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Europawahl-Ergebniskrise der CSU
"Gauweiler ist sicher ein herausragend Schuldiger"

Die CSU diskutiert auf ihrer Vorstandsklausur die Europawahl und das schlechteste Ergebnis bei einer überregionalen Wahl seit 1954. Politikwissenschaftler und CSU-Kenner Heinrich Oberreuter gibt im DLF-Interview CSU-Vize Peter Gauweiler einen großen Teil der Verantwortung - aber auch anderen prominenten CSU-Köpfen.

Heinrich Oberreuter im Gespräch mit Dirk Müller | 28.06.2014
    Der Kandidat für das Amt des Vize-Parteivorsitzenden, Peter Gauweiler (CSU), spricht am 23.11.2013 in München (Bayern) beim Parteitag der CSU.
    Peter Gauweiler (CSU), spricht am 23.11.2013 in München beim Parteitag der CSU. (picture alliance / dpa / Foto: Tobias Hase)
    Dirk Müller: Die CSU in der Europawahl-Ergebniskrise – unser Thema mit Politikwissenschaftler und CSU-Kenner Professor Heinrich Oberreuter. Guten Tag, nach Passau!
    Heinrich Oberreuter: Ja, grüß Sie!
    Müller: Herr Oberreuter, suchen wir wenigstens den Schuldigen gemeinsam? Peter Gauweiler?
    Oberreuter: Sicher ein herausragend Schuldiger, aber man muss natürlich danach fragen, wer hat ihn denn installiert als stellvertretenden Parteivorsitzenden mit dem Auftrag, eine europakritische Stimme nachhaltig vorzutragen. Und da fällt der Blick natürlich auf den Parteivorsitzenden, fällt aber natürlich auch auf alle, die diese Strategie kollektiv mitgetragen haben. Und das ist ja das Interessante dabei, dass am Anfang alle den Kopf einziehen und nicken, und am Ende, wenn es schiefgeht, dann soll es immer nur einer oder zwei gewesen sein.
    Müller: Das ist wie Mittelfeldspieler, der vorher Abwehrspieler waren?
    Oberreuter: So ähnlich ist das, aber ich meine, es wäre jetzt interessant, über Lahm und Lahme in der Politik zu reflektieren, aber das würde das Thema erheblich sprengen.
    Müller: Okay, also wir kommen noch mal zurück zu Peter Gauweiler: Für Sie ganz klar - habe ich jetzt rausgehört -, auf jeden Fall hat er der Partei geschadet?
    Oberreuter: Also er wollte es mit Sicherheit nicht, und er hat eine populäre, populistische Stimmung aufgegriffen, die in Bayern unterwegs ist, aber nicht nur in Bayern. Es gibt einen gewissen Europaskeptizismus über die weiß-blauen und auch über die schwarz-rot-goldenen Landesgrenzen hinaus, wie uns dieses Wahlergebnis gezeigt hat. Nur der Eindruck war, die CSU ist eindeutig auf einer Anti-Europa-Seite. Das Lippenbekenntnis, na ja, Europa ist ein historischer Fortschritt, wir haben ja auch viel zu verdanken, das ist eigentlich untergegangen in diesen scharfen europakritischen Tönen, die ja auch noch mit ziemlich starken Verbalinjurien unterwegs gewesen sind, sodass viele Leute nicht an die Wahlurne gegangen sind, weil sie nichts unterstützenswertes sahen an dieser Europawahl. Zur Wahl gehen ist ja in Deutschland nach wie vor weitgehend ein Bekenntnisakt, aber wenn die stimmführende Partei signalisiert, dass es hier nichts zu bekennen gibt, dann braucht sie sich nicht zu wundern, wenn eine Million ihrer potenziellen Wähler nicht an die Urne strebt.
    Müller: Kramen wir aber noch mal ein bisschen in der Historie, Professor Oberreuter. Franz Josef Strauß hat immer gesagt, jetzt auch bei normalen Bundestagswahlen, bei Landtagswahlen, da darf niemand rechts von uns noch irgendwie politisch, demokratisch Platz haben, eine Strategie, die ja lange Zeit, viele Jahrzehnte aufgegangen ist. Wenn jetzt Gauweiler mit Seehofer zusammen die Überlegung hatte, also wir haben die AfD als Konkurrenz, wir haben die Freien Wähler als Konkurrenz, und auch wir müssen ein bisschen in diese Richtung gehen, wir müssen ein bisschen auch diesen Skeptizismus nach vorne bringen, damit wir auch diese potenziellen Wähler wie gewohnt in Richtung CSU bringen – war das wirklich so falsch?
    Oberreuter: Also die Überlegung, dass rechts von CDU und speziell CSU am besten nichts wachsen sollte, ist natürlich von strategischer Bedeutung bis auf den heutigen Tag und tut dem politischen System auch in der Zukunft gut. Die Frage ist nur, wie dämme ich eine solche potenzielle Bewegung ein, wobei wir uns auch noch mal Gedanken drüber machen müssten, wie rechts oder rechtsradikal die AfD eigentlich ist insgesamt – auch da ist natürlich viel undifferenzierter Unsinn unterwegs. Aber grundsätzlich ist dann schon die Frage zu stellen: Wenn ich das eindämmen will, kann ich es dadurch eindämmen, dass ich partiell oder punktuell deren Positionen noch übertrumpfe? Denn wenn man bei der AfD aufmerksam hingehört hat, war die ja nicht grundsätzlich so europakritisch wie Herr Gauweiler, sondern sie war im Wesentlichen eurokritisch, also finanzpolitisch unterwegs. Das ist eine etwas andere Linie als die, die man in Bayern gezogen hat. Und insofern ist es schon richtig, aufmerksam zu sein und dieser Front, das ist ja auch historisch bisher immer geglückt, und auf der anderen Seite aber differenziert zu bleiben. Denn so doof ist in der CSU natürlich auch keiner, dass er nicht wüsste, dass die europäische Integrationsidee sowohl außenpolitisch als auch wirtschaftspolitisch und was die Pflege der politischen Kultur in den Ländern betrifft, die ihr zugehören, dieser Union, ein riesengroßer historischer Gewinn ist. Aber das muss man dann halt sagen.
