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Ex-Schlichter Geißler
"Es gibt bessere Lösungen" als Stuttgart 21

Heiner Geißler plädiert weiterhin für eine Kombination aus Kopf- und Tiefbahnhof als eine friedensstiftende Lösung in Stuttgart. In Zusammenhang mit einem von ihm geäußerten Goebbels-Zitat verwahrte er sich gegen den Vorwurf, den Nationalsozialismus zu verharmlosen.

Heiner Geißler im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 02.08.2011
    Heiner Geißler: "Es gibt Lösungen, die sind konsensfähig."
    Heiner Geißler: "Es gibt Lösungen, die sind konsensfähig." (picture alliance / dpa / Horst Ossinger)
    Tobias Armbrüster: Den Geißler, den man rief, den wird man in Stuttgart nicht mehr los! - Das schrieb gestern der "Münchner Merkur" in seinem Kommentar zur verfahrenen Lage rund um das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Wir erinnern uns: Gegner und Befürworter des Projekts hatten am vergangenen Freitag erneut über den geplanten, tiefergelegten Hauptbahnhof in Stuttgart diskutiert, am Schluss kam dann ganz überraschend der Auftritt des Schlichters Heiner Geißler. Sein Vorschlag: Man sollte den alten Bahnhof zum größten Teil stehen lassen und um einen neuen, unterirdischen Teil erweitern. "Frieden für Stuttgart" hat Heiner Geißler diesen Plan überschrieben, in Stuttgart wird aber weiter demonstriert. Geißlers Plan war auch dort gestern Abend bei der Montagsdemonstration wieder ein Thema. Und am Telefon begrüße ich Heiner Geißler, schönen guten Morgen!

    Heiner Geißler: Ja, guten Morgen!

    Armbrüster: Herr Geißler, zu hören war da ziemlich viel Kritik an Ihrem Kurs, nicht nur von der Bahn offenbar, sondern auch von den Bahnhofsgegnern. Sind Sie überrascht?

    Heiner Geißler: Ja, was soll ich denn damit anfangen? Dass Einzelne oder wohl auch mehrere nun bei diesem Projekt eine unterschiedliche Meinung haben, das ist doch ganz selbstverständlich.

    Armbrüster: Aber auffallend ist doch, dass sich niemand ganz klar für Ihren Vorschlag ausgesprochen hat.

    Heiner Geißler: Ja, das habe ich auch nicht erwartet. Wenn ich mal von der kompetenten Seite absehe, die ja dazu wirklich etwas gesagt hat, nämlich der Firma SMA, die das ja ausgearbeitet hat, kann man ja nicht erwarten, dass von heute auf morgen die Schnellredner, die noch nicht mal schnell denken, aber die Schnellredner das Sagen haben. Man muss einen solchen Vorschlag einfach mal überprüfen und überdenken. Mehr will ich ja gar nicht.

    Armbrüster: Das heißt, Herr Geißler, haben bei der Bahn die Schnellredner das Sagen?

    Geißler: Wieso bei der Bahn? Die Bahn hat sich dazu nicht geäußert.

    Armbrüster: Die Bahn hat ziemlich schnell klargemacht, dass sie einfach weiterbauen will.

    Geißler: Nein, hat sie nicht getan. Sehen Sie, wissen Sie, das Hauptproblem sind auch Ihre Kolleginnen und Ihre Kollegen. Die Bahn hat einen Auftrag vergeben für den Fildertunnel, für 750 Millionen Euro. Aber dieser Fildertunnel, der wird gebaut vielleicht in einem halben Jahr oder in einem Dreivierteljahr, und jetzt werden die Vorbereitungen getroffen. Und außerdem: Den Fildertunnel, den braucht man auch bei dem Vorschlag, den SMA auf den Tisch gelegt hat. Da ist überhaupt nichts verbaut und nichts vergeben. Es wird so viel Unsinn geredet in dem Zusammenhang, vor allem aber auch in der Öffentlichkeitsarbeit, bei der Presse, überall bei den Journalisten, diese vorschnellen Urteile basieren auf mangelnder Information.

    Armbrüster: Heißt das, Sie haben Informationen von der Bahn, dass die Ihren Vorschlag annehmen wollen?

    Geißler: Ich habe überhaupt keine Informationen von der Bahn, sondern ich antworte jetzt auf das, was Sie gesagt haben. Ich habe natürlich auch Informationen von der Bahn, aber die werde ich jetzt hier nicht in der Öffentlichkeit ausbreiten.

    Armbrüster: Aber vielleicht können Sie uns zumindest so viel wissen lassen: Gibt es dort eine wohlwollende Haltung?

