Heute und morgen nimmt das Bundesverfassungsgericht Mario Draghis milliardenschweres Anleihekaufprogramm unter die Lupe: Seit März 2015 kaufte die EZB in großem Stil Anleihen von Eurostaaten - zur Stabilisierung des Euro. Es sei wichtig, dass sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage befasse, sagte Hans Michelbach (CSU), Obmann im Finanzausschuss. Dabei gehe es nicht allein darum, ob das Verhalten der EZB rechtlich gedeckt gewesen sei, sonder auch, ob es volkswirtschaftlich sinnvoll sei.
Das ausgegebene Ziel der EZB sei nicht erreicht worden, so Michelbach. Mittelfristig habe man eine Teuerungsrate von knapp unter 2,0 Prozent angestrebt. Mit den Anleihenkäufen habe man gewaltige Summen in den Markt gelenkt und die Zinsen drastisch gesenkt. Das habe viele Staaten dazu verführt, ihre Verschuldungspolitik fortzuführen und keine wirklichen Reformen anzugehen. Das ursprüngliche Ziel, die Inflation nach oben zu treiben, sei aber nicht erreicht worden.
Herausgekommen sei ein Refinanzierungsprogramm für Banken. Durch eine Art Karusselgeschäft habe die EZB immer mehr Risiken aufgenommen. Die EU-Staaten seien dadurch zu einer Art Schulden- und Haftungsunion geworden.
Die Auswirkungen dieser Politik könne man gut in Frankreich und Italien verfolgen. Deren Defizitquoten würden unrechtmäßig ausgeweitet. Das Kaufprogramm animiere also Staaten auch weiterhin zum Schuldenmachen und bremse Reformen.
Das Interview in voller Länge:
Ann-Kathrin Büüsker: Im Herbst wird Mario Draghi die Führung der EZB abgegeben, ihm folgt dann die ehemalige IWF-Chefin Christine Lagarde. Bevor Draghi geht, wird es aber voraussichtlich noch mal ein neues Anleihenkaufprogramm geben, bei dem die EZB Staatsanleihen aufkaufen wird, Teil der lockeren Geldpolitik, für die Draghi in den letzten Jahren bekannt geworden ist, die außerdem von Niedrigzinsen geprägt ist. Doch das Anleihekaufprogramm ist insbesondere aus deutscher Perspektive umstritten, es gab mehrere Klagen, und ab heute muss sich das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wieder damit beschäftigen. Wir wollen das Thema jetzt vertiefen im Gespräch mit Hans Michelbach, Obmann der Unionsfraktion im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages und seit Jahren Kritiker der Niedrigzinspolitik von Mario Draghi. Schönen guten Morgen!
Hans Michelbach: Guten Morgen, Frau Büüsker!
Büüsker: Herr Michelbach, der EuGH sagt ja, das geht alles so in Ordnung, keine Gefahr der falschen Anreize durch das System, die Fristen reichen aus. Damit ist das Problem doch eigentlich längst klargestellt oder?
Michelbach: Nein, leider nicht. Es ist wünschenswert, wenn das Bundesverfassungsgericht sich nicht hinter dem Europäischen Gerichtshof versteckt, sondern selbstbewusst und deutlich Recht spricht, weil ja deutlich wird, dass durch dieses Anleihekaufprogramm ja doch eine Finanzierung von Staaten durch die Hintertür, eine Verlagerung von Risiken auf die europäische Gemeinschaft stattfindet. Und es ist ja nicht nur die Frage, ob das Ankaufprogramm rechtlich zulässig ist, es muss ja auch hinterfragt werden, ob es volkswirtschaftlich sinnvoll, richtig und erfolgreich ist. Und da muss ich sagen, dass ja das, was die EZB hier angibt, nämlich dass die Ziele, die Inflation nach oben zu treiben, wichtig sind, ist ja leider nicht durchgeführt worden oder nicht erfolgreich. Das heißt, es ist nicht nur die Rechtsfrage, sondern es ist auch die volkswirtschaftliche Frage, die hier ein Votum des Bundesverfassungsgerichts braucht.
EZB betreibt "Vergemeinschaftung durch die Hintertür"
Büüsker: Wobei das Bundesverfassungsgericht ja erst mal die juristischen Dinge prüfen muss, und da würde ich gerne noch einen kleinen Zeitraum bleiben. Sie argumentieren ja, die EZB macht hier Wirtschaftspolitik. Mögen Sie noch mal erläutern, warum Sie das für relevant halten?
Michelbach: Ja, wir haben das Ankaufsprogramm, in dem wir gleichzeitig ja im System ein Refinanzierungsprogramm für Banken haben. Und diese Refinanzierungsgeschäfte saugen gerade in Südeuropa die Banken voll, die Staatsanleihen kaufen, die dann an die EZB weiterverkauft werden. Das heißt also, im Grunde genommen ist das ein Karussellgeschäft, das die EZB immer mehr Risiken aufnehmen lässt und eine Vergemeinschaftung durch die Hintertür – eine Art Schulden- und Haftungsunion. Und gleichzeitig wird damit natürlich auch auf die Haushaltshoheit der einzelnen Staaten eingegriffen, und zudem werden falsche Anreize gesetzt. Wir sehen ja, dass in Italien, in Frankreich diese Politik der EZB dazu führt, dass nicht wirklich Reformen stattfinden, die Haushaltsnotstände in Haushaltsstabilität umgesetzt werden. Und deswegen ist das Ganze ein Verführungsprogramm, ein Vergemeinschaftungsprogramm zu Lasten der europäischen Bevölkerung.
