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EZB-Geldpolitik
"Nächster Crash kündigt sich an"

Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht hat das Anleihenkauf-Programm der Europäischen Zentralbank als Enteignung der Kleinanleger kritisiert. Es gebe eine unglaubliche Geldflut, aber keine entsprechende Wertschöpfung, sagte sie im Dlf. Das werde sich rächen.

Sahra Wagenknecht im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 16.08.2017
    Sahra Wagenknecht
    Sahra Wagenknecht fordert eine Vermögensabgabe für Superreiche, um den Schuldenüberhang in Deutschland und der EU zu reduzieren. (picture alliance/dpa/Foto: Rolf Vennenbernd)
    Ann-Kathrin Büüsker: "Guckt ihr mal bitte drauf, wir haben da unsere Zweifel, ob das alles so mit rechten Dingen zugeht" – das ist groß zusammengefasst die Botschaft des Bundesverfassungsgerichts an dem Europäischen Gerichtshof. Es geht um die Frage der Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank – 60 Milliarden monatlich, um die Inflation anzutreiben, so das Ziel von Mario Draghi. Kritiker werfen ihm vor, damit aber nicht nur Finanz-, sondern eben auch Wirtschaftspolitik zu machen, und das darf er gar nicht. Deshalb müssen jetzt also die Gerichte entscheiden.
    Der EuGH ist jetzt also am Zuge, soll möglichst schnell entscheiden, immerhin könnte das Kaufprogramm bald beendet werden. Die EZB entscheidet darüber im September, ob es eben noch einmal verlängert wird. Über die grundsätzliche Frage der Anleihekäufe möchte ich jetzt mit Sahra Wagenknecht sprechen, Spitzenkandidatin der Partei Die Linke im Bundestagswahlkampf. Guten Morgen, Frau Wagenknecht!
    Sahra Wagenknecht: Guten Morgen!
    "Die EZB überschreitet ihr Mandat"
    Büüsker: Frau Wagenknecht, Sie waren immer eine Kritikerin des Anleihekaufprogramms der EZB. Sehen Sie sich jetzt durch das Verfassungsgericht bestätigt?
    Wagenknecht: Ja, das Urteil ist auf jeden Fall eine klare Rüge an die Bundesregierung, die ja diesen Kurs immer gedeckt hat, und ich finde auch wichtig, dass in dem Urteil noch mal deutlich gemacht wurde, die EZB überschreitet ihr Mandat, sie mischt sich in die Wirtschaftspolitik der einzelnen Länder ein. Das ist nicht ihre Aufgabe. Sie macht ja Auflagen dafür, dass sie Anleihen kauft. Ich würde allerdings die Akzente etwas anders setzen natürlich als die Kläger das getan haben. Mein Problem ist mehr, dass es sich eigentlich gar nicht um Staatsfinanzierung, sondern weit mehr um Bankenfinanzierung handelt.
    "Blasen auch auf den Immobilienmärkten"
    Büüsker: Frau Wagenknecht, darüber können wir gleich, glaube ich, noch ausführlicher sprechen. Ich würde gerne einmal eben klarstellen: Wir haben ja noch kein richtiges Urteil des Bundesverfassungsgerichts, sondern das Ganze wurde weiterverwiesen mit der Einschätzung, dass das Verfassungsgericht da Ansprüche hat. Der EuGH muss das Ganze jetzt entscheiden, ob das tatsächlich so gilt. Der EuGH, da würde ich gerne auf meinen nächsten Punkt kommen, der hat ja schon einmal über das Kaufprogramm der EZB entschieden. Da ging es um das UTM-Programm, und das ist laut EuGH auch rechtmäßig unter bestimmten Voraussetzungen. Warum sollte das dieses Mal anders sein?