    Geißler: Nein, wieso soll ich Ihnen das sagen? Nachher heißt es wieder, ich hätte gesagt, die Bahn ist dafür. Die Bahn prüft, sie hat gesagt, es muss jetzt zur Kenntnis genommen werden, das macht die Bundesregierung ebenfalls und die Landesregierung auch, und das ist auch die richtige Einstellung. Es gibt eine Reihe von Leuten, die Denkblockaden haben, die einfach nicht weiterdenken wollen. Dazu gehören zum Beispiel die FDP-Leute in Stuttgart, die nicht bereit sind, aus eingefahrenen Gleisen herauszukommen, und dann gibt es einfach Leute, die reden einfach drauf los, ohne mal darüber nachzudenken oder sich zu informieren. Das ist die Presselage.

    Armbrüster: Nun ist Ihr Vorschlag, den Sie da letzten Freitag gemacht haben, Herr Geißler, nicht ganz neu. Er kursierte schon mal Mitte der 90er-Jahre und wurde dabei verworfen. Warum sollte er jetzt Chancen haben?

    Geißler: Ja, das war ja der große Fehler, dass er vor 15 Jahren aus dem Raumordnungsverfahren einfach rausgekippt worden ist. Das ist auch eine Argumentation, die man nicht nachvollziehen kann: Dadurch, dass jetzt was alt ist, dass dieser Vorschlag ein älteres Datum hat, deswegen ist der doch nicht falsch geworden. Das Raumordnungsverfahren war falsch. Man muss sich mal endlich angewöhnen, anders zu denken! Unser Baurecht ist falsch, das Raumordnungsverfahren ist falsch, die Planfeststellungsverfahren sind falsch und führen vor allem dazu, dass die Leute nicht beteiligt werden. Hätte man damals den Vorschlag von Professor Heimerl, der in der Tat fast identisch ist mit dem, was ich gesagt habe, in die Prüfung mit einbezogen und nicht einfach rausgeschmissen, dann wäre wahrscheinlich die ganze Diskussion um Stuttgart 21 anders gelaufen. Jetzt kommen Sie oder andere und sagen, ja das hat man vor 15 Jahren schon mal verworfen! Das war ja gerade der Fehler, dass man das gemacht hat!

    Armbrüster: Sind Sie, Herr Geißler, jetzt noch unparteiisch?

    Geißler: Aber selbstverständlich. Ich habe doch kein Interesse daran, irgendeiner Partei oder jener Partei einen Pluspunkt zu geben, sondern ich will mich an der Sache orientieren. Und im Moment habe ich einen Vorschlag gemacht, der vielleicht Frieden stiften kann. Ich habe den Eindruck, die Leute achten gar nicht darauf, die denken, man kann einfach weitermachen. Man kann sich weiter die Köpfe einschlagen. Nun können Sie mir mal die Frage beantworten: Wie soll die Bahn eigentlich bauen in einem solchen Umfeld? Auch in dem politischen Umfeld? Wenn Polizei die Lastwagen bewachen muss. Hier sollte man sich, bevor man doch hier einfach weiterredet und weiterredet und in alten Gleisen weiterfährt, sollte man mal überlegen, ob es nicht eine Lösung gibt, die den Frieden ermöglicht.

    Armbrüster: Das heißt, Herr Geißler, Sie sehen ...

    Geißler: Dass man ein solches Projekt einfach friedlich ermöglichen kann.

    Armbrüster: Sie sehen unter den derzeitigen Umständen keine Möglichkeit, Stuttgart 21 zu bauen?

    Geißler: Das sage ich auch nicht. Wenn Stuttgart 21 gebaut werden soll, dann wird es halt gebaut, habe ich auch nichts dagegen. Aber es wird gebaut werden unter heftigsten Auseinandersetzungen. Es steht ja noch eine Volksabstimmung an. Da warten wir erst mal ab, wie der Wahlkampf abläuft für diese Volksabstimmung. Natürlich kann Stuttgart 21 auch gebaut werden, es ist kein schlechter Bahnhof, aber auf der anderen Seite gibt es auch bessere Lösungen. Es gibt gute Lösungen, es gibt bessere Lösungen, es gibt Lösungen, die sind konsensfähig, und darüber muss man jetzt mal nachdenken.

    Armbrüster: Herr Geißler, seit Tagen wird auch über eine ganz andere Äußerung von Ihnen gesprochen, am Schluss der Gespräche am vergangenen Freitag haben Sie Joseph Goebbels zitiert und die Konfliktparteien gefragt: "Wollt ihr den totalen Krieg?" Was war da Ihre Absicht?

    Geißler: Mal klarzumachen, was los ist. Man kann doch nicht dauernd in Entweder-Oder-Kategorien denken, sondern es gibt auch das Denken Sowohl-Als-Auch. Es ist der Kompromiss, der ...

