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EZB-Zinssenkung
"Aktion der Europäischen Zentralbank war überfällig"

Die Europäische Zentralbank hat angekündigt, den Leitzins weiter zu senken. Ein richtiger Schritt angesichts der fallenden Inflationsraten, sagte Guntram Wolff, Chef der Brüsseler Denkfabrik Bruegel, im DLF. Mit den negativen Strafzinsen erreiche man aber vielleicht weniger als erhofft.

Guntram Wolff im Gespräch mit Ursula Mense | 06.06.2014
    Euro-Skulptur vor der Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main.
    Die EZB hat den Leitzins auf ein historisches Tief von 0,15 Prozent gesenkt. (picture alliance / dpa - Arne Dedert)
    Ursula Mense: Zur EZB-Entscheidung, die auch einen Tag danach die Finanz- und Wirtschaftswelt beschäftigt. Die Zinssenkung ist das eine, das andere die angedrohten Strafen fürs Geldhorten, mit denen die Banken vor allem in Südeuropa dazu gebracht werden sollen, Kredite an Unternehmen zu geben. Inzwischen haben viele Ökonomen in Deutschland die Entscheidungen der EZB heftig kritisiert. Ich hatte Gelegenheit, Guntram Wolff, den Chef der Brüsseler Denkfabrik Bruegel zu fragen, was er denkt und ob sich seiner Meinung nach der Strafzins tatsächlich so entfalten wird, dass in Südeuropa mehr Kredite an die Wirtschaft gegeben werden.
    Guntram Wolff: Ich möchte zunächst einmal festhalten, dass ich eine Aktion der Europäischen Zentralbank für überfällig halte. Wir haben seit Jahren fallende Inflationsraten und inzwischen ist auch die Inflationsrate sogar in Deutschland viel zu niedrig, und insofern haben wir wirklich ein Problem einer niedrigen Inflationsrate, und das ist unglaublich schädlich für den Rest Europas und für Deutschland übrigens auch.
    Was jetzt die niedrigen Strafzinsen angeht oder die negativen Strafzinsen, da denke ich in der Tat, dass man vielleicht weniger damit erreicht als man erhofft. Es geht darum, Banken in Südeuropa, die strukturell teilweise noch schwach sind, weitere Anreize zu geben, Kredite weiterzugeben an die Wirtschaft, und das geschieht natürlich nur, wenn es Nachfrage gibt. Aber es ist natürlich trotzdem ein zusätzlicher finanzieller Anreiz. Insofern: Ich denke, wir haben hier eine Maßnahme gemacht, die finanziell doch einen erheblichen Anreiz gibt, Kredite zu vergeben, und wir haben in der Tat ein Kreditvergabeproblem. Aber wir haben eben auch ein Kreditnachfrageproblem in Südeuropa, und das muss man natürlich massiv angehen, indem man die Banken umstrukturiert und den Schuldenüberhang abbaut.
    Mense: Stichwort Nachfrage. Ist es denn nicht auch so, dass gerade mittlere Unternehmen, die nun vor allen Dingen ja auch Kredite erhalten sollen, überhaupt den Mut nicht haben, Kredite aufzunehmen? Der Chef der Intesa Sanpaolo, Italiens größtem Kreditinstitut allerdings, der hat kürzlich dem „Spiegel" gesagt, dass er gern mehr Kredite vergeben würde, die Firmen sich aber nicht trauen. Also kommt man dem Problem mit Geld allein offenbar nicht bei?
    Wolff: Ja, man kommt dem Problem mit Geld allein nicht bei. Andererseits schadet es auch nichts. Ich meine, wenn die Kredite dann nicht aufgenommen werden von den Banken, dann schadet der negative Strafzins ja auch nichts. Insofern: Ich denke, die Zentralbank, die Europäische Zentralbank muss ja das machen, was in ihrem Möglichkeitsbereich ist, und ich denke, sie war erst zu schüchtern und hätte eher dann noch dahin gehen müssen, Anleihenkäufe wirklich anzukündigen. Man müsste da eigentlich mehr machen. Insofern ist schon richtig, dass die EZB was macht, und schaden wird es auf jeden Fall nicht.
    Mense: Sie sagten aber eben, eigentlich müssten vor allen Dingen die Banken umstrukturiert werden. Dazu trägt ja nun diese Maßnahme gar nicht bei. Was müsste man denn tun?
    Wolff: Was man tut ist: Man hat ja die Stresstests, die die Europäische Zentralbank durchführt. Man muss bereit sein, da wirklich Banken dann auch zu schließen, die nicht mehr lebensfähig sind. Das betrifft vor allem Banken in Ländern, in denen es sehr viele Non-performing Loans gibt, schlechte Kredite. Aber es kann auch durchaus Banken in Frankreich oder auch in Deutschland betreffen und dabei ist es ganz zentral, dass die Europäische Zentralbank bei der Aufsicht wirklich keinen Unterschied macht, wo die Bank ist, und wirklich die Banken so objektiv wie möglich beurteilt.
    Mense: Herr Wolff, vielleicht noch mal ein Wort zur Leitzinssenkung. Wenn ich Sie eben richtig verstanden habe, begrüßen Sie das ja. Es sind 0,1 Prozentpunkte, das ist ja eigentlich sehr wenig. Wird das denn ausreichen, um die Konjunktur anzukurbeln und auch die angeblich drohende Deflation – das ist ja nun auch teilweise noch zweifelhaft – abzuwenden?
    Wolff: Ja das wird nicht reichen. Neben dieser sehr kommodiativen Geldpolitik brauchen wir auf jeden Fall weiterhin strukturelle Reformen, Strukturreformen. Wir brauchen diese Bankenreform. Wir müssen auch über ein Investitionspaket nachdenken, das öffentlich finanziert wird. Und nicht zuletzt, denke ich, wird die EZB wahrscheinlich noch weitere Schritte machen müssen.
    Mense: Das hat ja Draghi auch schon in Aussicht gestellt. Er hat gesagt, wir sind noch nicht fertig. Was könnte denn noch kommen, was erwarten Sie?
    Wolff: Was ich erwarte ist, dass man dann wirklich in den Bereich der wirklich unkonventionellen Politik geht, wie alle anderen großen Zentralbanken der Welt das gemacht haben, die US Fed, die Bank of Japan und die Bank of England. Man wird also dahin gehen, dass man anfängt, Aktiva zu kaufen. Das ist in Europa immer ein bisschen problematischer, weil wir halt keine Staatsanleihen haben, die wirklich europäisch sind. Deswegen würde ich davon abraten, jetzt Staatsanleihen der einzelnen Länder in großem Stil zu kaufen. Das ist viel zu politisch. Stattdessen würde ich Unternehmensanleihen kaufen. Ich würde vielleicht auch ESM-Anleihen kaufen, also von den Rettungsschirmen die Anleihen, und vor allem auch ABS, die sogenannten Asset-Backed Securities. Das sind Finanzprodukte, die auf verschiedenen Krediten basieren.
    Mense: Guntram Wolff, Chef der Brüsseler Denkfabrik Bruegel, zur Entscheidung der EZB.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.