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Evangelischer Kirchentag
Suche nach Auswegen aus der sozialen Spaltung

Soziale Gerechtigkeit ist einer der Schwerpunkte auf dem Evangelischen Kirchentag in Dortmund. Unter anderem sprach Juso-Chef Kevin Kühnert erneut über die Vorzüge staatliche Wohnungsbaugesellschaften. Familienministerin Franziska Giffey (SPD) ging es um die Einkommensunterschiede zwischen Ost und West.

Von Rainer Brandes | 21.06.2019
Eine junge Frau steht beim Evangelischen Kirchentag im Pavillon der Guten Nachricht und liest einen der vielen handgeschriebenen Zettel, die die Besucher dort aufhängen können.
Auch wenn die Teilung Deutschlands nach 30 Jahren immer noch nicht überwunden zu sein scheint: In der jungen Generation wachsen Ost und West zusammen (Bernd Thissen/dpa/picture alliance )
Unter der Decke hängt noch der alte Stahlkran. In einer früheren Fabrikhalle, wo früher ein Schmelzofen stand, hat der Kirchentag zum Kamingespräch geladen. Stargast ist Kevin Kühnert – der Juso-Vorsitzende. Er soll hier mit Ellen Ueberschär von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung über Visionen für die Zukunft diskutieren. Die Theologin ist in Ost-Berlin geboren. Und deshalb hält sie – wie sie sagt – aus biografischen Gründen wenig von linken Träumen von Vergesellschaftung oder gar Enteignungen. Das ist natürlich eine Spitze gegen den Juso-Chef. Der hatte ja für erheblichen Wirbel gesorgt mit seinen Visionen von vergesellschafteten Wohnungskonzernen. Kevin Kühnert aber lehnt sich entspannt zurück und sagt:
"Ich weiß ganz genau, wenn man die Leute in Berlin, die bei Deutsche Wohnen oder Vonovia einen Mietvertrag haben, wenn man die fragen würde, wohnt ihr eigentlich lieber bei solchen großen Wohnkonzernen oder würdet ihr lieber bei einer staatlichen Wohnungsbaugesellschaft oder einer Genossenschaft wohnen, dann bin ich sehr entspannt, was das Ergebnis dieser Umfrage angeht, weil die nämlich sehen, wie diese Genossenschaften und öffentlichen Wohnungsbauunternehmen dieses Grundbedürfnis in Berlin viel besser organisiert bekommen."
Viel mehr Kontroverse kommt bei dem Kamingespräch allerdings nicht zustande. Soll es wohl auch gar nicht. Es geht ja darum, gemeinsam Ideen zu entwickeln, wie die gerechte Gesellschaft von morgen aussehen könnte. Die 52-jährige Theologin und der knapp 30-jährige Juso-Chef sind sich einig: Die junge Generation hat dafür genügend Ideen. Die Gesellschaft aber lasse sie nicht mitreden. Ellen Ueberschär:
"Ich persönlich gehöre zu den Leuten, die nie verstanden haben, warum man sich mit 14 seine Religion aussuchen darf. Das ist ja ein ziemlicher Einschnitt für das ganze Leben oder eine Entscheidung für das Leben. Aber nicht die Partei oder die Wahlentscheidung."
Teilung noch nicht überwunden
Dürften auch schon 14-Jährige wählen, dann wären die einst großen Volksparteien vielleicht auch nicht so überrascht gewesen von der Fridays-for-Future-Bewegung. Das muss der Juso-Chef unumwunden zugeben:
"Ich muss jetzt die Jusos und die SPD nicht grün waschen an dieser Stelle. Wir haben’s auch ganz schön verpennt. Und da nehme ich die Jusos ausdrücklich mit ein."
Dabei ist das Engagement für den Klimaschutz ein gutes Beispiel dafür, wie 30 Jahre nach dem Mauerfall zumindest in der jungen Generation Ost und West zusammenwachsen. Junge Leute gehen in Leipzig genauso auf die Straße wie in Aachen. Trotzdem: Die Teilung ist noch nicht überwunden. Ein paar Kilometer weiter sitzt Kühnerts Parteifreundin Franziska Giffey auf einer anderen Kirchentagsbühne und sagt:
"Und wenn wir uns angucken: Es gibt die Einkommensunterschiede. Es gibt aber auch die Vermögensunterschiede. Wir haben eine Armutsquote im Osten, die bei 20 Prozent liegt. Im Westen ist sie halb so groß, bei zehn Prozent. Natürlich ist keine Armutsquote respektabel und akzeptabel. Und dafür ist es nötig, dass wir eben auch ganz klar benennen: 17 Prozent Ostdeutsche, ja. Aber wenn man sich zum Beispiel die Führungspositionen in Behörden, in Politik, in Gerichten und so weiter anguckt, in den Chefetagen der deutschen Dax-Unternehmen sind zwei Prozent Ostdeutsche."
Für diese ungleiche Verteilung von Einkommen, Vermögen und Einfluss gebe es dreißig Jahre nach der Wende keine Rechtfertigung mehr.