    Armbrüster: Aber verharmlosen Sie damit, Herr Geißler, verharmlosen Sie damit nicht ...

    Geißler: ... hallo, hallo, hallo ...

    Armbrüster: ... ja, ich höre?

    Geißler: Ich kann Ihre Frage ja nicht verstehen, wenn Sie mir reinreden.

    Armbrüster: Ich muss Sie das ...

    Geißler: ... ich wollte doch gerade was erläutern ...

    Armbrüster: ... ich muss Sie das gerade fragen: Verharmlosen Sie damit die Sprechweise der Nazis?

    Geißler: Ach was, das ist keine Sprechweise der Nazis. Der totale Krieg, den gibt es auch anderswo, den haben wir zurzeit in Syrien.

    Armbrüster: Aber die Frage "Wollt ihr den totalen Krieg" stammt von Joseph Goebbels.

    Geißler: So? Da wissen Sie mehr als ich.

    Armbrüster: Noch mal die Frage, war das Ihre Absicht?

    Geißler: Was war meine Absicht?

    Armbrüster: Die Sprechweise der Nazis zu verharmlosen?

    Geißler: Ja, ich glaube, Sie sind wohl auf dem Mond zu Hause, mir zu unterstellen, ich wollte hier die Nazis verharmlosen!

    Armbrüster: Was war dann Ihre Absicht?

    Geißler: Also, so eine Unterstellung! Bitte?

    Armbrüster: Herr Geißler, was war dann Ihre Absicht, dieses Zitat zu benutzen?

    Geißler: Ja, ich habe das benutzt, um die Situation klarzumachen. Waren Sie schon mal in Stuttgart und haben Sie es erlebt, was da los ist? Sie haben ja gerade Auszüge aus dieser Demonstration gebracht. Das ist ein verbaler Krieg, den wir dort haben.

    Armbrüster: Und droht dort ...

    Geißler: ... eine heftige Auseinandersetzung, die die Stadt spaltet und die Leute gegeneinander aufbringt. Meine Absicht war, deutlich zu machen, dass wir den Frieden brauchen. Vielleicht sollten Sie mal darüber reden, anstatt über ein Zitat, das ja nur dazu dient, den Leuten klarzumachen, dass es jetzt höchste Zeit ist, eine friedliche Lösung finden zu wollen.

    Armbrüster: Na ja, das Zitat haben Sie ja in die Welt gesetzt.

    Geißler: Ja und, was ist dann? Und, was ist da, in dem Zitat?

    Armbrüster: Ja, ich würde gerne von Ihnen wissen, ist Ihnen das klar, dass viele Leute darin eine Verharmlosung der Nazi-Sprechweise sehen und dass sie darüber empört sind?

    Geißler: Ja, das kann schon sein. Wenn Leute sich wegen etwas Unsinnigem empören, kann ich sie nicht daran hindern.

    Armbrüster: Ist das denn totaler Krieg, der da in Stuttgart droht?

    Geißler: Der droht schon seit geraumer Zeit, er ist schon seit geraumer Zeit vorhanden, es hat über 100 Verletzte gegeben, ein Mensch ist total blind geworden bei dieser Auseinandersetzung.

    Armbrüster: Und das reicht ...

    Geißler: Ich verharmlose überhaupt nicht, ich glaube, Sie verharmlosen.

    Armbrüster: Ich glaube, viele Leute fragen sich, ob man mit einer solchen Sprechweise die Situation nicht nur noch verschlimmert.

    Geißler: Wer sind viele Leute, wer ist das?

    Armbrüster: Zum Beispiel Hörer des Deutschlandfunks.

    Geißler: Ach so. Das sind aber nicht viele Leute.

    Armbrüster: Immerhin einige, glaube ich.

    Geißler: Also, hören Sie mal, was ist das, machen Sie ein Interview mit mir oder was soll das?

    Armbrüster: So war das verabredet, ja.

    Geißler: Und läuft das jetzt live über den Sender?

    Armbrüster: Ja, natürlich!

    Geißler: Ja, das finde ich wunderbar! Ich glaube, Sie reden hier gar nicht über die Sache, sondern Sie reden über ein Zitat!

    Armbrüster: Das Sie gebracht haben am vergangenen Freitag und über das sich viele Leute empören.

    Geißler: Jetzt sagen Sie wieder, viele Leute!

    Armbrüster: Herr Geißler, es steht heute Morgen auch in mehreren Zeitungen!

    Geißler: Gut, okay. Also, ich kann das nicht alles lesen. Was glauben Sie, was jetzt einzelne Journalisten schreiben! Wenn ich das lesen würde, dann wäre ich auch nicht gescheiter!

    Armbrüster: Herr Geißler, besten Dank für dieses Interview!

    Geißler: Ja, bitte schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.