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Evangelikale in den USA
Wenn MeToo die Bibel trifft

Der Evangelikale Roy Moore kandidiert für die Republikaner in Alabama. Ihm werden sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Seine sittenstrengen Anhänger stört das nicht, nur wenige sind bereit, den betroffenen Frauen zuzuhören.

Von Jürgen Kalwa | 24.11.2017
    Roy Moore spricht im November 2017 in einer Baptistenkirche in Jackson, Alabama
    Roy Moore ist kurz vor der Senatswahl in Alabama mit Vorwürfen sexueller Belästigung Minderjähriger konfrontiert worden (imago stock&people)
    Es hat in den über 200 Jahren der amerikanischen Geschichte schon einige Politiker gegeben, für die ihr Glaube strikte Richtschnur ihres Lebens und Denkens war, doch nur selten jemanden wie Roy Moore.
    "Fighting for life, fighting against abortion, fighting for the acknowledgement of God. Most important: he is a Christian."
    Wenn ihn seine Frau Kayla bei Wahlkampfveranstaltungen anpreist, ist nichts wichtiger als Hinweise wie: Er ist Christ, fromm, sanft und liebenswürdig.
    "He is the most gentle, most kind man that I have ever known in my entire life. He is godly. He is loving, and everybody in the community knows it ..."
    Hardcore im doppelten Sinn
    Doch selbst für den Bible Belt ist Moore, der Kandidat der Republikanischen Partei in Alabama für den Senat in Washington, eine krasse Ausnahmeerscheinung. Als oberster Richter des Bundesstaates ließ er vor ein paar Jahren eine Skulptur mit den zehn Geboten in das Foyer des Gerichtsgebäudes stellen - obwohl die Verfassung der USA so etwas ausdrücklich zu verhindern trachtet und die Trennung von Staat und Kirche anmahnt.
    Für die Aktion wurde Moore wenig später seines Richteramts enthoben. Er gelangte aber bei der nächsten Wahl erneut in das Gremium und wurde wiederum geschasst. Diesmal, weil er die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in Washington zur Liberalisierung der Schwulenehe zu blockieren versuchte.
    Arbeiter transportieren am 27.8.2003 das zweieinhalb Tonnen schwere Granitmonument mit den Zehn Geboten, das Roy Moore, Vorsitzender des Obersten Gerichtes in Alabama, in einer Nacht- und Nebelaktion vor zwei Jahren in der Lobby seines Gerichtsgebäudes in Montgomery aufbauen ließ, aus dem Gericht.
    Die von Roy Moore aufgestellten Zehn Gebote werden nach seiner Absetzung 2003 wieder aus dem Gericht entfernt (dpa / EPA)
    Roy Moore ist nämlich das, was man einen Hardcore-Evangelikalen amerikanischer Prägung nennen kann. Wobei das Wort "Hardcore" sogar doppeldeutig zu nehmen wäre. Sage und schreibe neun Frauen haben ihn in den letzten Wochen beschuldigt, sie mit sexuellen Avancen bedrängt zu haben. Damals, in den 70er-Jahren, als Moore noch als Staatsanwalt arbeitete - und diese Frauen Teenager waren, in einem Fall nur 14 Jahre alt.
    "Maria war ein Teenager und Josef ein erwachsener Schreiner"
    Moore bestreitet die Vorwürfe.
    "Die Menschen in Alabama kennen mich. Sie wissen, wofür ich stehe. Und das seit mehr als 40 Jahren. Ich kann ihnen, ohne zu zögern, sagen: Das ist absolut falsch."
    Die Anschuldigungen haben gottesfürchtige Anhänger von Moore in eine Zwickmühle gebracht. Denn in der Bibel findet sich keine Billigung für sexuelle Belästigung, schon gar nicht, wenn die Opfer im Kindesalter sind.
    Aber strikte Auslegungen der "Heiligen Schrift" sind längst nicht mehr das A und O. Wäre es anders, hätten sie nicht in großer Zahl für Trump stimmen können. Zwei Scheidungen, sexistische Anspielungen, offenkundige Geldgier - das passt eigentlich nicht zu evangelikalen Idealen von heiler Familie und Bescheidenheit. In Trump sah man dennoch den Vollstrecker vieler Wünsche, um dem Land einen kräftigen christlichen Stempel aufzudrücken.
