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Falsche und verunreinigte Zellen

Biologie. - Rund 30 Prozent der Zellproben, so hat die "Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen" herausgefunden, sind falsch etikettiert oder mit anderen Organismen kontaminiert. Fällt dies zu spät auf, kann jahrelange Forschung auf einen Schlag wertlos werden.

Von Michael Engel |
    Die Wissenschaftler der "Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen" in Braunschweig können es kaum glauben, wenn sie angeforderte oder zugesandte Zellproben von anderen Laboratorien in die Hand bekommen: 18 Prozent sind mit Viren verseucht - weitere 20 Prozent der Zelllinien mit sogenannten "Mykoplasmen" – speziellen Bakterien - kontaminiert. Bei Zellen von Maus, Ratte, Schwein, Schaf oder Rind kommt es sogar vor, dass noch nicht mal drin ist, was draufsteht, beklagt Dr. Klaus Steube:

    "Wir haben ein ganz eklatantes Beispiel einer Zelllinie, die wir mal aus Japan bekommen haben, die wurde publiziert. Das war eine ganz aufregende Publikation gewesen. Und wir haben leider festgestellt, das war eine falsche Zelllinie."

    In dem Beispiel aus Japan wurden sogenannte "Endothelzellen" aus der menschlichen Nabelschnur untersucht. Tatsächlich hatten es die Forscher aber mit Zellen aus einem Blasentumor zu tun. Selbstredend, dass die wissenschaftlichen Ergebnisse, die mit falsch etikettierten Zellen erzielt werden, wertlos sind. In sieben Prozent der Fälle waren die untersuchten Proben sowohl falsch etikettiert als auch kontaminiert – zum Beispiel mit Mykoplasmen.

    "Das Unangenehme von Mykoplasmen, dieser Sondergruppe von Bakterien ist, dass man die nicht sofort sehen kann. Man braucht also indirekte Nachweismethoden, um überhaupt feststellen zu können, das ist eine kontaminierte Zelllinie. Deswegen mahnen wir auch immer wieder in regelmäßigen Abständen gerade diese Mykoplasmentests durchzuführen."

    Nach Ansicht der Braunschweiger Wissenschaftler sollten Zellkulturen mehrfach geprüft werden. Einmal vor dem Beginn der Versuchsreihe, dann immer wieder während der laufenden Untersuchungen, schließlich noch einmal nach Abschluss der Arbeiten. Mit gängigen Analyseverfahren wie dem DNA-Fingerprinting, Zelloberflächen-Markern oder Fluoreszenz-Untersuchungen sei es simpel, den Zelltyp als auch mikrobiologische Verunreinigungen zu bestimmen. Solche Untersuchungen dauern manchmal nur wenige Minuten. Kein Vergleich zu dem akademischen Risiko, wenn die Prüfung unterbleibt.

    "Nichts desto trotz müsste man heute, wenn man heute eine wissenschaftliche Arbeit begutachtet, fordern: Ist das Material, mit dem die Untersuchungen gemacht worden sind, authentisch und sauber? Also ist es frei von Kontaminationen, und ist es das richtige, authentische Material? Also eine bestimmte humane Zelllinie zum Beispiel und nicht irgendetwas anderes. Und das machen in der Tat auch schon einige Journale, wo wir als Wissenschaftler versuchen zu publizieren, und das ist auch ein richtiger Schritt in die richtige Richtung."

    Noch immer – so Dr. Steube – sei das aber die Ausnahme. Dabei kursieren immer noch eine ganze Reihe von Zelllinien durch die international vernetzten Laboratorien, die nie auf ihre Echtheit oder auf Kontaminationen überprüft wurden. Klaus Steube schätzt den Anteil auf rund 30 Prozent. Ob damit dann auch ein Drittel der im Zelllabor gemachten Erkenntnisse wertlos seien, auf diese Frage runzelt der Wissenschaftler die Stirn: Am Ende könnte der Doktortitel aberkannt werden, die Karriere einen Knick bekommen, viel Geld verloren gehen ....

    "Beim Doktorvater ist es angekommen und muss auch viel mehr ankommen als bei dem jungen Akademiker, der einfach noch nicht diese Erfahrung hat. Der braucht diese Anleitung und muss jemand haben, der diese Arbeit begleitet, dass regelmäßig getestet werden muss. Das heißt, er muss von vornherein eigentlich das Material als korrekt zur Verfügung stellen und das nicht in Verantwortung des Jungforschers lassen."

    Wer heute einen akademischen Titel erwirbt, muss viele Dinge beachten: Nachprüfbare Zitierregeln zum Beispiel statt klammheimlich "Copy and Paste". Im Zelllabor indes sind Kontrolluntersuchungen nicht zwingend. Das, so Klaus Steube, müsse ein Ende haben.