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Familiennachzug
"Wir dürfen die Integrationsfähigkeit Deutschlands nicht überfordern"

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat die im Sondierungspapier mit der SPD festgelegte Richtgröße für den Zuzug von Flüchtlingen verteidigt. Integration könne nur funktionieren, wenn eine kleinere Zahl von Menschen neu ins Land komme, sagte Herrmann im Dlf. Das sei nicht nur eine Frage des Geldes.

Joachim Herrmann im Gespräch mit Sarah Zerback | 16.01.2018
    Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) spricht am 28.06.2017 in der bayerischen Staatskanzlei in München (Bayern) auf einer Pressekonferenz.
    Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (dpa/picture alliance/Peter Kneffel)
    Sarah Zerback: Mit Zahlen, da lässt sich ja wunderbar Politik machen, besonders wenn es um Flüchtlinge geht. Das war in den vergangenen Monaten bei der Obergrenze so und auch beim Familiennachzug. Als sich AfD und CSU quasi gegenseitig überboten haben, war auf einmal von bis zu sieben Millionen Menschen die Rede, die so zusätzlich ins Land kommen sollen. Das hat sich schnell als Quatsch herausgestellt. Seriöse Prognosen, die gehen eher von 60.000 Menschen aus. So viele aber sollen nun gar nicht kommen. Zumindest steht das so im Sondierungspapier.
    Zugehört hat Joachim Herrmann von der CSU, Innenminister in Bayern. Guten Morgen, Herr Herrmann.
    Joachim Herrmann: Guten Morgen und grüß Gott!
    "Dürfen Integrationsfähigkeit Deutschlands nicht überfordern"
    Zerback: Ich möchte gerade die Frage von Ihrem Parteifreund aufgreifen. Kann eine Partei, die das C im Namen trägt, wirklich für eine Flüchtlingspolitik sein, ohne Nächstenliebe, wie Hans Maier sagt, und ohne Verständnis für Verfolgte?
    Herrmann: Wir nehmen nach wie vor sehr viele Flüchtlinge in unserem Land auf. Von einer Politik ohne Nächstenliebe oder ohne Humanität kann überhaupt keine Rede sein. Aber klar ist auch - und das haben wir gespürt ja gerade in den letzten Jahren und das sieht ja ganz offensichtlich auch die Mehrheit der deutschen Bevölkerung so -, dass wir die Integrationsfähigkeit Deutschlands nicht überfordern dürfen. Genau zu dieser klaren Aussage bekennen sich CDU/CSU und SPD in diesem Sondierungspapier. Die Integrationsfähigkeit darf nicht überfordert werden. Und ich kenne auch ganz überwiegend aus der Kommunalpolitik nahezu aller Parteien nur Kolleginnen und Kollegen, die in der Tat im täglichen Leben spüren, wir dürfen die Integrationsfähigkeit nicht überfordern.
    Zerback: Dann gehen wir mal weg von der humanitären Ebene. Aber heißt das, auch wenn die Wirtschaft brummt – das tut sie ja -, wenn Fachkräfte fehlen, Geflüchtete werden in Ihren Augen nur als Belastung wahrgenommen, als Überforderung und nicht als Verstärkung?
    Herrmann: Sie werden nicht nur als Überforderung wahrgenommen. Aber dass wir hier schon eine starke Belastung unseres Landes haben, dass ohnehin Deutschland mehr als jedes andere Land in Europa Flüchtlinge aufnimmt, dass das gegenwärtig Milliarden kostet und dass natürlich gerade auch bei der Bundestagswahl viele Bürgerinnen und Bürger gefragt haben, wieso ist für die Flüchtlinge so viel Geld da, und wenn wir darüber reden, gibt es nicht vielleicht auch Möglichkeiten für eine höhere Rente, oder wie sieht das mit der Pflege aus, dann stoßen wir da ganz schnell an Grenzen. Das ist völlig legitim. Deshalb müssen wir das schon in der richtigen Balance halten.
    Zerback: Da wird natürlich dann eins gegen das andere aufgerechnet, was nicht immer so ganz fair ist, weil das natürlich auch unterschiedliche Töpfe sind. Können wir festhalten, Herr Herrmann, …
    Herrmann: Was heißt nicht ganz fair? Wir erleben natürlich auch jetzt wieder, auch in diesen Sondierungsverhandlungen - ich halte das für richtig, wir wollen keine Schulden machen, wir wollen auch keine Steuern erhöhen. Wir müssen doch mit dem vorhandenen Geld auskommen. Aber es ist übrigens diese Integrationsfähigkeit nicht nur eine Frage des Geldes, sondern es geht natürlich auch darum, dass wir die Identität unseres Landes bewahren wollen und dass wir von daher sehen, wir können wirklich integrieren in unserem Land, so dass diese Menschen unsere Rechtsordnung aufnehmen, so dass sie in unsere Gesellschaft integriert werden. Das geht nicht mit beliebig vielen. Und wenn in einer Schulklasse diejenigen, die neu ins Land kommen, inzwischen die Mehrheit da oder dort machen gegenüber den deutschen Kindern, wer soll denn da integrieren? Integrieren kann doch immer nur funktionieren, wenn eine kleinere Zahl von Menschen neu ins Land kommt und die dann in der Tat aufgenommen werden von denen, die da sind.
