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EVP-Fraktionschef Weber zum EU-Finanzpaket
"Der jetzige Vorschlag ist so nicht akzeptabel"

Vor der Debatte des Europaparlaments zum Ergebnis des EU-Finanzgipfels hat der Vorsitzende der EVP-Fraktion, Manfred Weber, Änderungen angemahnt. Der jetzige Vorschlag sei für das Europäische Parlament nicht akzeptabel, sagte der CSU-Politiker im Dlf. Das Parlament müsse sicherstellen, dass die Gelder auch wirklich nachhaltige Innovationseffekte haben.

Manfred Weber im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 23.07.2020
Manfred Weber (CSU), Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament in Brüssel.
Der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei im Europa-Parlament, Manfred Weber (CSU) (dpa / picture alliance / Virginia Mayo)
Das Europaparlament befasst sich am Donnerstag mit den Beschlüssen der Staats- und Regierungschefs zum Haushalt der EU und zum Milliardenprogramm gegen die Folgen der Corona-Pandemie. Der Etat für die kommenden sieben Jahre soll mehr als eine Billion Euro betragen, der Aufbaufonds 750 Milliarden Euro. Der jetzige Vorschlag des EU-Haushalts "ist nicht akzeptabel" für das Europäische Parlament, sagte Manfred Weber,
Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei im Europaparlament. Dabei ginge es um Kürzungen bei Zukunftsprogrammen. Die EU sei bei den Forschungsgeldern hinter China und Asien weit zurückgefallen. Hier müssten Anpassungen gemacht werden, so Weber im Dlf.
Mit Blick auf den geplanten Corona-Fonds erklärte er, die einzelnen Mitgliedsstaaten dürften das Geld nicht nach Gutdünken ausgeben. "Wird die EU zu einer Art Geldautomaten, wo jeder sein Geld mit nach Hause nimmt und vor Ort entscheidet und wo bleibt da der europäische Mehrwert?", fragte der CSU-Politiker im Deutschlandfunk. Das Parlament wolle der "Wächter" sein für diesen europäischen Mehrwert.
Beim Thema Rechtsstaat benötige es eine rote Linie. "Wenn so viel Geld ausgegeben wird, dann muss sichergestellt werden, dass die Unabhängigkeit der Gerichte gewährleistet ist" und die Medien frei arbeiten könnten, sagte Weber zum Corona-Aufbaufonds der EU im Dlf.
Es reiche nicht, nur die Wirtschaft zu stabilisieren, sagte er zum europäischen Corona-Aufbaufonds. "Wenn wir jetzt der nächsten Generation Schulden hinterlassen. Dann werden wir sicherstellen, dass die Gelder auch wirklich nachhaltige Innovationseffekte bringen." Die Bürger in ganz Europa wollen, dass man die Werte, die man sich gegeben habe, auch einhalte.

Lesen Sier hier in Kürze das vollständige Interview.

Jörg Münchenberg: Herr Weber, heute wird das Parlament die Gipfelbeschlüsse ja erst einmal diskutieren. Das was bislang auf dem Tisch liegt, findet eine Mehrheit oder wird durchfallen?
Manfred Weber: Ich und wir freuen uns zunächst mal, dass es ein Ergebnis gibt. Wir haben ja am Wochenende auch in den Abgrund geschaut, dass auch ein Scheitern möglich war, das katastrophale Folgen gehabt hätte, und jetzt ist die Solidarität zurück auf dem Kontinent, das Gefühl, wir halten zusammen. Es gibt keine Region auf der Welt, wo 27 Staaten sich jetzt gemeinsam auf den Weg machen, die Covid-Krise vor allem wirtschaftlich zu beantworten.
Und deswegen: Wir freuen uns zunächst mal, aber wir sind eine parlamentarische Demokratie. Jetzt kommt das Ergebnis in das Parlament und jetzt wird es akribisch geprüft und dann auch noch mal verbessert.

Münchenberg: Aber das, was jetzt auf dem Tisch liegt, ist so nicht mehrheitsfähig?
