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Türkisch-kurdischer Konflikt
"Man hat Ankara all die Jahre viel zu viel durchgehen lassen"

Der türkisch-kurdische Konflikt werde schon seit 35 Jahren auch in Deutschland ausgetragen, sagte die SPD-Politikerin Lale Akgün im Dlf. Da hätte auch die deutsche Politik schon früher reagieren müssen. "Vielleicht wären ja die Dinge heute nicht passiert, wenn die deutsche Politik klarer gewesen wäre."

Lale Akgün im Gespräch mit Christine Heuer | 27.01.2018
    Die frühere Politikerin und heutige Buchautorin Lale Akgün
    Die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete und heutige Buchautorin Lale Akgün (dpa / picture-alliance)
    Christine Heuer: Die Polizei ist alarmiert, es gab erste Zwischenfälle, wir haben das gerade im Beitrag von Jochen Hilgers gehört. Für wie wahrscheinlich halten Sie, dass es heute eine Gewalteskalation in Köln gibt?
    Lale Akgün: Nun, ich halte die Gewalteskalation, wenn die Polizei sie nicht unterdrückt, für sehr wahrscheinlich, weil wir auf beiden Seiten ja auch gut organisierte Gruppierungen haben. Wir haben auf der Seite der Kurden eine gut organisierte Community, aber auf der Seite der stark nationalistischen Türken haben wir auch eine gut organisierte Community. Und wenn die beiden aufeinanderstoßen, glaube ich, könnte es jederzeit knallen.
    Heuer: Wenn Sie das so sehen, war es dann falsch, diese Demonstration heute überhaupt zuzulassen?
    "Wir nehmen ja Anteil an dem, was in Syrien passiert"
    Akgün: Nein, ich finde, das sind wir unserer Debattenkultur schuldig. Wir nehmen ja Anteil an dem, was in Syrien passiert, in Afrin passiert. Und es ist auch sicherlich erlaubt, da auch dagegen zu demonstrieren und die eigene Meinung zu vertreten. Aber - und darauf muss glaube ich sehr bestanden werden - alles im friedlichen Rahmen!
    Heuer: Ja, nun halten Sie aber Gewalt, haben Sie gerade gesagt, für eher wahrscheinlich. Das ist ja dann doch noch mal was anderes als Debattenkultur. Holen wir uns mit Demonstrationen dieser Art wie heute nicht den türkisch-kurdischen Konflikt auf Deutschlands Straßen?
    Akgün: Das ist natürlich eine ganz wichtige Frage, die Frage stellt sich aber schon seit Jahren und Jahrzehnten. Ich erinnere, '84, als auf den Autobahnen Lkw oder Pkw gebrannt haben, von der PKK angezündet: Diese Frage, inwieweit dürfen wir eigentlich hier in Deutschland so einen Stellvertreterkrieg zulassen, besteht schon sehr lange. Und ich fürchte, es ist bis heute noch keine Antwort gegeben worden. Ich finde es ein bisschen schade, dass wir immer noch Menschen haben, die aus der Türkei oder aus den kurdischen Gebieten gekommen sind, die eben sich immer noch nicht so mit Deutschland identifizieren, dass sie die Vorgänge in der Türkei eigentlich aus einer guten Distanz betrachten und analysieren können.
    Heuer: Aber wollen wir, dass dieser Konflikt bei uns so offensichtlich ausgetragen wird und auch einfach das Zivilleben durcheinanderbringt, wollen wir das wirklich zulassen?
