
Die EZB habe im Vorfeld sicher auch informell mit den europäischen Regierungen gesprochen, sagte Brzeski weiter. Mit dem Anleihen-Stopp setze die EZB ein "deutliches Zeichen, keine Ramsch-Anleihen mehr in ihren Büchern zu haben". Griechenland sei schon im Januar gewarnt worden, dass die Anleihen nicht mehr als Sicherheiten akzeptiert würden, wenn das Land sich aus dem Hilfsprogramm der EU zurückziehe. Der EZB-Schritt sei zudem nicht ein automatischer Austritt Griechenlands aus der EU oder ein Staatsbankrott, sagte Brzeski.
Kompromiss ohne Gesichtsverlust nötig
Auf die Frage, wie nun ein Kompromiss aussehen könne, sagte Brzeski: "Es wird schon ziemlich eng für Griechenland, der Druck ist erhöht, um eine Lösung zu finden." Man könne dem Land mehr Zeit geben, Laufzeiten für Kredite verlängern, eine tilgungsfreie Periode verlängern sowie dem griechischen Haushalt mehr Luft geben. Im Gegenzug müsse das Land beispielsweise seine Strukturreformen vorantreiben. Brzeski nannte das einen "typisch europäischen Kompromiss". Da jedoch die Positionen gegenwärtig festgefahren seien, "ist es schwer, den Kompromiss zu erhalten, ohne dass ein Gesichtsverlust für eine der beiden Parteien entsteht".
Das Interview in voller Länge:
Sandra Schulz: Wir sind uns einig, dass wir uns nicht einig sind. Das ist immer ein schönes Resümee nach einem kontroversen Gespräch. Gestern hat dieses Resümee Bundesfinanzminister Schäuble gezogen, nach seinem Treffen mit dem neuen griechischen Finanzminister Varoufakis. Der hat dann sogar noch ergänzt, inhaltlich sei man sich nicht einmal über die Differenzen einig. Viele Erfolgsmeldungen konnten der neue griechische Regierungschef Tsipras und sein Finanzminister auf ihrer Europatour bisher noch nicht ausgeben. Im Gegenteil! Vielleicht war es auch ihr betont selbstbewusstes Auftreten, das die Europäische Zentralbank in der Nacht auf Dienstag zu einem überraschenden Schritt gebracht hat.
Sie kündigte an, ab nächster Woche griechische Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheiten für Kredite zu akzeptieren. Gleichzeitig ermöglichte sie Notkredite der Notenbank in Athen in Höhe von 60 Milliarden Euro. Viele Griechen reagieren mit Protest.
Am Telefon ist jetzt Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING-DiBa. Guten Morgen.
Am Telefon ist jetzt Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING-DiBa. Guten Morgen.
Carsten Brzeski: Guten Morgen.
Schulz: Wie eng wird es für Griechenland?
Brzeski: Ja, es wird schon ziemlich eng für Griechenland im Augenblick. Der Druck auf Griechenland ist erhöht, jedenfalls der Druck, um eine Einigung oder um wirklich eine Lösung zu finden, wie die Lösung auch aussieht. Aber die Hängepartie, die die griechische Regierung ja gerne hätte, auf Zeit spielen, das wird im Augenblick nicht mehr klappen.
"Die EZB hatte Griechenland schon im Januar gewarnt"
Schulz: Wieso konnte die EZB den griechischen Banken den Zugang zu frischem Geld jetzt überhaupt von jetzt auf gleich erschweren?
Brzeski: Weil das einfach die Regeln der EZB sind. Und ich denke, man muss das auch ein bisschen sachlich sehen und nicht so wie die Demonstranten in Athen.
Die EZB hatte Griechenland schon im Januar gewarnt, wenn Griechenland nicht mehr an einem Hilfsprogramm teilnimmt, dass dann die griechischen Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheit akzeptiert werden. Das hat sie jetzt wahr gemacht. Gleichzeitig öffnet sie natürlich den griechischen Banken die Möglichkeiten, über die eigene Zentralbank noch Liquidität zu bekommen. Das heißt also nicht, dass die griechischen Banken von heute auf morgen Pleite gehen würden. Es ist einfach nur ein deutliches Zeichen, dass auch die EZB aufpasst, um jetzt wirklich keine Ramschanleihen in ihren Büchern zu haben.
Die EZB hatte Griechenland schon im Januar gewarnt, wenn Griechenland nicht mehr an einem Hilfsprogramm teilnimmt, dass dann die griechischen Staatsanleihen nicht mehr als Sicherheit akzeptiert werden. Das hat sie jetzt wahr gemacht. Gleichzeitig öffnet sie natürlich den griechischen Banken die Möglichkeiten, über die eigene Zentralbank noch Liquidität zu bekommen. Das heißt also nicht, dass die griechischen Banken von heute auf morgen Pleite gehen würden. Es ist einfach nur ein deutliches Zeichen, dass auch die EZB aufpasst, um jetzt wirklich keine Ramschanleihen in ihren Büchern zu haben.
"Die EZB ist nicht dafür verantwortlich, um europäische Politik zu machen"
Schulz: Aber es geht ja offenbar darum, politisch die Daumenschrauben anzuziehen, Druck zu machen. Darf die EZB das? Ist das ihr Mandat?
Brzeski: Das ist immer eine heikle Geschichte. Nein, die EZB ist nicht dafür verantwortlich, um europäische Politik zu machen. Die EZB darf aber natürlich schon darüber entscheiden, was für Staatsanleihen sie als Sicherheit benutzt, und man darf nicht vergessen, dass die EZB ja in der Vergangenheit auch Ausnahmen für Griechenland gemacht hat, denn eigentlich hätte die EZB in den letzten Jahren griechische Staatsanleihen gar nicht mehr akzeptieren dürfen als Sicherheiten.