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2
Weber: Der jetzige Vorschlag ist so nicht akzeptabel für das Europäische Parlament. Im Vorbericht wurden bereits einige Gedanken genannt, die auch breit getragen werden im Parlament. Wir sind da über die Fraktionen hinweg sehr, sehr geschlossen bei der Resolution, die wir heute verabschieden werden. Da ist zum Beispiel der Punkt, dass die Zukunftsprogramme, die, die uns in den nächsten sieben Jahren jetzt fit machen sollen für die weltweiten Herausforderungen, dass die massiv gekürzt worden sind.
Ich nenne Ihnen zwei Beispiele. Das eine ist Forschung. Wir hatten uns vorgenommen, dass wir der innovativste Kontinent der Welt werden, aber wir sind hinter China und Asien weit zurückgefallen bei den Forschungsgeldern. Am Wochenende wurde noch mal das europäische Forschungsprogramm gekürzt und nicht erweitert.
Ein zweites Beispiel: Wir hatten uns vorgenommen, endlich bei Gesundheit voranzukommen, gerade wegen der Corona-Krise, oder meine Partei hatte im Wahlkampf beispielsweise auch überlegt, ein Programm gegen Krebs aufzulegen, damit wir der erste Kontinent sind, der Krebs bekämpfen kann, vielleicht mit gemeinsamen Forschungsaktivitäten. Auch dieses Programm wurde massiv zusammengestrichen.
Und deswegen: Wir sehen die positiven Seiten, aber wir werden uns um diese Punkte kümmern, dass Europa wirklich zukunftsfähig ist. Deswegen müssen vor allem die Zukunftsprogramme in der mittelfristigen finanziellen Vorausschau noch mal angepasst werden.
"Wo bleibt dann der europäische Mehrwert?"
Münchenberg: Das heißt, mehr Geld von den Mitgliedsstaaten, weil der Haushaltsrahmen ausgedehnt werden soll?
Weber: Wir müssen auch über Umschichtungen reden. Beides ist möglich, Umschichtungen und neues Geld. Aber wir müssen die konkrete Frage beantworten: Erleben wir mit diesen Beschlüssen vom Wochenende eine Renationalisierung der Budgets der Europäischen Union? Wird die Europäische Union zu einer Art Geldautomaten, wo jeder sein Geld mit nachhause nimmt und dann vor Ort entscheidet? Und wo bleibt dann der europäische Mehrwert? Das sind die Fragen, die uns umtreiben.
Deswegen werden wir auch vor allem bei dem Recovery Fund, bei dem Wiederaufbauplan, bei dieser großen Summe von 750 Milliarden Euro werden wir als Europäisches Parlament der Wächter sein für den europäischen Mehrwert. Es kann nicht sein, dass jeder das jetzt nach Gutdünken ausgibt, das Geld, nur, weil er aus Brüssel was überwiesen bekommt, sondern es muss ein europäischer Mehrwert dahinterstehen: beispielsweise 5G-Netzwerk für Europa. So wie frühere Politiker Airbus geschaffen haben, müssen wir jetzt auch bleibende Dinge für morgen schaffen.
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Münchenberg: Herr Weber, Sie haben gesagt, bei den Zukunftsprogrammen wird gespart, das ist der falsche Ansatz. Auf der anderen Seite haben wir jetzt bei diesen fünftägigen Verhandlungen erlebt, dass die Mitgliedsstaaten erbittert gestritten haben ums Geld. Wo kommt da Ihre Hoffnung her, dass man bereit ist in den Hauptstädten, mehr Geld nach Brüssel zu überweisen? Oder wird das Ende nicht nur gehen durch Umschichtungen?
Weber: Wie gesagt, wir werden beide Wege jetzt diskutieren. Das muss man mit den Staaten machen. Und die zentrale Frage ist auch, wie ernst wir es nehmen mit den Eigenmitteln. Am Wochenende wurde beschlossen, dass es ab Januar 2021, also schon in wenigen Monaten, eine Plastikabgabe geben soll, die einen ökologischen Lenkungseffekt hat, um Plastik zu reduzieren, unsere Meere zu schützen. Und dann wurde vereinbart, dass wir eine Digitalsteuer bekommen, die zukünftig auch die großen Digitalkonzerne besteuert.