    "Richtgröße von 220.000 soll nicht überschritten werden"
    Zerback: Das ist ja Ihre Linie. Die kennen wir. Gleichzeitig, was jetzt auch bei den Sondierungen rausgekommen ist: Klipp und klar Ihre Obergrenze, wo wir schon bei Zahlen sind, die haben Sie ja dann doch nicht durchbekommen. Hat die CSU da nicht gut genug verhandelt mit Union und SPD?
    Herrmann: CDU und CSU haben vor den verschiedenen Koalitionsverhandlungen schon im Oktober festgelegt, wir gehen von einer Richtgröße von 200.000 aus, die nicht überschritten werden soll, und nun wollte sich die SPD nicht auf genau die Zahl von 200.000 festlegen, sondern es stehen jetzt eine Bandbreite von 180.000 bis 220.000 drin. Das ist etwas, wo wir in der Tat auch von Seiten der CDU und CSU gemeint haben, damit können wir jetzt auch leben, wenn wir uns darauf verständigen, die Integrationsfähigkeit darf nicht überfordert werden und diese Richtgröße soll nicht überschritten werden in der Gesamtheit derer, die als Flüchtlinge inklusive Familiennachzug nach Deutschland kommen.
    Zerback: Nun steht da aber nicht das Wort Obergrenze. Das ist vielleicht tatsächlich jetzt ein Ringen um Worte. Aber wenn Sie mal Martin Schulz fragen, der wird Ihnen sagen, nee, so fest, wie Sie das jetzt darstellen, ist diese Grenze eben nicht.
    Herrmann: Sie haben das Papier vorliegen und da steht drin, dass genau diese Zahl nicht überstiegen werden soll. Ich denke, das ist relativ klar. Aber werden, sofern die SPD insgesamt …
    Zerback: Es steht ganz genau drin, wenn wir beim Wortlaut sind, dass nicht mehr kommen werden. Da steht nicht drin, dass nicht mehr kommen sollen oder wie das verhindert werden soll.
    Herrmann: Da habe ich einen anderen Text vorliegen. Aber da können wir uns gern noch mal drüber unterhalten.
    Zerback: Können wir machen. Können wir an dieser Stelle vielleicht nicht klären. Aber feststeht, dass Martin Schulz gesagt hat, wenn mehr kommen, dann kommen halt mehr. Was gilt denn nun, auch mit Blick auf mögliche Koalitionsgespräche?
    Herrmann: Ich kann das nicht recht verstehen, was Martin Schulz da sagt. Wir wollen bestmöglich helfen, aber es ist eben das klare Ziel und dazu treffen wir ja viele Maßnahmen. Wohl gemerkt: Es geht ja nicht darum, irgendjemand vor den Kopf zu stoßen, sondern es geht darum, Fluchtursachen zum Beispiel zu bekämpfen. Das ist ja alles einvernehmlich besprochen und sehr ernst gemeint, dass wir die Entwicklungshilfe deutlich …
    "Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen"
    Zerback: Das hat jetzt erst mal nichts mit der Obergrenze zu tun.
    Herrmann: Ja, doch, weil es darum geht, wie erreichen wir denn das, dass weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Und dazu gehört, Fluchtursachen zu bekämpfen, die Entwicklungshilfe für Afrika deutlich zu verstärken, die kriminellen Schleuser und Schlepper zu bekämpfen. Das sind alles Maßnahmen, die dazu dienen, dass im Ergebnis weniger Flüchtlinge in Deutschland ankommen, und dazu gehört auch ein stärkerer Schutz der EU-Außengrenzen, eine Verstärkung von Frontex, den EU-Grenzschutztruppen. All das steht in dem Papier ganz konkret und ich habe konkret dieses Thema verhandelt mit dem Kollegen Stegner von der SPD und anderen und darüber bestand, soweit ich sehe, gerade in diesen Maßnahmen ja nun wirklich innere Überzeugung, Übereinstimmung. Ich denke, das sollte man jetzt nicht alles wieder schlechtreden. Wir wollen doch in diesem Sinne vorankommen.
    Zerback: Gerade Herr Stegner spricht da ja von Foulspiel und sagt, dass da durchaus noch versucht wurde, obwohl schon Beschlüsse gefasst wurden, da noch Sätze reinzuschmuggeln in dieses Papier. Wir haben das gerade noch mal in dem Beitrag gehört. Bleibt aber trotzdem die Frage …
    Herrmann: Zu dem Beitrag darf ich, Entschuldigung, vielleicht auch noch mal sagen: Das war wahrscheinlich ein Versprecher von dem Kollegen, der das beigetragen hat. Das wurde eingeleitet damit, dass irgendwann mal von sieben Millionen Familiennachzug die Rede war. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass in der Union jemals von Millionen geredet wurde. Vielleicht von Hunderttausend, aber bestimmt nicht von Millionen.
