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Ezgi Başaran
"Frontline Turkey"

Der türkische Präsident Erdoğan scheint aktuell kein Interesse daran zu haben, die Kurdenfrage in seinem Land friedlich zu lösen. Der Konflikt weitet sich aus - auf Syrien, Irak, auf Europa und Amerika. Die türkische Journalistin Ezgi Başaran schreibt in ihrem Buch von einem globalen Problem.

Von Susanne Güsten |
    Hintergrundbild: Mehrere türkische Panzer fahren über eine staubige Straße. Vordergrund: Buchcover
    Das Buch ist wegen seiner glasklaren Darlegung der politischen Entwicklung der Türkei auch Lesern zu empfehlen, die sich weniger für die Kurdenfrage interessieren und mehr für das Land an sich. (AFP/ IB Tauris Verlag)
    Ezgi Başaran hat eine Nachricht für ihre Leser in der westlichen Welt: Das Kurdenproblem ist jetzt auch ihr Problem.
    "Während ich diese Zeilen schreibe, fährt der kurdische Zug ab aus Syrien und der Türkei, und er führt schweres Gepäck mit: eine Ladung von Verzweiflung, Hass, Wut und Reue - aber auch Liebe und die Hoffnung auf einen friedlichen Nahen Osten. Dieser Zug wird in jeder Stadt der westlichen Welt anhalten, und er wird die Beziehungen zwischen Ost und West verändern. Er wird sich auf die Einwanderung auswirken, auf die Terrorismusbekämpfung und auf demokratische Strukturen in aller Welt. Das Kurdenproblem ist zum globalen Problem geworden, und es wird so bald nicht mehr weggehen."
    Streit über die Rolle der Kurden
    "Frontline Turkey" erschien wenige Tage vor dem jüngsten Einmarsch der Türkei in Syrien, wo türkische Truppen die Bildung einer kurdischen Autonomiezone verhindern wollen. Die Autorin schrieb diese Zeilen also bereits vor der Eskalation zwischen der Türkei und den USA, die sich über die Rolle der Kurden in Syrien streiten und einer militärischen Konfrontation am Euphrat inzwischen gefährlich nahe sind. Sie sagte diese Entwicklung voraus.
    Die Autorin kennt die Kurdenfrage in- und auswendig. Als Reporterin und später Chefredakteurin einer investigativen türkischen Zeitung berichtete sie jahrelang aus nächster Nähe über den Konflikt und hat viele der Protagonisten selbst interviewt, sowohl in Ankara als auch im Hauptquartier der PKK in den Bergen von Nordirak. Insbesondere den Friedensprozess zwischen dem türkischen Staat und der PKK verfolgte sie hautnah von den Anfängen bis zum Scheitern, dessen Ursachen sie so auf den Punkt bringt:
    "Der Friedensprozess brach aus drei Gründen zusammen. Erstens, die Angst der türkischen Regierung vor der gewaltsamen Errichtung eines autonomen Kurdengebiets auf türkischem Territorium. Zweitens, Erdoğan Streben nach dem Präsidialsystem. Drittens, die Einfältigkeit der PKK, die glaubte, sie könne die Kurdenregion in der Türkei zu einem 'Rojava' machen, einem kurdischen Autonomiegebiet. Die PKK-Führung interpretierte den Erfolg der zivilen Kurdenpartei HDP bei der Wahl am 7. Juni 2015 als Unterstützung für die PKK. In Wirklichkeit bedeutete der beispiellose Erfolg der HDP an der Wahlurne aber Unterstützung für den Friedensprozess, für den Waffenstillstand und für die Versprechen der HDP auf Demokratie und Gleichberechtigung - nicht für die PKK."
    Friedliche Lösung in weiter Ferne
    Ihre Analyse der Kurdenfrage bettet Başaran ein in einen klaren und bündigen Abriss der modernen Türkei und ihrer Probleme. Zwar geht es ihr vor allem um die Kurdenfrage, doch die Altlasten vergangener Staatsstreiche, den Aufstieg der AKP, die Unterwanderung durch die Gülen-Bewegung oder den Weg zum Präsidialsystem skizziert sie gründlicher, fundierter und verständlicher als die meisten anderen Bücher über die Türkei, die in letzter Zeit auf den Markt gekommen sind. Am Ende kommt sie immer wieder bei der Kurdenfrage an:
    "Während die AKP die alten Eliten demontierte und das Establishment eroberte, baute sie ihre eigenen Patronageverhältnisse auf. Vorher fühlten sich die Islamisten und die Kurden ausgeschlossen - in der neuen politischen Ordnung werden säkulare Gruppen ausgeschlossen. Was stabil geblieben ist bei der Oszillation der Türkei zwischen verschiedenen Arten der Unterdrückung, das ist die Verfolgung und Ausgrenzung der Kurden. Ironischerweise ist eine Lösung der Kurdenfrage das einzige, was diesen Teufelskreis durchbrechen und einer Demokratie die Starthilfe geben kann."
    Doch die Türkei ist in diesen Tagen stärker denn je gefangen in diesem Teufelskreis. Die Angst vor einem Kurdenstaat an ihrer Südgrenze, die militärische Zusammenarbeit des NATO-Partners USA mit einer Bruderorganisation der PKK in Syrien, eine Aufwallung von Nationalismus und die fahnenbedeckten Särge, die aus dem Kampf gegen die syrische Kurdenmiliz zurück kommen, lassen eine friedliche Lösung der Kurdenfrage in der Türkei derzeit weiter entfernt erscheinen als je zuvor.
    Ein globales Problem
    Darunter werde auch der Westen zu leiden haben, warnt Başaran:
    "Der Zusammenbruch des Friedensprozesses zwischen Erdogan und den Kurden wirkt sich nicht nur auf die Türkei aus, sondern auch auf die EU und die USA. Der Schlüsselfaktor in den Beziehungen der Türkei zum Nahen Osten und zum Westen ist die Kurdenfrage. Sie ist mit dem Krieg in Syrien zum globalen Problem geworden."
    Das Buch ist wegen seiner glasklaren Darlegung der politischen Entwicklung der Türkei auch Lesern zu empfehlen, die sich weniger für die Kurdenfrage interessieren und mehr für das Land an sich. Ezgi Başaran kann darüber inzwischen nicht mehr aus nächster Nähe berichten. Ihre Zeitung wurde vor zwei Jahren von der Regierung geschlossen, sie selbst lebt jetzt im Exil in London.
    Ezgi Başaran: "Frontline Turkey. The Conflict at the Heart of the Middle East",
    IB Tauris, 224 Seiten, 15,99 Euro.