    "Die Mehrheitsgesellschaft will damit nichts zu tun haben"
    Akgün: Ich glaube, das will niemand. Man muss vielleicht auch den Leuten klarmachen, die diese Demonstrationen organisieren und auch dann eben damit rechnen oder auch sogar ein Gefallen daran haben, dass es doch eskaliert, dass man sich damit keine Sympathien gewinnt. Ich glaube, dass die Mehrheitsgesellschaft und die meisten auch friedliebenden Türken und Kurden auch damit nichts zu tun haben wollen, mit dem, was da einige Tausend machen. Und dass man für die eine gute Sache, für die man vielleicht eintritt, eigentlich besser friedlich sich einsetzen sollte, müsste man denjenigen klarmachen. Der nächste Eskalationsschritt wäre, zu sagen, wir verbieten solche Demonstrationen. Und da müsste man schauen, ob man damit auch weiterkommen könnte.
    Heuer: Es hängt ja auch ein bisschen damit zusammen, wer da demonstriert. Sie sagen, einige Tausend, und es gibt eben auch friedliebende Kurden, die mit denen nichts zu tun haben wollen. Aber angemeldet worden ist die Demonstration heute vom kurdischen Dachverband Nav-Dem und der steht der verbotenen PKK nahe. Frau Akgün, deshalb noch mal die Frage: Sind das die Leute, denen wir erlauben sollten, auf Deutschlands Straßen zu demonstrieren?
    Akgün: Wenn Sie mich aus dem Herzen fragen, …
    Heuer: Ja!
    "Seit 35 Jahren wird der Konflikt auch in Deutschland ausgetragen"
    Akgün: … würde ich sagen: Nein. Aber auf der anderen Seite weiß ich, wenn ich mit Nein antworte, schaffen wir uns andere Probleme an den Hals und dann ist die Frage, wollen wir auch solche Probleme im Lande haben? Also sobald Sie sagen, wir möchten solche Demonstrationen nicht gestatten, wird sofort kommen: Ja, aber wollt ihr uns unterdrücken, wollt ihr die Meinungsfreiheit in diesem Land unterdrücken, wir haben hier ein Demonstrationsrecht und so weiter. Also dann kommen solche Antworten. Die Frage müsste vielleicht noch weiter zurückgegangen werden: Die Frage ist, inwieweit müsste man auch konsequenterweise gegen bestimmte Gruppierungen vorgehen oder eben auch anders das Gespräch mit ihnen suchen?
    Heuer: Das heißt aber, wir machen - die Deutschen, der Staat, die Sicherheitsbehörden - da irgendwie einen Fehler, weil wir nur noch die Wahl zwischen dem kleinen Übel zu haben scheinen?
    Akgün: So sieht es mir aus. Man hat ja seit Jahren eigentlich immer weggeguckt, ich glaube, das ist auch mit die Ursache. Schauen Sie, seit 35 Jahren gibt es ja diesen türkisch-kurdischen Konflikt in der Türkei und seit 35 Jahren wird der auch in Deutschland ausgetragen, von Überfällen auf Banken und Zusammenschlägereien und so weiter. Und der Staat guckt immer weg und macht eigentlich nur Kosmetik an der Oberfläche. Das heißt, man hat in 35 Jahren die Leute davon nicht überzeugen können, dass dieser Konflikt nicht nach Deutschland gehört, sondern in die Türkei beziehungsweise auch dort gelöst werden müsste und schon gar nicht auf Deutschlands Autobahnen gelöst werden kann.
    Heuer: Frau Akgün, jetzt haben wir darüber gesprochen, wer da heute demonstriert. Dann müssen wir auch darüber reden, um was es geht. Die kurdische Gemeinde fordert Sanktionen gegen die Türkei, eben jetzt aktuell wegen dieser militärischen Militäroffensive in Afrin. Wären Sie auch dafür, dass man da Ankara härter anfasst?