    Zerback: Dann fragen Sie mal Ilse Aigner. Die kann Ihnen das bestätigen, dass diese Zahl kursierte.
    Herrmann: Mir ist die nicht bekannt. Von Millionen beim Familiennachzug zu reden, da gibt es aus meiner Sicht nicht die geringste Grundlage dafür.
    Zerback: Das ist ja auch mittlerweile bewiesen, weil Zahlen gibt es dazu ja. Lassen Sie mich aber noch mal auf den Punkt hinaus, Sie haben ihn ja selber angesprochen, wie das nun erreicht werden soll, dass weniger Menschen kommen. Das, glauben Sie, können Sie tatsächlich schaffen, nur indem Fluchtursachen beseitigt werden? Das ging ja in der Vergangenheit auch nicht.
    "Uns abzuschotten, das wird nicht funktionieren in Europa"
    Herrmann: Die Maßnahmen sollen deutlich verstärkt werden. Natürlich müssen wir uns um die Situation in Afrika kümmern. Wir müssen dort den Menschen eine Zukunftsperspektive verschaffen, und das ist sehr, sehr ernst gemeint. Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen. Es wird auch keine Politik geben, nur irgendwie Grenzen hochzuziehen und uns da abzuschotten. Das wird nicht funktionieren in Europa. Wir müssen uns schon um die Probleme in Afrika kümmern. Wir müssen den jungen Menschen gerade dort eine Zukunftsperspektive verschaffen. Sonst werden so oder so diese Probleme zu uns kommen.
    Zerback: Herr Herrmann, das klingt natürlich gut. Aber genau um diese Grenzschließung - Entschuldigung, wenn ich Sie da noch mal unterbreche - geht es ja der CSU auch immer wieder, Richtung Österreich, wo das noch mal verlängert wurde. Da sagt die AfD jetzt, das ist überhaupt nicht durchzuhalten, wenn nicht auch die deutschen Grenzen geschlossen werden. Geht es dann in diese Richtung?
    Herrmann: Da bitte ich schon mal auch wieder, sorgfältig zu unterscheiden. In der Tat: Die AfD redet von Grenzschließung. Ich weiß nicht, was sie damit meinen. Ich würde nie von Grenzschließung reden, aber von Kontrolle sehr wohl. Wir müssen eine Kontrolle darüber haben, wer in unser Land kommt. Und da stelle ich auch eine ganz breite Mehrheit in unserem Volk fest und übrigens insgesamt auch eine Mehrheit quer durch die politische Parteienlandschaft. Natürlich müssen wir allein auch schon aus Sicherheitsgründen eine Kontrolle darüber haben, wer in unser Land kommt. Das ist übrigens im europäischen Recht festgelegt. Das ist Aufgabe aller EU-Mitgliedsländer, an ihren Außengrenzen für eine ordentliche Kontrolle zu sorgen. Leider ist es im Moment so, dass eine Reihe von EU-Ländern dieses nicht gewährleistet, und wir haben nun gesagt, solange das an den EU-Außengrenzen nicht gewährleistet ist, muss Deutschland seine eigenen Grenzen schützen. Genau dazu leisten wir einen Beitrag an der bayerisch-österreichischen Grenze.
    Zerback: Jetzt ist es aber so, noch mal ganz kurz zum Schluss, Herr Herrmann, dass natürlich die SPD Probleme hat, ihre Ergebnisse der Sondierung der Basis ihrer Partei zu verkaufen, gerade im Punkt Migration und Asyl. Da soll nachverhandelt werden. Sollte die CSU da vielleicht noch warten mit dem Feiern der Sondierungsergebnisse?
    Herrmann: Es geht jetzt nicht um Feiern, sondern es geht darum, dass wir einen Beitrag leisten wollen, eine stabile Regierung für die Bundesrepublik Deutschland zu leisten. Wir haben ernsthaft jetzt intensiv acht Tage lang mit der SPD verhandelt. Ich gehe davon aus, dass die SPD das auch will. Es geht darum, ob jetzt auf Grundlage dieser Sondierungsgespräche Koalitionsverhandlungen stattfinden können. Ich kann nur hoffen und wünschen, dass es der SPD-Führung gelingt. Ich glaube, es ist ein vertretbares Ergebnis. Wir haben auch der SPD eine Reihe von Zugeständnissen machen müssen, die nicht unserem ursprünglichen Wahlprogramm entsprechen, aber so ist das mal bei Kompromissen unter möglichen Koalitionspartnern. Ich hoffe sehr, dass die SPD-Führung ihrer Basis das vermitteln kann.
    Zerback: Und da müssen wir jetzt leider einen Punkt machen. Joachim Herrmann war das, der bayerische Innenminister. Die Nachrichten folgen jetzt hier. Besten Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen