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Expertin Maass: Wenig Fortschritt in Aghanistan

Die Afghanistan-Expertin Citha Maass hat die Ergebnisse der Pariser Afghanistan-Konferenz kritisiert. Es fehlten die Strukturen und die Kapazität auf afghanischer Seite, dass die Gebergelder in die Provinzen fließen könnten. Auch eine Überwachung der Mittelvergabe durch die internationale Gemeinschaft sei unmöglich und öffne der Korruption Tür und Tor.

Moderation: Sandra Schulz | 13.06.2008
    Sandra Schulz: Erneut meldet das britische Verteidigungsministerium, im Süden Afghanistans seien zwei britische Soldaten ums Leben gekommen. Knapp sieben Jahre nach dem Sturz der Taliban-Herrschaft steckt das Land tief in der Krise. Selbstmordanschläge, Korruption, Drogenhandel, das sind die wichtigsten Stichworte. Über die Frage "wie weiter in Afghanistan?" haben gestern in Paris Regierungsvertreter und Delegierte aus rund 80 Ländern beraten. Auf der Afghanistan-Konferenz wurden weitere Milliarden-Beträge zugesagt für den Wiederaufbau des Landes - insgesamt rund 20 Milliarden Dollar. Darüber möchte ich nun sprechen mit Citha Maass, Afghanistan-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Morgen!

    Citha Maass: Guten Morgen Frau Schulz.

    Schulz: Frau Maas, lässt sich das Geld in Sicherheit ummünzen, was in Afghanistan ja ein wichtiges und auch sehr rares Gut ist?

    Maass: Es wäre wichtiger, wenn das Geld in eine gute Regierungsführung umgemünzt wird, denn daran hapert es mindestens so sehr wie an der Sicherheit. Das Hauptanliegen der gestrigen Konferenz bestand darin, ein fünfjähriges Strategiepapier vorzustellen, das von jetzt bis zum Jahre 2013 reicht. Das ist für sich genommen ein richtiger Ansatz. Nur ist fraglich, ob die vorgesehenen Ziele erreicht werden können. Zusammen mit diesem Strategiepapier wurde auch noch ein zweites mitdiskutiert. Das besteht darin - und das ist das Hauptdefizit des bisherigen Aufbaus in Afghanistan -, die Kabuler Regierung zu befähigen, dass sie bis auf Provinz- und Kommunalebene hinunter staatlichen Institutionen Regierungsführung ermöglicht.

    Schulz: Der afghanische Präsident Karsai hat ja die Rechnung aufgemacht, eben in diesem Strategiepapier, 50 Milliarden Dollar mehr gegen mehr Souveränität im Aufbau. Kann diese Rechnung aufgehen?

    Maass: Er hat etwas weniger Geld bekommen und das ist durchaus auch angemessen, weil bislang die Strukturen fehlen und auch die Kapazität auf afghanischer Seite, dass die Gebergelder von der Hauptstadt Kabul in die Provinzen fließen. Das soll jetzt gefördert werden. Das muss aber genauso von der internationalen Gemeinschaft überwacht und kontrolliert werden. Was mir bei der ganzen Veranstaltung gestern fehlte, ist die Rolle der afghanischen Gesellschaft. Bei den bisherigen Strategiepapieren und so wie es ausschaut auch bei den anstehenden Wahlgängen ist keine Möglichkeit für die Bevölkerung gegeben, Kontrolle über die Regierungsinstitutionen auszuüben.

    Schulz: Und das heißt, dass die internationale Gemeinschaft in der Pflicht stünde, hier auch mehr Druck auf die Regierung auszuüben?

    Maass: Das in jedem Fall und das ist auch, was die afghanische Bevölkerung zum Beispiel von den internationalen Truppen erwartet und damit von der internationalen Präsenz in Afghanistan, dass die Internationalen die Kontrolle über die Regierung Karsai so ausüben, dass die Regierung besser arbeitet, dass sie effizienter ist, dass sie endlich wirksam die Korruption bekämpft.

    Schulz: Wie soll diese Kontrolle aussehen?

    Maass: Indem man, was gestern zwar hinter den Kulissen geschehen ist, noch mal ein klares Wort mit Präsident Karsai spricht. Präsident Karsai will im nächsten Herbst sich wiederwählen lassen. Aus meiner Sicht ist gestern eine wichtige Chance verpasst worden. Wir hätten eine ehrliche Bestandsaufnahme machen sollen, was in den bisherigen sieben Jahren geschehen ist. Deswegen meine ich, dass wir den siebten Jahrestag des Petersberger Abkommens im Dezember diesen Jahres nutzen sollten, dass zum Beispiel Deutschland eine wirklich ehrliche Bestandsaufnahme, eine ehrliche Zwischenbilanz organisiert. Damit könnte auch die Kanzlerin endlich im deutschen Kontext die Mission in Afghanistan aus dem parteipolitischen Streit herausnehmen und es zu einem nationalen Anliegen machen.

