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Familienförderung statt Ehegattensplitting

Das Ehegattensplitting sei eigentlich überholt, sagt Manuela Schwesig, stellvertretende Vorsitzende der SPD. "Denn es fördert nur die Ehe." Partnerschaften ohne Trauschein oder Alleinerziehende mit Kindern würden gar nicht gefördert. Sie setzt auf eine individuelle Besteuerung wie in Schweden.

Manuela Schwesig im Gespräch Jasper Barenberg | 13.08.2012
    Jasper Barenberg: Seit die Koalitionsparteien öffentlich darüber streiten, ob das Ehegattensplitting auch gleichgeschlechtlichen Paaren zustehen sollte, gerät der Steuervorteil für Verheiratete selbst auch wieder in die Diskussion. Ein Mal mehr steht die Forderung nach einer grundlegenden Reform im Raum, und zwar einer Reform zugunsten von Familien und Kindern, etwa indem man das Ehegattensplitting in ein sogenanntes Familiensplitting umwandelt. Die SPD allerdings tut sich offenbar schwer mit dem Thema. Die zuständige Fachpolitikerin der Bundestagsfraktion nennt den Vorschlag völlig absurd, Parteichef Sigmar Gabriel dagegen hat sich hier im Deutschlandfunk klar für ein Familiensplitting ausgesprochen.

    "O-Ton Sigmar Gabriel: Na ja, ich bin eher der Meinung, dass wir weg müssen vom Ehegattensplitting und hin zu einem Familiensplitting, also dass wir Familien mit Kindern fördern und nicht nur den Eheabschluss. Aber solange man das nicht hat, muss es natürlich eine Gleichbehandlung geben der Lebenspartnerschaften. Aber eigentlich bin ich der Überzeugung, dass man das Ehegattensplitting umwandeln muss in ein Familiensplitting. Was die CDU jetzt macht, ist, dass sie einen Streit führt über etwas, was eigentlich in der Gesellschaft längst entschieden ist."

    Barenberg: Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hier im "Interview der Woche"im Deutschlandfunk. Parteichef und Fraktion also uneins. Wir wollen in den kommenden Minuten darüber mit der stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Manuela Schwesig sprechen, der Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales in der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern. Einen schönen guten Morgen!

    Manuela Schwesig: Guten Morgen, Herr Barenberg!

    Barenberg: Frau Schwesig, Familiensplitting anstelle des alten Ehegattensplittings: Ist das nun Teufelszeug oder das richtige Rezept?

    Schwesig: Es kommt darauf an, wie man es ausgestaltet. Fakt ist, dass zunächst es richtig ist, dass es auch für Homoehen das Ehegattensplitting gibt, das ist eine Frage der Gleichberechtigung der Lebensform. Aber wir sind uns einig, dass das Ehegattensplitting eigentlich überholt ist, denn es fördert ja nur die Ehe und es werden eben Partnerschaften ohne Trauschein oder Alleinerziehende mit Kindern oder eben andere Familienformen mit Kindern gar nicht gefördert. Und jetzt ist die Frage: Wenn man vom Ehegattensplitting abrückt, weil es überholt ist und ausschließlich die Ehe fördert und nicht Familien mit Kindern allgemein, wie kann man das machen im Steuerrecht? Und da ist eine Form das Familiensplitting. Es kommt darauf an, wie man es ausgestaltet: Der Vorschlag der CDU, das Familiensplitting der CDU ist definitiv sozial ungerecht, weil davon am meisten die Familien profitieren, die ein sehr hohes Einkommen haben und viele Kinder. Und viele Familien würden leer ausgehen. Es ist …

    Barenberg: … das hat der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel also nicht gemeint?