    Wagenknecht: Ich habe nicht gesagt, dass ich erwarte, dass der EuGH das Programm stoppt. Das glaube ich nicht, also eben da ja sogar das UTM weitergehender war. Also da ging es ja um kurzfristige Staatsanleihen. Das Programm hat zwar nie stattgefunden, aber es ist angekündigt worden, und da er sogar das durchgewunken hat, glaube ich nicht, dass er jetzt das Programm stoppt, und das ist richtig. Das Bundesverfassungsgericht kann ja allenfalls der Bundesbank Vorgaben machen, aber eben nicht der EZB. Aber ich finde wichtig, überhaupt, dass die Diskussion jetzt noch einmal beginnt, wie sinnvoll oder unsinnig diese Politik ist, die die EZB macht und die die europäischen Regierungen, einschließlich der deutschen Regierung, decken. Also man sollte ja nicht so tun, als sei das nur Draghi, der das macht, sondern das ist ja durchaus mit dem Wohlwollen, mit der Unterstützung der Bundesregierung. Auch die Bundesrepublik übrigens profitiert ja davon. Also auch Bundesanleihen werden gekauft. Deswegen sind die Zinsen ja so extrem niedrig, und wenn Schäuble jedes Jahr jetzt seinen ausgeglichenen Haushalt präsentiert, dann kann er immer gleich einen Dankesbrief an Herrn Draghi mit verfassen, weil das ist der wesentliche Grund, dass die Zinsen so niedrig sind. Für den deutschen Sparer, gerade für deutsche Kleinsparer ist es aber genau das Problem, dass sie faktisch enteignet werden, weil die Zinsen unter der Inflation liegen, die wir zurzeit in Deutschland haben, und das Hauptproblem ist, es löst nichts. Also wir haben durch dieses Kaufprogramm eine unglaubliche Geldflut. Wir haben Blasen auf vielen Vermögensmärkten, insbesondere auch auf den Immobilienmärkten. Die EZB kauft ja auch nicht nur Staatsanleihen, sie kauft auch Unternehmensanleihen. Also sie kauft inzwischen alles, was nicht wind- und wetterfest ist, und das heißt natürlich, dass unglaublich viel Geld in den Finanzkreislauf gepumpt wird, aber es gibt keine entsprechende Wertschöpfung, und damit kündigt sich der nächste Crash und die nächste Finanzkrise an. Also das ist die direkte Konsequenz.
    "Investitionsquoten sind extrem niedrig"
    Büüsker: Frau Wagenknecht, jetzt sehen wir aber, wenn wir auf Eurostat gucken – heute am Vormittag wird es neue Zahlen geben zur genauen Wirtschaftsleistung der Eurozone –, die Prognose liegt bei einer Zunahme des Bruttoinlandsproduktes um 0,6 Prozent in der Eurozone, und wenn wir auf das Wirtschaftswachstum in Europa gucken, das lag 2016 bei 1,9 Prozent – sind das nicht positive Zahlen?
    Wagenknecht: Also Sie müssen sich einfach angucken, wie stark die Staaten vorher eingebrochen sind, gerade auch die Krisenländer, und wie vor allen Dingen auch das Investitionsverhalten ist. Angeblich soll ja dieses Kaufprogramm Investitionen begünstigen, weil es eben die Zinsen senkt, aber in einem Krisenklima wird eben in vielen Ländern nicht investiert. Also die Investitionsquote, übrigens auch in Deutschland, aber noch viel schlimmer in Italien und in den klassischen Krisenländern Südeuropas, die Investitionsquoten sind extrem niedrig. Die Arbeitslosigkeit sinkt teilweise auch deshalb, weil die Leute abwandern. Also Sie müssen sich ansehen, wie viele qualifizierte junge Leute in den letzten Jahren Portugal, Spanien oder Griechenland verlassen haben. Also so kann man zwar formal die Arbeitslosigkeit reduzieren, aber so reanimiert man keine Wirtschaft. Und wir haben vor allen Dingen einen riesigen Schuldenüberhang nach wie vor, und das ist das Eigentliche, was Draghi erreicht: Dadurch, dass die Schulden, dadurch, dass die Zinsen so niedrig sind, können riesige Schulden immer wieder refinanziert werden, auch Banken können sich refinanzieren, obwohl sie eigentlich desaströse Portfolios haben, sehr, sehr viele faule Kredite haben, aber das ist keine nachhaltige Politik. Das Problem ist, die EZB alleine kann das tatsächlich nicht lösen. Wenn man das Schuldenproblem lösen will, dann muss man, und wenn man es nicht zulasten der Mittelschicht lösen will, was ja zurzeit der Fall ist, dann müsste man den Mut haben, mit einer Vermögensabgabe für die wirklich Superreichen den Schuldenüberhang zu reduzieren. Den Mut hat die Politik nicht, deswegen wird das Problem vertagt, verschoben, aber irgendwann wird es sich noch viel extremer äußern, weil es eben vergrößert wird durch diese Geldschwemme.