    Schulz: Jetzt argumentiert Karsai ja, er brauche das Geld, um eigene Institutionen aufzubauen, damit er auch im eigenen Land nicht so sehr als Marionette der Geber dasteht und dargestellt werden kann. Was ist an dem Argument falsch?

    Maass: Das Anliegen für sich genommen ist richtig. Nur wenn ein Präsident in einem extrem zentralistisch organisierten Staat - und so ist Afghanistan aufgrund der Verfassung strukturiert - etwas durchsetzt, ohne dass eine Kontrolle durchgeführt wird, wenn er zum Beispiel auf der Provinzebene Verwaltungsbeamte einsetzt, wenn er auf der Kommunalebene Verwaltungsleute einsetzt, die aber von niemand kontrolliert werden können, nicht von der Regierung, nicht von der Bevölkerung, von nur sehr schwachen Provinzräten, von keinem auf der Kommunalebene, dann ist das im Endeffekt ein Herrschaftsinstrument des Präsidenten, aber kein funktionierendes Verwaltungsinstrument.

    Schulz: Aber führt diese Kontrolle wiederum für die Einrichtung von Institutionen bräuchte man Geld?

    Maass: Dafür braucht man durchaus Geld. Was mich besorgt macht: Es sieht so aus, dass die Parlamentswahlen im Jahre 2010 wieder nicht auf Parteienbasis durchgeführt werden. Das heißt es werden wieder unabhängige Kandidaten ins Parlament gewählt, die dann keine starken Fraktionen bilden können, so dass also auch in der Legislative keine ausreichende Kontrolle über die Exekutive, über die Regierung in Kabul besteht.

    Schulz: Will sich Karsai mit den Geldern, mit den Zahlungen, die er sich zusagen lässt, auch ein Stück weit Freiheit sichern, um sich sozusagen die Wahlen zu sichern?

    Maass: Davon kann man ausgehen. Das war ja auch im Vorfeld zu der Pariser Konferenz angekündigt worden. Das steht auf der Homepage der französischen Regierung für die Konferenz, dass die internationale Staatengemeinschaft auch um Unterstützung, finanzielle, politische Unterstützung für die Wahlgänge gebeten wird. Es wird voraussichtlich im Herbst 2009 Präsidentschaftswahlen geben und im Jahre 2010 Parlamentswahlen. Wenn die internationale Staatengemeinschaft das mitmacht, dann muss sie auch demokratische Forderungen stellen und dazu gehört für mich, dass eben auch politische Parteien in Afghanistan gestärkt werden, weil sich darüber die Bevölkerung äußern kann.

    Schulz: Aber in welcher Form können diese demokratischen Forderungen überhaupt gestellt werden? Außenminister Steinmeier hat gestern gefordert - mit Blick auf das andere Problem Korruption -, das Land müsse ein deutliches Zeichen setzen gegen Korruption. Wie kann so ein Zeichen aussehen?

    Maass: So wie die afghanische Gesellschaft aufgebaut ist, entscheidet immer der Oberste: in dem Fall also der Präsident. Damit muss der Präsident in die Verantwortung genommen werden, dass er wirklich ernsthaft gegen Korruption vorgeht. Bislang haben wir nur Lippenbekenntnisse erlebt. Da muss stärker durchgegriffen werden. Allerdings ist auch die internationale Staatengemeinschaft gefordert, denn so wie sie Gelder nach Afghanistan gibt trägt sie auch mit zur Korruption bei. Das heißt wir müssen uns durchaus auch an die eigene Nase fassen. Aber es sind beide gefragt und da sehe ich eine Aufgabe für den neuen UN-Sonderbeauftragten Kai Eide, dass er da eingreift, dass er vermittelt zwischen der Regierung und zwischen den internationalen Gebern und auch die Internationalen beim Wort nimmt, dass sie sich besser koordinieren, dass sie ihre Gebergelder transparenter darlegen.

    Schulz: Und wie lange ist die internationale Staatengemeinschaft noch in Form der Truppe ISAF gefordert?

    Maass: So wie sich das Strategiepapier gestern darstellt, bietet es die Möglichkeit, die Kapazität der afghanischen Partner in den nächsten fünf Jahren aufzubauen. Das Strategiepapier geht bis zum Jahre 2013. Dann kann vor allem die afghanische Armee aufgebaut werden. Derzeit dürften ungefähr 33.000 der vorgesehenen 80.000 Soldaten bereits sehr gut ausgebildet sein. Wenn jetzt die Armee in den nächsten fünf Jahren weiter aufgebaut wird, dann sehe ich eine gute Möglichkeit, dass der internationale Truppenabzug ab 2013 eingeleitet werden kann.

    Schulz: Citha Maass, Afghanistan-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik. Haben Sie vielen Dank!