schon auch noch mal ein Anstoß, darüber nachzudenken, wie und mit welchen Mitteln wir im Indopazifik unseren europäischen Einfluss und auch unsere Werte verteidigen können. Offensichtlich sind wir militärisch nicht wirklich gefragt.
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"Wir brauchen eine europäische China-Politik"

Heckmann: Sie sind nicht wirklich militärisch jedenfalls gefragt. Die Frage ist aber, wie geht auch Europa mit dem Thema China um. Joe Biden hat ja Peking als Hauptgegner ausgemacht und musste dann aber mit ansehen, dass Bundeskanzlerin Merkel ein EU-Investitionsabkommen mit Peking ausgehandelt hat, gegen den erklärten Widerspruch des gewählten US-präsidenten, der da noch nicht im Amt war und da zuschauen musste. Tragen auch die Europäer, trägt auch die Bundesregierung dazu bei, dass die transatlantische Zusammenarbeit nicht so ist, wie sie mal war?
Schmid: Man muss schon festhalten, dass Merkels China-Politik in den alten Bahnen verharrt ist und dass man zu wenig die Abstimmung mit den Europäern und den Amerikanern gesucht hat. Das muss ein Ende haben und die Debatte um dieses Investitionsabkommen zeigt das auch. Wir dürfen nicht nur unsere Handelsinteressen sehen, sondern Handel ist immer eingebettet auch in geopolitische Erwägungen. Das gilt mit Blick auf China ganz besonders und deshalb war es ganz wichtig, dass zunächst Deutschland, aber inzwischen auch die EU eine Indopazifik-Strategie entwickelt hat, wo man auf regelbasierten Handel, aber auch überhaupt regelbasierte internationale Beziehungen, auf die Geltung des internationalen Rechts pocht und auch als EU Einfluss nehmen will auf die Gestaltung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen in der Region. Das war ein ganz wichtiger Schritt und ich bin sicher, dass jede nächste Bundesregierung genau an dieser Stelle weiterarbeiten muss und wir eine europäische China-Politik brauchen.
Heckmann: Mit Verlaub, Sie schieben das ein bisschen aufs Kanzleramt ab. Die SPD stellt den Außenminister und da habe ich kein Veto gegen ein Investitionsabkommen mit Peking vernommen.
Schmid: Es gab kein Veto, aber der Push, dieses Abkommen gegen Ende letzten Jahres unbedingt noch durchziehen zu wollen, der kam von ganz oben aus dem Kanzleramt.
Heckmann: Und da muss die SPD folgen?
Schmid: Dann muss die SPD nicht folgen, aber da sind wir dann am kürzeren Hebel. Tatsache ist: Dieses Abkommen ist nicht ausreichend für die heutige Zeit. Vor sieben Jahren wäre das vielleicht interessant gewesen, aber wir müssen jetzt bei den Wirtschaftsbeziehungen mit China deutlich mehr auf gleichgewichtige Marktöffnung auf beiden Seiten, auf strenge Reziprozität, Gegenseitigkeit bei der Marktöffnung achten, und das ist mit dem jetzigen Entwurf nicht verbunden. Das liegt jetzt alles auf Eis, weil China die absurde Idee hatte, EU-Parlamentarier mit Sanktionen zu belegen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.