Wir haben eine massive Steuerungerechtigkeit, dass die Digitalkonzerne viel zu wenig auf ihren Gewinn Steuern zahlen im Vergleich zur normalen Industrie, und das muss beendet werden und das geht nur europaweit, weil Digitalkonzerne ihre Gewinne schnell verschleiern und verschieben können. Wir brauchen da jetzt die Kraft, auch die zu besteuern, die die Gewinner der Krise sind, die Digitalwirtschaft.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie wir die Themen finanzieren. Es ist jetzt die Frage des Mutes und ich bleibe noch mal dabei: Die Richtung muss stimmen. Es geht jetzt nicht nur darum, einfach Geld auszugeben, damit die Wirtschaft stabilisiert wird, was ein wichtiger Punkt ist, sondern wenn wir jetzt schon Schulden machen und der nächsten Generation Schulden hinterlassen, dann werden wir sicherstellen, dass die Gelder auch wirklich nachhaltig einen Innovationseffekt bringen, echte Zukunft schaffen. Das ist der zentrale Punkt.
"Das Europäische Parlament wird klar eine rote Linie ziehen"
Münchenberg: Herr Weber, auch beim Thema Rechtsstaatlichkeit gibt es ja reichlich Kritik. Da weist das Gipfeldokument nur eine ziemlich schwammige Formulierung auf, nämlich es sei wichtig, Respekt für die Rechtsstaatlichkeit zu zeigen. Hat die EU bei diesem Thema inzwischen nicht einfach resigniert?
Weber: Europa darf bei diesem Thema nie resignieren. Zunächst mal ist der Erfolg des Gipfels, dass es gelungen ist, die Rechtsstaatlichkeit mit den Geldern zu verbinden. Aber Sie haben recht: Wenn Macron in Frankreich öffentlich sagt, dass wir zukünftig kein Geld mehr geben, wer nicht den Rechtsstaat einhält, und wenn ich dann in Ländern in Polen und Ungarn die Statements anhöre, dann hört sich das ganz anders an. Man muss zunächst mal schon noch mal bei den Staatschefs diskutieren, was wurde denn eigentlich beschlossen, und diese Klärung, was wurde beschlossen und wie gehen wir mit diesem Rechtsstaatsmechanismus in Zukunft um, die fordern wir jetzt ein.
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Das Europäische Parlament wird klar eine rote Linie ziehen. Wir brauchen einen Mechanismus, wenn jetzt schon – ich wiederhole das noch mal – so viel Geld ausgegeben wird auf europäischer Ebene, dann muss sichergestellt werden, dass die Unabhängigkeit der Gerichte gewährleistet ist. Dann muss sichergestellt werden, dass die Medien frei arbeiten dürfen. Nur dann können wir die Gewähr haben, dass die Gelder auch ordentlich verwandt werden, weil die Zivilgesellschaft aufpasst.
Münchenberg: Aber im Augenblick, hat man schon den Eindruck, geht es genau in die andere Richtung. Ursprünglich war ja mal angedacht, dass Strafen nur mit qualifizierter Mehrheit gestoppt werden könnten. Jetzt geht der Zug in die Richtung, da müssen sich die Staaten mit qualifizierter Mehrheit für Strafen aussprechen, und das ist ja viel schwieriger zu erreichen.
Weber: Für uns gilt der Vorschlag des früheren Kommissars Günther Oettinger, der den Gesetzestext, der jetzt aktuell auf dem Tisch liegt, vorgelegt hat, nämlich, dass die Kommission eigenständig die Prüfung vornimmt. Und wenn ein Staat Fragen aufwirft, dann kann die Kommission die Gelder stoppen. So ein Verfahren brauchen wir und die Mitgliedsstaaten könnten diesen Beschluss dann nur aufheben, wenn sie eine qualifizierte Mehrheit dagegen schaffen, diesen Beschluss zu ändern. Das ist das, was wir wollen als Parlament, und da sind wir jetzt auf die Gespräche mit der jetzt anstehenden deutschen Ratspräsidentschaft gespannt.
