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Ex-Botschafter Italiens: Sparpaket wird als ungerecht empfunden

Die Italiener seien zu Opfern bereit, doch sie wollten auch konkrete Ergebnisse der Sparmaßnahmen sehen, sagt Antonio Puri Purini, Ex-Botschafter Italiens in Deutschland. Die Glaubwürdigkeit der Regierung sei entscheidend, doch Berlusconi habe nicht mehr die Mehrheit im Land hinter sich.

Antonio Puri Purini im Gespräch mit Gerd Breker | 21.09.2011
    Bettina Klein: Die Schlagzeilen des gestrigen Tages beherrschten Italien und die Herunterstufung der Kreditwürdigkeit des Landes durch die Ratingagentur Standard & Poor's. Die Reaktion von Regierungschef Berlusconi war vielsagend, die Einschätzung sei wohl mehr von Medienberichten denn von der Realität diktiert. Allerdings hatte Italien sich erst unter Druck und wiederholten Kursänderungen zum Sparen durchgerungen. Standard & Poor's machte auch deutlich, dass dies eine durchaus politisch gemeinte Entscheidung gewesen sei, so wie auch die Herabstufung der USA vor allem politisch begründet worden war. Mein Kollege Gerd Breker hat gestern Abend die Gelegenheit gehabt, mit dem ehemaligen Botschafter Italiens in Deutschland, Antonio Puri Purini zu sprechen, und fragte ihn, wie sehr er überzeugt sei, dass Ministerpräsident Silvio Berlusconi tatsächlich sparen will

    Antonio Puri Purini: Das Problem, glaube ich, ist nicht, ob Silvio Berlusconi sparen will. Wenn es von ihm ausgehen würde, glaube ich, er würde überhaupt nicht sparen. Aber er weiß, dass er sparen muss, und das hat er schon begriffen, und deshalb wird dieses Sparprogramm auch durchgesetzt werden.

    Gerd Breker: Sorgt sich denn der normale Italiener, Herr Purini, wirklich um die Stabilität des Euros?

    Purini: Schauen Sie, es ist nicht eine leichte Frage zu beantworten. Ich sage immer, es gibt grundsätzlich zwei Italien: ein Italien, das, sagen wir, nicht ein gutes Gesicht des Landes vermittelt, und ein zweites Italien, das fleißig, vernünftig, kreativ und mit Ehrgeiz arbeitet und durch das Leben geht. Ich glaube, dieses zweite Italien hat schon begriffen, wie ernst die Krise ist. Das Problem, das wir haben: Wie kann man das, diese Sorgen, die Ernsthaftigkeit der Lage vermitteln. Die Zeitungen machen das, einige besonders, aber das Fernsehen ist grundsätzlich mit wenigen Ausnahmen von der Regierung kontrolliert, und wenn sie sich, sagen wir, ein öffentliches Fernsehen anschauen wie RAI, abgesehen von dem Privatfernsehen, kommt die Dramatik der Lage nie wirklich durch. Radio bei uns spielt eine wichtige und positive Rolle. So ist es ein Bild mit positiven und negativen Aspekten, aber ich glaube, dass Italien irgendwie die Verantwortung trägt, die Regierung zu fördern. Das heißt der Staatspräsident, die italienische Staatsbank, die Unternehmer, Teil der Öffentlichkeit, die haben schon begriffen, um was es geht.

    Breker: Wie sieht man in Italien die Diskussion um die Hilfe für Griechenland und die anderen europäischen Schuldnerstaaten in Deutschland? Versteht man die deutsche Position?

    Purini: Man versteht sie teilweise und man hat irgendwie die Neigung, nur an unsere eigenen Probleme zurückzukommen. Der Grund dafür ist auch das Fernsehen, das wirklich von der Regierung sehr stark beeinflusst ist, und man versteht nicht, dass auch die Kanzlerin unter einem innenpolitischen Druck steht. Das ist hart zu begreifen und man versteht auch teilweise nicht den Begriff von dem Stabilitätskurs, an den sich Deutschland schon seit einigen Jahren mit Erfolg gewidmet hat. Aber ich versuche auch, wenn ich eine Gelegenheit habe, meine Landsleute zu überzeugen, wie Deutschland vor diesem Problem steht, und ich versuche, auch meine deutschen Freunde zu überzeugen, dass die gemeinsame Währung eine gemeinsame Verantwortung ist und dass man nicht nur damit umgehen kann, welche Seite Vorteile hat und welche andere Nachteile hat.

    Breker: Es gibt in Italien Proteste gegen das jetzt verabschiedete Sparpaket. Worin liegen die, darin, dass man nicht wirklich einsieht, dass gespart werden muss, oder wird das Sparpaket als ungerecht empfunden?

    Purini: Bis jetzt, Gott sei Dank, hat es noch nicht, abgesehen von dem Streik Anfang September, der aber ziemlich erfolglos war, irgendwie Massendemonstrationen gegen das Sparpaket gegeben. Die Leute, die breite Öffentlichkeit hat schon ein Gespür, dass das Sparpaket ungerecht ist. Die Öffentlichkeit, die italienische Öffentlichkeit ist bereit, auch etwas zu opfern, obwohl sie in den letzten Jahren ärmer geworden ist, aber sie möchte auch überzeugt sein, dass diese Maßnahmen wirklich dann irgendwie konkrete Ergebnisse bringen. Das ist ein bisschen das Thema und dort spielt selbstverständlich die Glaubwürdigkeit einer Regierung und von dem Ministerpräsident eine sehr wichtige Rolle.

    Breker: Braucht Italien eine neue Regierung und einen Ministerpräsidenten, der nicht Silvio Berlusconi heißt?

    Purini: Auf jeden Fall ja.

    Breker: Ist der in Sicht?

    Purini: Wissen Sie, bei uns ist die Lage in diesem Moment sehr, sehr komplex. Grundsätzlich ist das Thema folgendes: Berlusconi hat eine Mehrheit im Parlament und wir sind eine parlamentarische Demokratie. Solange er eine Mehrheit im Parlament hat, hat der Staatspräsident keine Möglichkeit, ihm zu sagen, gib dein Amt auf. Wäre Silvio Berlusconi jemand anderes, er würde dem Beispiel von Zapatero folgen, der freiwillig das getan hat. Andererseits: Berlusconi hat eine Mehrheit im Parlament, aber er hat nicht mehr eine Mehrheit im Land, und auch in seiner eigenen Partei gibt es mehr und mehr Mitarbeiter, die intelligent genug sind, um zu verstehen, was für ein Problem auch der Ministerpräsident geworden ist. Also wir stecken in dieser Lage. Es kann auch plötzlich stattfinden, etwas, was ich mir aber noch nicht vorstellen kann, könnte passieren, wo plötzlich auch Berlusconi durch seine eigenen Leute nicht mehr eine Mehrheit im Parlament hat, aber das kann nur stattfinden, wenn es in seiner eigenen Partei genug Leute gibt, die die Entscheidung treffen: Wir werden ihn nicht mehr unterstützen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.