    Schwesig: Nein, das hat er nicht gemeint, den Vorschlag Familiensplitting der CDU. Sigmar Gabriel hat sich ganz klar dafür ausgesprochen, dass wir vom Ehegattensplitting abrücken hin zu einer Familienförderung. Und da muss man schauen, wie das ausgestaltet ist. Es gibt einen dritten Weg neben Ehegattensplitting und dem CDU-Familiensplitting, und zwar den Weg der Individualbesteuerung. Klingt kompliziert, ist es aber gar nicht. Das heißt, jeder zahlt zunächst Steuern auf sein Einkommen. Hohes Einkommen hohe Steuern, niedriges Einkommen keine oder niedrige Steuern. Und dann werden die Familienverpflichtungen angerechnet. Also, wenn ich mit einem Partner zusammenlebe, gibt es dafür einen Freibetrag, wenn ich Kinder habe, gibt es dafür einen Freibetrag. Das wäre individueller und gerechter. Dennoch …

    Barenberg: … wie viel würden denn Familien gegenüber dem derzeitigen Stand der Dinge dann verlieren an Steuervorteil? Das sind ja einige Tausend Euro bei vielen?

    Schwesig: Na, es kommt ganz auf die Gestaltung an. Fakt ist doch, dass jetzt ganz viele Familien gar keine Förderung bekommen. Lassen Sie uns ein konkretes Beispiel machen: Ein Ehepaar, wo der Mann arbeitet, 120.000 Euro im Jahr verdient, also schon zum Spitzenverdiener gehört, die Frau arbeitet nicht, die haben zusammen einen Steuervorteil von 8350 Euro durch das sogenannte Ehegattensplitting. Paare, die nicht verheiratet sind, das gleiche Einkommen haben, aber Kinder haben, haben diesen Vorteil nicht, Alleinerziehende haben diesen Vorteil auch nicht. Also, das jetzige System ist ungerecht. Man muss natürlich die Individualbesteuerung so ausgestalten, dass letztendlich Familien mit Kindern nicht verlieren, sondern gewinnen, gerade die Familien, die jetzt nicht berücksichtigt werden. Und die SPD hat sich entschlossen, dass wir das Ehegattensplitting für die neuen Ehen nicht mehr einführen, aber alle die, die jetzt die letzten Jahre und Jahrzehnte natürlich darauf vertraut haben, es weiterhin bekommen. Das ist eine Frage auch von Verfassungsrecht, aber vor allem auch von Vertrauensschutz. Lassen Sie mich noch einen wichtigen Punkt sagen: Man kann keine Familienförderung optimal und gerecht über Steuerrecht machen, weil man immer wieder an die Grenzen stößt, dass doch, wenn man dann, um möglichst viel abzusetzen, der profitiert, der auch eh schon sehr viel verdient. Und deshalb setzt die SPD auf die Individualbesteuerung und auf direkte Leistung für Kinder. Wir wollen eine Kindergrundsicherung, die besteht zum einen aus Recht auf Bildung, also kostenfreie Ganztagskitas, Ganztagsschulen, und zweitens ein faires und gerechtes Kindergeld. Das Kindergeld jetzt in Deutschland ist ungerecht. Familien mit einem hohen Einkommen bekommen ein höheres Kindergeld über den Steuerfreibetrag als Familien mit einem durchschnittlichen oder kleinen Einkommen. Wenn ich 40.000 Euro im Monat verdiene, bekomme ich bis zu 100 Euro mehr Kindergeld über die Steuern als andere. Das ist ungerecht, das wollen wir umdrehen. Wir wollen, dass zukünftig alle Familien das gleiche Kindergeld bekommen. Und gerade die Familien, die kleine Einkommen haben, bis 3000 Euro brutto im Monat, auf ihr Kindergeld einen Zuschlag bekommen, damit sie auch wirklich nicht in die Armut rutschen. Das wäre ein gerechtes System.

    Barenberg: Frau Schwesig, Sie haben jetzt dieses Modell der individuellen Besteuerung erklärt und favorisieren das auch. Ich will noch mal zurückkommen auf das Familiensplitting, wie es beispielsweise in Frankreich Praxis ist: Da ist es ja so, dass das Einkommen dann nicht addiert wird der beiden Verdienenden möglicherweise in einer Familie, sondern dass dazu auch noch die Kinder kommen. Dass es also durch mehr Personen geteilt wird, die von diesem Geld leben müssen. Warum kann das kein Vorbild sein? Das klingt doch wirklich wie eine plausible Regelung?