Die Bürger können sich sicher sein, dass das Europäische Parlament, übrigens wie gesagt in sehr großer Geschlossenheit, was gut zu sehen ist, dass wir parteiübergreifend da an einem Strang ziehen – wir werden genau die zwei Punkte jetzt in den Mittelpunkt schieben. Das eine ist der Rechtsstaat und das zweite ist die Zukunftsfähigkeit der Gelder. Nicht in die Vergangenheit darf investiert werden, sondern in die Zukunft muss investiert werden.
Münchenberg: Aber noch mal der Punkt Rechtsstaatlichkeit. Geht das Parlament tatsächlich am Ende auch so weit, um zu sagen, wenn das nicht scharf gestellt wird, dann lassen wir das Programm durchfallen?
Weber: Herr Münchenberg, die Positionierung des Parlaments heute ist klar. In der jetzigen Form sind die Vorlagen, die Beschlüsse des Rates nicht akzeptabel fürs Europäische Parlament. Wir sind heute in der Situation, dass jetzt wir gefordert sind, unsere Forderungen auf den Tisch zu legen, und das machen wir heute mit der Resolution, und da sind die beiden Bereiche, die ich nannte, die roten Linien und da brauchen wir Fortschritte.
Natürlich führen wir Gespräche und werden wir auch bei den Gesprächen wie am Wochenende die Staatschefs zu Kompromissen bereit sein müssen. Aber an den beiden Punkten machen wir fest, ob wir wirklich das Ergebnis vom Wochenende verbessern können. Und noch mal: Wir freuen uns, dass es ein Ergebnis gibt. Das war für Europa echt wichtig. Aber jetzt ist die Stunde des Parlaments.
"Die Bürger in ganz Europa, wollen, dass wir die Werte, die wir uns geben, auch einhalten"
Münchenberg: Viele werden trotzdem vielleicht die Bilder im Kopf haben, dieser triumphale Abgang von Viktor Orbán, dem ungarischen Ministerpräsidenten, nach dem Gipfel, der letztlich gesagt hat, in Sachen Rechtsstaatlichkeit hat die EU gebellt, aber nicht gebissen. Ist das nicht die bittere machtpolitische Realität am Ende?
Weber: Dass Viktor Orbán, auch der polnische Premier Morawiecki - und übrigens darf ich auch dazu sagen, verstecken sich auch hinter den beiden weitere Staatschefs, die das eigentlich auch nicht wollen, aber nicht so öffentlich sagen wie die beiden -, dass wir da Widerstände haben, ist klar. Aber Sie haben es ja beschrieben: Auch bei den Geldzahlungen haben wir bei den Frugal Four, bei den sparsamen Vier, wenn jetzt Europa, das Europäische Parlament mehr Zukunftsorientierung einfordert, auch da haben wir massive Widerstände – denken Sie an die Niederlande. Das heißt, in beiden Bereichen werden wir jetzt zunächst mal schwierige Gespräche vor uns haben. Entscheidend ist, dass die Bürger wissen, dass wir für diese beiden Punkte jetzt kämpfen werden, streiten werden und dann Ergebnisse erzielen werden.
Albrecht von Lucke, Publizist und Politologe (8.9.2016). 
Politologe: "Haben so etwas wie eine neue Fraktionierung Europas"
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Ich sage beim Rechtsstaat schon noch mal dazu, dass da natürlich auch die Frage im Raum steht, wie entschieden die EU-Kommission dann vorgeht. Die Gesetzestexte, die jetzt vorliegen, können mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. Auch im Rat kann ein Gesetz beschlossen werden zum Rechtsstaat, zu so einem Mechanismus, ohne dass alle Staaten zustimmen müssen. Das ist nur auf der Ebene der Staatschefs notwendig, dass wir einstimmig beschließen. Bei der Gesetzgebung ist das nicht notwendig und deswegen sage ich auch, lasst uns das Gesetz jetzt machen, egal ob es dann Polen und Ungarn passt, lasst uns diesen Weg gehen und dann sollen die, wenn es ihnen nicht passt, vor den Europäischen Gerichtshof gehen. Der Lissabon-Vertrag gibt uns diese Möglichkeiten, die Rechtsgrundlage Europas. Wir müssen jetzt mit mehr Ambition herangehen. Die Bürger in ganz Europa, nicht nur in Deutschland, in ganz Europa wollen, dass wir die Werte, die wir uns geben, auch einhalten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.