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Ex-Ministerpräsident poltert gegen den Neuen

CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff und der SPD-Finanzminister Jens Bullerjahn beweisen in Sachsen-Anhalt nicht gerade Fingerspitzengefühl. Jetzt wendet sich sogar der ehemalige Ministerpräsident Wolfgang Böhmer ab.

Von Christoph Richter | 23.05.2013
    Zwei Dutzend Hallenser Studenten und Hochschulmitarbeiter sind gestern in den Magdeburger Landtag gekommen. Sie tragen Transparente, gucken ernst. Einer von ihnen schleppt eine schwere Kiste. Mit über 100.000 Unterschriften einer Onlinepetition. Sie fordern den Erhalt der Hochschullandschaft, die sie dem Landtagspräsident Detlef Gürth, CDU, überreichen.

    "Das ist vermutlich eine der erfolgreichsten Bürgerinitiativen, die Sachsen-Anhalt in den letzten 20 Jahren miterlebt hat. Ich finde das gut."

    Die Unterschriftenaktion der Studierenden: Es ist der vorerst letzte Höhepunkt einer seit Wochen dauernden riesigen Protestwelle, die durch Sachsen-Anhalt zieht. Ein Hauch von 1989 geht um. Im Visier haben die Menschen das launige und impulsive Regierungsduo, bestehend aus CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff und seinem Vize, dem SPD-Finanzminister Jens Bullerjahn. Die beiden haben für die kommenden Jahre einen radikalen und kompromisslosen Sparkurs angekündigt. Im Mittelpunkt der Einschnitte stehen neben der Kultur und Polizei, die Wissenschaften. Nicht nur eine Uniklinik soll gestrichen werden, auch den Hochschulen wollen sie 75 Millionen Euro entziehen. Das entspräche 150 Professuren. Jens Strackeljahn, Rektor der Uni Magdeburg, warnte bereits im April:

    "Es darf nicht das Signal nach draußen kommen, hier in Sachsen-Anhalt nimmt man die Wissenschaft nicht ernst, sondern glaubt, so handeln zu können. Weil dann vergibt sich das Land eine Riesenchance. Eben in den kommenden Jahren mit dem Hochschulsystem, was Positives zu leisten."

    Seit Monaten machen die Rufe vom visionslosen Sparen die Runde. Und als im April die damalige Wissenschaftsministerin Birgitta Wolff in den Chor der Kritiker mit einstimmte, brach es aus CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff erstmals heraus. Er entließ kurzerhand seine Parteikollegin. Aber, und das ist das Besondere: Er machte es nicht etwa im persönlichen Gespräch, sondern per Telefon. Wie unter Teenagern, die auch mal per SMS Schluss machen. Von unangemessenem autoritärem Politikstil war die Rede. Ende April fand Linken-Oppositionsführer Wulf Gallert klare Worte, während einer aktuellen Debatte im Landtag.

    "In dieser Koalition wird kein Widerspruch geduldet. Das Signal an die Gesellschaft: Ihr könnt euch drüber aufregen, aber es ist sinnlos, es passiert sowieso nichts mehr. Die Dinge sind beschlossen. Ihr könnt nach Hause gehen. Dieses Signal ist fatal."

    Regierungschef Reiner Haseloff schnodderte zurück

    "Ich als Ministerpräsident kann nur weiterarbeiten, wenn die Vereinbarung, die alle im Kollektivorgan eines Kabinetts getroffen haben, entsprechend auch solidarisch durchstehen. Da kann keiner ausbrechen, da muss gemeinsam zusammengestanden werden. Dass das technisch sicherlich von mir optimal gewünscht war, ist eine andere Sache, da muss noch zwischenmenschlich nachgearbeitet werden."

    Empathie? Für Ministerpräsident Haseloff scheint das eher ein Fremdwort zu sein. Doch damit nicht genug: Jetzt kritisiert ihn selbst sein politischer Ziehvater, Ex-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer mehr als deutlich. Sein Handeln sei ...

    "... nicht immer glücklich."

    Den Rest verkneift sich Wolfgang Böhmer – ganz Diplomat -, als müsse er sich selbst den Mund verbieten. Um im nächsten Satz doch noch über den Führungsstil seines Nachfolgers zu sprechen. Man hat das Gefühl, als habe Böhmer lange genug geschwiegen. Als müsse er jetzt Klartext reden:

    "In der Wirtschaft ist 50 Prozent Psychologie. Und da sage ich, in der Politik sind mindestens 70 Prozent Psychologie. Dazu gehört eben auch das Fingerspitzengefühl im Umgang mit Menschen."

    Alt-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer ruckelt fast etwas unruhig im Sessel seines Arbeitszimmers in Wittenberg. Besonders deutliche Worte findet er zur Wiedereinführung des Rechtsanspruchs auf Kita-Ganztagsbetreuung, die pro Jahr das Land Sachsen-Anhalt bis zu 52 Millionen Euro zusätzlich kosten soll. In einem Land, das bereits vorher schon bundesweit die beste Kinderbetreuung hatte. Böhmer schüttelt den Kopf. Das sei aber genau das Geld, das jetzt den Hochschulen weggestrichen werde, ergänzt er.

    "Ein Nachteil ist es, wenn wir unsere Hochschulen, na, sagen wir mal, so kaputt sparen, dass sie nichts mehr nützen. Auch nicht mehr für die eigene Wirtschaft im Land nützen können. Deswegen war das aus meiner Sicht die falsche Prioritätensetzung."

    Es ist durchaus ungewöhnlich, dass ein Ex-Ministerpräsident seinen Nachfolger öffentlich kritisiert, sich lautstark in die Landespolitik einmischt. Wolfgang Böhmer begeht damit einen offenen Tabubruch. Beobachter werten dieses Vorgehen als eine herbe persönliche Enttäuschung Böhmers über seinen einstigen Ziehsohn Haseloff.

    "Wir haben kein Grund zu tun, als ob es bei uns besonders schlimm wäre."

    Betroffen mache ihn, erzählt Böhmer, dass es kaum Kontakte zwischen ihm und seinem Nachfolger gibt, obwohl sie fast Nachbarn sind. Immerhin wohnen sie beide in der Lutherstadt Wittenberg.

    "Ich stelle einfach fest, er macht sich das Leben gelegentlich schwer."

    Um das Regierungsduo Haseloff/Bullerjahn wird es zunehmend einsamer. Ob die eigene Parteibasis, die politische Familie, die Öffentlichkeit: Keiner lässt an ihnen ein gutes Haar. Was sie davon halten, dass jetzt auch noch Wolfgang Böhmer in die Debatte eingreift und lospoltert, man kann es nur vermuten. Möglicherweise schweißt es sie zusammen. Frei nach dem Motto: Lasst doch alle reden, wir ziehen unser Ding durch. Zumindest bis zu den Bundestagswahlen.