    Diese Widersprüchlichkeit führt im Wahlkampf von Alabama zu fragwürdigen Bagatellisierungen. Es gibt jene Moore-Anhänger, die sich einfach weigern, den Frauen zu glauben. Solche, die sich am Zeitpunkt der Enthüllungen stören - kurz vor der Wahl am 12. Dezember - und eine gezielte Kampagne wittern. Und dann ist da noch eine ganz spezielle Kategorie: Menschen, denen es ausdrücklich egal ist, was Roy Moore getan haben könnte, selbst wenn die - juristisch längst verjährten - Anschuldigungen stimmen sollten. Das Motto: Lieber ein Kinderschänder im Senat als ein Mitglied der verhassten Demokratischen Partei. Am weitesten verstieg sich ein örtlicher Politiker namens Jim Zeigler mit einem Bibelvergleich:
    "Nehmen Sie Josef und Maria. Maria war ein Teenager und Josef war ein erwachsener Schreiner. Sie wurden die Eltern von Jesus. Es gibt hier nichts Unmoralisches oder Verbotenes."
    "Unsere Hoffnungen leben von Gott, nicht von Parteien"
    Aber selbst in einer scheinbar homogenen Gruppe wie Amerikas Evangelikalen gibt es Dissidenten. Rund 20 Prozent, wenn man die Umfrageergebnisse der Wahlen im letzten Jahr zugrunde legt. Einer der Kritiker: Professor William S. Brewbaker, der an der University of Alabama Jura lehrt: Er formulierte seine Gedanken Mitte November in einem Beitrag in der "New York Times" und beklagte schon in der Überschrift den "traurigen Zustand der evangelikalen Politik". Dem Deutschlandfunk erläuterte er seine Position.
    "Nicht, dass wir uns nicht im politischen Leben engagieren sollten, aber wir sollten unsere Hoffnungen nicht darauf konzentrieren. Unsere Hoffnungen leben von Gott und was er durch Jesus Christus getan hat, nicht von Parteien, politischen Anführern oder Bewegungen. Die Idee, dass man eine Gesellschaft ändert, indem man den Staat kontrolliert und die Gesetze, ist eine moderne, aber ganz und gar keine urchristliche Vorstellung. Diese Tradition würde mehr auf individuelle Moral abzielen. Und darauf, die Gesellschaft von unten nach oben zu beeinflussen."
    Pro Jahr werden in den USA 150 000 Mädchen verheiratet
    Aber mit welcher Moral? Für Kathryn Brightbill, die mit strenggläubigen Eltern in Florida aufgewachsen ist, ist die Roy-Moore-Story auch ein Beleg für eine andere, kaum beachtete Tendenz unter amerikanischen Evangelikalen. In der "Los Angeles Times" schrieb sie ausgiebig darüber: Man verkuppelt in diesen Kreisen Töchter gerne schon in sehr jungen Jahren mit älteren Männern. So kommt es, dass pro Jahr in den USA rund 150 000 Mädchen heiraten. Die Gesetze lassen so etwas zu, wenn die Eltern zustimmen. Auch wenn manche Bräute gerade mal zwölf Jahre alt sind. Angesichts solcher Verhältnisse fällt Moore kaum auf.
    Mitch McConnell spricht am 14 November 2017 mit Reportern
    Senator Mitch McConnell glaubt den Frauen (imago stock&people / Alex Edelman)
    Und abgesehen davon sagt Brightbill:
    "Viele Evangelikale wären glücklich, wenn sie theokratische Verhältnisse einführen könnten. Wo das Alte Testament auf demokratischem Weg zum Rechtsrahmen erhoben wird und damit gleichzeitig die Demokratie zerstört wird."
    Was zu einem großen Teil erklärt, warum Moore zumindest in Alabama so populär ist. In Washington sieht das schon ganz anders aus. Sein republikanischer Parteifreund - der mächtigste Mann im Senat, Mitch McConnell - sagte vor ein paar Tagen, er glaube den Frauen. Die Partei stellte die finanzielle Unterstützung für Moores Wahlkampf ein.