Davon hat sie Ausnahmen gemacht, weil die Griechen an diesem Hilfsprogramm teilgenommen haben, und jetzt war die Argumentation, wenn die Griechen nicht mehr teilnehmen wollen – und das sieht im Augenblick nicht so aus -, dann können wir als EZB diese Staatsanleihen auch nicht mehr akzeptieren. Politik darf die EZB nicht machen. Natürlich ist die EZB sich im Augenblick schon bewusst, dass diese Maßnahme, diese Ankündigung schon auch einen symbolischen Wert hat. Ganz ehrlich: Ich denke nicht, dass die EZB das in einer Alleinaktion macht. Ich denke schon, dass die EZB das auch in Rücksprache, jedenfalls informell in Rücksprache mit europäischen Regierungen gemacht hat.
Schulz: Gleichzeitig sind jetzt diese Notkredite möglich geworden. Das läuft allerdings über die Notenbank in Athen. Was genau ist da der Unterschied?
Brzeski: Das heißt im Grunde genommen, sollte es schiefgehen, das heißt, ganz ehrlich gesprochen, sollte es doch noch zu einem griechischen Austritt führen, dass dann das Risiko, was mit den griechischen Staatsanleihen behaftet ist, dass das dann nicht mehr über die Schultern aller europäischen Zentralbanken verteilt wird, sondern nur bei den Griechen lastet.
Man muss aber auch dazu sagen, wir haben das im Falle von Irland auch etliche Jahre gehabt: Auch da war das so, dass die irische Zentralbank den Banken über ihr eigenes Konto auch Liquiditätshilfen geben durfte, und in Irland ist das ja auch gut gegangen. Das heißt jetzt nicht, dass dieser Schritt der EZB automatisch ein Schritt hin zu einem Austritt von Griechenland wäre und auch nicht automatisch ein Schritt hin wäre zum Bankrott etlicher griechischer Banken.
Im Augenblick droht sowohl der EZB als auch Griechenland der Gesichtsverlust
Schulz: Nach den Verhandlungen jetzt aus dieser Woche, nach der Europatour von Tsipras und auch dem Finanzminister Varoufakis, da ist jetzt eine Einigung nicht unbedingt näher gerückt. Die Preisfrage ist: Wie könnte ein Kompromiss aussehen? Wie weit geht da Ihre Fantasie?
Brzeski: Die muss im Augenblick schon ziemlich weit gehen, wenn ich ganz ehrlich bin, denn normalerweise hätte man ja gesagt, okay, das ist ganz normal, das ist ein bisschen Geplänkel und man trifft sich auf so einen typisch europäischen Kompromiss.
Wie könnte der aussehen? Der könnte aussehen, indem man den Griechen ein bisschen mehr Zeit gibt, indem man die Laufzeiten für die jetzigen Kredite noch mal verlängert, indem man die tilgungsfreie Periode noch mal verlängert, vielleicht dem griechischen Haushalt ein klein bisschen Zeit, ein, zwei Jahre mehr Luft gibt und die Griechen sich im Gegenzug dann dazu verpflichten, wirklich Strukturreformen durchzuziehen, die Griechen im Gegenzug auch deutlich machen, was für ein Modell sie eigentlich im Kopf haben, wie wollen sie in den nächsten Jahren Wirtschaftswachstum generieren. Das wäre ein typischer europäischer Kompromiss.
Im Augenblick sind die Positionen so festgefahren, dass es schwer ist zu sehen, wie man noch diesen Kompromiss erreichen kann, ohne dass eine der beiden Parteien hierdurch Gesichtsverlust erleidet.
"Natürlich möchten die Griechen eine Schuldenerleichterung"
Schulz: Umschuldung ist ein Vorschlag, der jetzt vom Finanzminister Varoufakis kam, weil das Wort Schuldenschnitt offenbar politisch auch so beladen ist, dass darüber schon gar nicht mehr verhandelt wird. Was wäre denn der Unterschied, denn auch beim Schuldenschnitt ginge es ja eigentlich darum, Zeit zu kaufen?
Brzeski: Ja, ganz genau. Der Unterschied zwischen Schuldenschnitt und Umschuldung ist, dass die Umschuldung im Grunde genommen ein Schuldenschnitt durch die Hintertür ist, und das macht es ja im Augenblick auch so schwierig.
Eigentlich möchte man im Augenblick einen Kompromiss finden, der die Folgen oder die Erleichterung eines Schuldenschnittes hat. Nur die eine Seite würde das dann wahrscheinlich zuhause in Athen als Schuldenschnitt verkaufen wollen, und die andere Seite möchte es in Berlin und in anderen europäischen Hauptstädten so verkaufen, dass es deutlich kein Schuldenschnitt ist.
Aber natürlich möchten die Griechen eine Schuldenerleichterung haben. Die einzige Möglichkeit, die ich hier noch sehe, wäre, dass man irgendwie als europäische Partner und auch Deutschland den Griechen sagen könnte, okay, wir machen noch mal eine Liste mit etlichen Punkten, die ihr jetzt wirklich erfüllen wollt, und dann sprechen wir in zwei, drei Jahren doch noch mal über eine signifikante Schuldenerleichterung, eventuell auch über den Schuldenschnitt. Das wäre schon unheimlich viel, aber es ist unheimlich schwer, im Augenblick zu sehen, wie sich eine der beiden Seiten bewegen kann, ohne Gesichtsverlust, sodass die andere Seite trotzdem zufrieden ist.
Schulz: Der Chefvolkswirt der ING-DiBa, Carsten Brzeski, heute hier in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Vielen Dank Ihnen.
Brzeski: Gern geschehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.