    Müller: Jetzt muss der ganz große Matador ran, über ihn müssen wir reden: Horst Seehofer. Seit wann trägt der Parteichef nicht die größte Verantwortung?
    Oberreuter: Der Parteichef trägt immer die größte Verantwortung, und der Parteichef hat ja auch am Tag nach dem Wahlergebnis zu Europa die Verantwortung auf sich genommen, was eigentlich auch ein ganz interessanter Schachzug war, denn damit hat er die Diskussion totgetreten, ob er sie hat oder nicht. Er hat aber in Konsequenz der Tatsache, dass er bei den Erlösungserlebnissen, die die CSU unter seiner Führung hatte, nämlich die minus 17,3 Prozent auf der Landtagswahl von 2008, sukzessive kompensiert zu haben, da hat er sich ja auch hingestellt und hat gesagt, ich bin im Wesentlichen der Verantwortliche für dieses Ergebnis. Also er trägt die Verantwortung durchaus, er trägt sie auch, wie ich gesagt habe, für die Installation des stellvertretenden Parteivorsitzenden Gauweiler, und er ist natürlich in höchstem Maße daran interessiert, die Diskussion, die ja zu erwarten war, und zwar nicht nur wegen des Europawahlergebnisses, sondern wegen des heraufziehenden Umbruchs nach den nächsten Landtagswahlen, die Diskussion, wer wird nun sein Nachfolger, die zwei Jahre lang zu führen, das wollte er vermeiden. Und nachdem er nun auf Erwin Hubers Monitum eingeschwenkt ist, die Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 17 und 18 für die Landtagswahl vorzeitig zu nominieren oder rechtzeitig zu nominieren, hat er auch da ein strategisches Mittel gefunden, um sich persönlich ein Stück weit aus der Schusslinie zu nehmen. Und ich glaube, das gelingt ihm auch.
    Müller: Ich muss da noch mal einhaken, Herr Oberreuter, Sie sagen, er hat die Verantwortung übernommen. Jetzt sagen ja einige, in der Partei durchaus prominent, also Erwin Huber gehört dazu, Markus Ferber, nicht alles öffentlich, aber ein bisschen davon öffentlich, er hat zwar die Verantwortung reklamiert für sich, rhetorisch, aber eben dann nicht politisch, nicht mit klaren Konsequenzen. Ist das so, dass Horst Seehofer mehr redet, als er dann bereit ist zu tun?
    Oberreuter: Er ist, um mich etwas neutraler auszudrücken, natürlich rhetorisch firm. Die andere Frage ist, was hätte er über das Reden hinaus in dieser kurzen Zeit tun können?
    Müller: Kollegialer Führungsstil?
    Oberreuter: Ja, aber der setzt sich natürlich nicht innerhalb von drei Wochen um. Man konnte seit Monaten oder Jahren eigentlich die Rigidität des Führungsstils, die den Führungsstil von Strauß und Stoiber weit in den Schatten stellten, meines Erachtens, kritisieren, man konnte ihn auch drauf aufmerksam machen, und man weiß, dass selbst in der CSU ein solch rigider Führungsstil irgendwann mal zu Opposition und Bruch führt. Das hat ja sogar Stoiber erfahren, der 24 Stunden nach heftigen Solidaritätserklärungen, na ja, in Wildbad Kreuth ins Messer gelaufen ist und abgesetzt worden ist. Also diese überzogene, ich-bezogene Führung, die eigentlich auch nicht Halt macht vor Ironisierungen von Kabinettsmitgliedern und prominenten Parteimitgliedern, das ist ein Punkt, an dem Seehofer arbeiten muss, auch für die Zeit, in der er noch im Amt bleibt. Und das mag er jetzt gelernt haben oder dabei sein, es zu lernen, aber das ist politisch nicht so wesentlich. Was er hätte machen müssen, wäre eigentlich, im Umfeld dieses Europawahlergebnisses vielleicht auch mal sich mit drei, vier, fünf Leuten zusammenzusetzen, die sich auskennen, und eine neue europapolitische Strategie entwickeln. Denn dass ihn mit Herrn Weber, der nun Vorsitzender der christlich-konservativen Fraktion im Europaparlament geworden ist, jemand europapolitisch entgegensteht, mit dem er nicht einfach Schach spielen kann, das muss er, glaube ich, relativ schnell einsehen. Die Leute sind nun nicht mehr bereit, sich einschüchtern zu lassen, wobei nach meiner Beobachtung aus der Brüsseler CSU-Gruppe sowieso mancher ironische Pfeil gegen München und gegen Seehofer auch in der Vergangenheit schon zurückgeschossen worden ist.
    Müller: Die CSU in der vermeintlichen Krise. Vielen Dank, Professor Heinrich Oberreuter, Politikwissenschaftler und CSU-Kenner, auf Wiederhören nach Passau!
    Oberreuter: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.