Büüsker: Aber warum hat die Bundesregierung das dann über Jahre hinweg mitgetragen?
Michelbach: Ja, weil man natürlich gerade als stärkste Wirtschaftsnation und Mitglied der Europäischen Union nicht unbedingt große, sagen wir mal, Kahlschläge in Europa erzielen will. Das ist natürlich, wenn hier ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegenüber dem Europäischen Gerichtshof stattfindet, dann ist das natürlich schon eine sehr, sehr wesentliche Sache. Aber ich denke, es ist jetzt, nachdem der EuGH sich nur sehr widerwillig damit befasst hat, notwendig, dass das Bundesverfassungsgericht jetzt selbstbewusst und bestimmt und konkret Recht spricht.
"Monetäre Staatsfinanzierung ist verboten"
Büüsker: Aber wir reden hier ja auch über ein Projekt der europäischen Solidarität. Es ging auch darum, die südeuropäischen Staaten wieder auf finanzielle und wirtschaftliche Füße zu stellen. Zum derzeitigen Zeitpunkt durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts würde dieses ganze System, was sich jetzt über Jahre etabliert hat, gesprengt. Das wäre gegenüber Europa kein gutes Zeichen.
Michelbach: Das ist in diesem Fall nicht richtig. Es steht in den europäischen Verträgen, dass eine monetäre Staatsfinanzierung verboten ist. Das findet aber im Wesentlichen statt und hat dazu geführt, dass die vorgegebenen Ziele der Europäischen Zentralbank nicht entstehen. Gleichzeitig werden Anreize in diesen Ländern geschaffen, die letzten Endes auch nicht zielführend waren, weil man natürlich mit diesen billigen Zinsen die Verschuldungspolitik fortgeführt hat und die notwendigen Reformen, wie sie in Deutschland stattgefunden haben, einfach nicht durchgeführt werden. Das sieht man ja jetzt in Italien und in Frankreich, wir haben hier unrühmliche Beispiele, in Italien hat man ein EU-Defizitverfahren einfach beiseite gewischt, hat der EU-Kommission versprochen, einfach Steuererhöhungen zu machen, die aber in Wirklichkeit nicht stattfinden. Und dann wird die Defizitquote von zwei Prozent auf 3,5 Prozent gegenüber den Bestimmungen und gegenüber dem Recht einfach ausgeweitet. Also, es sind hier einfach Dinge notwendig, dass man wieder korrekt gegenüber den europäischen Verträgen handelt. Und da wäre es ein großes Signal, wenn das Bundesverfassungsgericht den Mut hätte, hier einmal deutlich zu werden.
"Mitgliedsländer haben sich an die Stabilitätskriterien von Maastricht zu halten"
Büüsker: Wenn Sie sagen, es sind Dinge notwendig, wie würden Sie denn die Währungspolitik gestalten in den kommenden Jahren.
Michelbach: Ich würde sie gestalten, indem ich die Richtlinien und Bestimmungen der EU-Verträge einhalte – und da geht es im Wesentlichen darum, dass die Mitgliedsländer auch sich nach den Stabilitätskriterien von Maastricht zu halten haben.
Büüsker: Herr Michelbach, wenn ich da ganz kurz einhaken darf: Draghi hat ja nicht gegen irgendwelche Verträge verstoßen zum Selbstzweck, sondern es gab ein konkretes Ziel der EZB, nämlich die Inflation wieder anschieben, das ist ja das grundsätzliche Ziel seiner Politik.
Michelbach: Weder ist die Inflation geschoben, noch ist Stabilität bei den Ländern durchgesetzt worden, sondern es wurden eben mehr Schulden gemacht, es wurden die Schulden ausgeweitet, es wurden die Schulden vergemeinschaftet. Also es ist genau das Gegenteil entstanden, was vorgegeben wurde, und hier braucht es eine Kehrtwende, braucht es ein anderes Signal. Das geht natürlich nicht, indem man den Hebel umlegt, sondern da muss man Schritt für Schritt in den richtigen Weg eintreten.
Büüsker: Und was wäre der richtige Weg? Wie wieder zu Stabilität finden?
Michelbach: Indem man die Ankaufprogramme zurückführt, indem man den Ländern die falschen Anreize nimmt und dort deutlich macht, dass es ohne Reformen nicht geht, ohne die Einhaltung der Stabilitätskriterien nicht geht. Und dann Schritt für Schritt auch natürlich die Risiken wegnimmt, indem man die Zinsen marktwirtschaftlich auch den Risiken anpasst wieder, das geht natürlich auch nicht mit großen Zinssprüngen, aber es muss wieder Glaubwürdigkeit entstehen. Es muss wieder der Weg in die richtige Richtung – in die Richtung Stabilität und nicht in Vergemeinschaftung und Haftungsunion – stattfinden. Das würde insgesamt dem Finanzmarkt, der Glaubwürdigkeit auch dienen und damit auch dem Wirtschaftswachstum in Europa.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.