    Büüsker: Also wenn ich Sie richtig verstehe, dann sollen die Besserverdiener aus Deutschland den Wiederaufbau in Portugal, Italien und Griechenland bezahlen.
    Wagenknecht: Die Besserverdiener im Sinne der Mittelschicht bezahlen gegenwärtig, weil sie einfach durch die Nullzinsen enteignet werden.
    "Vermögensbesitzer in allen Ländern zur Kasse bitten"
    Büüsker: Also die Spitzenverdiener.
    Wagenknecht: Meine Lösung wäre, die Vermögensbesitzer in allen Ländern zur Kasse zu bitten. Also Sie müssen sich nur mal angucken in Griechenland: Die Multimillionäre in Griechenland, die sind heute reicher als vor Beginn der Krise. Wir sind ja nicht ärmer geworden. Also auch in den Krisenländern, auch in Italien, auch in Spanien gibt es eine Oberschicht, die ist extrem reich. Die hat vor der Krise profitiert, die hat in der Krise profitiert, die profitiert natürlich auch von diesen Anleihekäufen, weil das sind Leute, die haben ihr Vermögen auf dem Kapitalmarkt. Da werden die Werte nach oben gedrückt. Also das hat ja auch eine Verteilungswirkung. Also der Kleinsparer mit seinem Konto verliert. Wer aber große Kapitalmarktanlagen hat, der gewinnt eher. Große Unternehmen gewinnen auch gegenüber Kleinunternehmen, weil sie bessere Finanzierungskonditionen haben. Also die EZB kauft ja keine Anleihen vom Mittelstand. Sie kauft Anleihen großer Konzerne, die dadurch eben auch sehr, sehr niedrige Zinsen haben, einen enormen Wettbewerbsvorteil haben. Also es sind Verzerrungen in ganz vielen Bereichen. Es macht die Ungleichheit größer. Ich sage eben nicht, weder der deutsche Sparer noch der Mittelverdiener in Griechenland, in Italien sollte für das Desaster zahlen, sondern die, die vorher massiv profitiert haben und die eben – das ist das Problem – auch in der Krise noch profitieren. Das will die Politik nicht, dazu hat sie nicht den Mut, und deswegen vertagt man alles, und deswegen ist es wichtig, dass es jetzt zumindest diesen Warnschuss und diesen Weckruf gibt. Mehr ist es ja leider nicht. Das Verfassungsgericht kann ja nichts stoppen jetzt aktuell, aber es ist zumindest ein Weckruf, und es sollte deutlich machen, so wie jetzt kann es nicht weitergehen, und es wird sich auch rächen.
    Büüsker: Sagt Sahra Wagenknecht, Spitzenkandidatin für die Partei Die Linke im Bundestagswahlkampf. Wir haben über die Weiterreichung des Falles EZB-Anleihekaufprogramm an den EuGH gesprochen. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen im Deutschlandfunk, Frau Wagenknecht!
    Wagenknecht: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.