    "Es geht um Waffenlieferungen an sich"
    Akgün: Ich bin eigentlich immer dafür, dass man Ankara härter anfasst, weil ich glaube, dass man Ankara all die Jahre viel zu viel hat durchgehen lassen, gerade in den letzten Jahren, wo Erdogan sich immer mehr zum Diktator aufgeplustert hat. Aber auf der anderen Seite muss man natürlich auch ganz klar sehen, was militärische Hilfe angeht: Die Türkei ist ein NATO-Partner, genauso wie Deutschland, und da müsste man eben darüber nachdenken, was passiert eigentlich, wenn wir einem NATO-Partner bestimmte Dinge nicht liefern, beziehungsweise wie geht man mit dieser Frage von Waffenlieferungen in Krisengebiete um? Das ist eine prinzipielle Frage, es geht nicht nur um die Lieferungen nach Syrien oder in die Türkei, sondern es geht überhaupt um die Waffenlieferungen an sich. Und da, über diese Frage müssen wir glaube ich in den nächsten Jahren sehr viel klarer diskutieren: Wollen wir eigentlich Waffenlieferungen in Krisengebiete?
    Heuer: Ja, aber Frau Akgün, da lasse ich Sie jetzt nicht ganz raus! Ich will da nicht zu generell mit Ihnen werden, heute Mittag jedenfalls nicht, sondern schon noch mal sprechen über die Waffenlieferungen an die Türkei. Dass das alles möglich war, daran hat Ihre Partei, die SPD und der von ihr gestellte damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ja einen starken Anteil, zuletzt hat Gabriel als Außenminister auch noch mal grünes Licht gegeben für Nachrüstungen deutscher Panzer, mit denen die Türkei nun die Kurden in Syrien angreift. Finden Sie das richtig?
    Akgün: Nein, das finde ich überhaupt nicht richtig und ich muss sagen, ich finde, an der Stelle hätte man sehr viel schneller reagieren müssen. Vielleicht wären ja die Dinge heute nicht passiert, wenn die deutsche Politik an der Stelle klarer gewesen wäre und gesagt hätte, wir lassen nicht zu, dass die Türkei mit deutschen Panzern auf die Kurden in Syrien schießt und dadurch das Thema auch zu einem innenpolitischen Thema in Deutschland wird.
    Heuer: Das heißt, die SPD hat ganz viel falsch gemacht, wenn nicht alles?
    "Deutschland kann nicht Partei sein für einen Diktator in der Türkei"
    Akgün: An der Stelle hat die SPD sehr viel falsch gemacht, ja.
    Heuer: Hoffen Sie darauf, dass sich das ändert in einer neuen Regierung mit SPD-Beteiligung, oder rechnen Sie eher damit, dass das so weitergeht?
    Akgün: Ich glaube, damit kommen wir eigentlich zu Ihrer ersten Frage, ich…
    Heuer: Das ist immer gut, wenn der Kreis sich schließt, Frau Akgün!
    Akgün: Nein, genau, der Kreis schließt sich, weil ich glaube, wenn wir darüber reden wollen, wie können wir eigentlich das Problem in Deutschland lösen, dann muss man auch ganz klar sagen, dass eben Deutschland nicht Partei sein kann für einen Diktator in der Türkei, der Menschen angreift, deren Verwandte auch hier in Deutschland leben. Und deswegen glaube ich oder hoffe ich wenigstens, dass die nächste Regierung an der Stelle sensibler reagiert und eben Waffenlieferungen in der jetzigen Form, an die jetzige Regierung in der Türkei unterlässt.
    Heuer: Also Ihr Votum, Ihre Erwartung … Also dass Sie es hoffen, ist klar, aber glauben Sie auch, dass die SPD, um es mal mit einer SPD-Formulierung zu sagen, ab jetzt klare Kante zeigt gegen Ankara?
    Akgün: Ja, wenn ich … Ich habe keine Kugel, in die ich reinschauen kann, wie sich die Dinge in den nächsten Wochen entwickeln werden, aber ich kann nur sagen: Es wäre politisch klug, so zu handeln.
    Heuer: Die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün. Frau Akgün, ich danke Ihnen für das Gespräch heute Mittag!
    Akgün: Gerne!
    Heuer: Angenehmen Tag für Sie!
    Akgün: Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.