    Schwesig: Es klingt auf den ersten Blick wirklich gut, deswegen haben wir uns damit auch intensiv auseinandergesetzt. Es klingt zunächst gerecht nach dem Motto, es werden eben alle Kinder voll angerechnet wie Erwachsene. Aber wer hat davon etwas? Das sind die Familien mit einem hohen Einkommen mit vielen Kindern. Aber Familien mit einem kleineren und mittleren Einkommen, von denen ich eben sprach, die gehen leer aus, weil es ja jetzt schon so ist, dass viele Familien … Dort gehen Eltern arbeiten, zahlen aber keine Steuern, weil ihr Einkommen so gering ist, oder nur kleine Steuern. Und die würden von so einem Splitting kaum profitieren. Deswegen setzt die SPD auf direkte Leistung durch kostenfreie Bildungsinfrastruktur und vor allem durch ein faires, gerechtes Kindergeld. Wir wollen das neu machen, wir wollen dass nicht mehr die, die Spitzenverdiener sind, mehr Geld für ihre Kinder bekommen, sondern die, die auch fleißig sind, aber kleine und mittlere Einkommen haben. Und die Individualbesteuerung findet ja in Schweden statt und Schweden ist ja oft ein Vorbild für Familienförderung, und deswegen, finde ich, kann man sich da ruhig mal was abgucken. Fakt ist: Wir müssen vom überholten Ehegattensplitting weg, hin zu einer Besteuerung und zusätzlicher Familienförderung, die alle Familien in den Blick nimmt und sich endlich an die moderne Welt anpasst, die da heißt: Paare mit oder Trauschein, Alleinerziehende, Patchworkfamilien, Regenbogen-Familien.

    Barenberg: 07:25 Uhr, Sie hören den Deutschlandfunk, ein Interview mit der stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Manuela Schwesig. Frau Schwesig, die Debatte um die Kanzlerkandidatur in der SPD nimmt wieder Fahrt auf, zuletzt hat Torsten Albig, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, sich klar für Fraktionschef Walter Steinmeier ausgesprochen als Kanzlerkandidat der Sozialkandidaten. Damit hat sich ein erster führender SPD-Politiker festgelegt. Unterstützen Sie ihn?

    Schwesig: Ich halte die Debatte nicht für richtig zu diesem Zeitpunkt, denn wir haben eine klare Verabredung, dass wir uns damit zum Jahreswechsel beschäftigen wollen, das entscheiden wollen und spätestens nach der Niedersachsen-Wahl die sogenannte K-Frage klären. Wir müssen zum richtigen Zeitpunkt uns mit den richtigen Fragen befassen. Jetzt müssen wir uns vor allem mit den Problemen in Deutschland befassen. Denn die Bundesregierung kann diese nicht lösen, es gibt genug, die Euro-Krise, das Thema, was wir eben besprochen haben, wie sieht es aus mit Familienförderung und, und, und. Und von daher finde ich es nicht gut, wenn jetzt jeder Einzelne wieder die K-Debatte anzettelt. Fakt ist: Wir haben eine klare Verabredung, uns nach der Niedersachsen-Wahl zu positionieren Anfang nächsten Jahres, und daran sollten wir uns einfach alle halten.

    Barenberg: Aber braucht denn inhaltliche Position nicht auch ein passendes Gesicht dazu?

    Schwesig: Natürlich, aber es ist wichtig, zunächst über die Inhalte zu reden. Machen wir uns doch nichts vor, wir kommen doch als SPD mit Inhalten gar nicht durch, wenn wir ständig Personaldebatten führen. Und deswegen haben wir uns zusammengesetzt und uns überlegt, welcher Weg ist der richtige? Wir haben gesagt, wir machen jetzt Inhalte, Bürgerdialoge bis zum letzten Jahr, über die Inhalte, über unser Regierungsprogramm, entscheiden die K-Frage am Anfang des nächsten Jahres. Und an diesen Zeitplan sollten wir uns halten oder dann zunächst intern besprechen, wenn jemand der Meinung ist, dass es so nicht der richtige Weg ist.

    Barenberg: Heute Morgen im Deutschlandfunk die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig. Besten Dank für das Gespräch!

    Schwesig: Ich danke Ihnen, einen schönen Tag, tschüss!

    Barenberg: Tschüss!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.