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Familienstärkungsgesetz
"Für die meisten Familien ist das viel zu kompliziert"

Grigorios Aggelidis hat das neue Familienstärkungsgesetz kritisiert. Vor allem die Bürokratie mache es den Familien zu schwer, um Unterstützung zu bekommen, sagte der familienpolitischer Sprecher der FDP im Dlf. 70 Prozent der Betroffenen würden den Antrag erst gar nicht ausfüllen, da müsse man ansetzen.

Grigorios Aggelidis im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Eine Familie ist im Licht der untergehenden Sonne an der Ostsee auf der Insel Hiddensee bei Vitte (Mecklenburg-Vorpommern) unterwegs.
    Bedürftige Familien sollen durch das neue Familienstärkungsgesetz unterstützt werden (picture-alliance / dpa / Bernd Wüstneck)
    Christiane Kaess: Am Telefon ist Grigorios Aggelidis. Er ist familienpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag. Guten Abend.
    Grigorios Aggelidis:Schönen guten Abend, Frau Kaess.
    Kaess: Herr Aggelidis, Familien mit kleinen Einkommen sollen bald jeden Monat mehrere hundert Euro zusätzlich in der Tasche haben. Hat die Große Koalition hier ein gutes Gesetz auf den Weg gebracht?
    Aggelidis: Die Große Koalition hat leider kein gutes Gesetz auf den Weg gebracht, weil der große Nachteil für die Familien in den bestehenden Regelungen und im bestehenden System nicht allein die Höhe ist, sondern vor allem die Bürokratie und die Schwierigkeit, überhaupt an die Hilfen heranzukommen. Da müsste sie die Priorität setzen, nämlich dass die Hilfen am schnellsten, am einfachsten und am unbürokratischsten die Familien erreichen.
    "Für die meisten Familien ist das viel zu kompliziert"
    Kaess: Was ist Ihnen da zu bürokratisch?
    Aggelidis: Schauen Sie, wenn Sie es sich angucken: Wir reden über Anträge, die mehrere Seiten lang sind, die sehr kompliziert sind, die im gleichen Sachverhalt teilweise alle sechs Monate neu gestellt werden müssen, beispielsweise beim Kinderzuschlag. Beim Bildungs- und Teilhabepaket sind die Anträge generell ja immer nur auf Bedarf neu zu stellen. Alle Spezialisten, alle Experten sagen seit Jahren, dass dieser Vorgang viel zu kompliziert ist für die meisten Familien.
    Und vor allem: Er ist auch viel zu teuer. Wenn Sie als Beispiel nehmen das Bildungs- und Teilhabepaket: Wir reden unisono darüber, dass wir da 30 Prozent Bürokratiekosten haben. Das bedeutet im Umkehrschluss: Wenn wir über 50 Euro Erhöhung reden, dann heißt das, dass die Erhöhung 30 Prozent höher hätte ausfallen können, wenn die Bürokratiekosten nicht dabei wären. Das ist Geld, was den Familien fehlt.
    Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (2. v. r.) und Arbeitsminister Hubertus Heil (r., beide SPD) stellen im "ZukunftsHaus Wedding" in Berlin die Pläne für das "Starke-Familien-Gesetz" vor.
    Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (2. v. r.) und Arbeitsminister Hubertus Heil (r., beide SPD) stellen die Pläne für das "Starke-Familien-Gesetz" vor. (dpa / picture alliance / Bernd von Jutrczenka)
    "Digital bedeutet ja nicht einfacher"
    Kaess: Es heißt aber genau jetzt zu den Formularen, dass die einfacher geworden sind, und ab 2020 soll der Kinderzuschlag sogar auch digital zu beantragen sein. Das ist ja noch nicht mal so weit weg von den Ideen der FDP.
    Aggelidis: Die Unterlagen, die uns vorliegen, auch die Referentenentwürfe sagen: Digital bedeutet ja nicht, so wie wir das in den konkreten Vorschlägen lesen und sehen, dass es ein einfacher Antrag ist, den Sie einmal stellen und wo im Endeffekt automatisch im Zweifel, wenn keine Veränderung eintritt, eine Verlängerung ist, sondern digital bedeutet, so wie wir es bisher gesehen haben, dass die bisherigen Anträge dann im Zweifel bestenfalls digital gehen sollten im Sinne von beantragt und verschickt werden. Aber die Kompliziertheit, dass Sie alle sechs Monate die Sachen neu machen müssen, das soll bleiben.
    Kaess: Würden Sie denn das Geld für unbegrenzte Zeit vergeben wollen?
    Aggelidis: Nein! Aber wir würden es zumindest soweit automatisieren wollen, dass wir sagen: Solange die Familie, solange sich an der Situation nichts ändert, wenn ein Kind normal zur Schule geht, dann bedeutet das ja, solange es zur Schule geht, ist es so. Ich muss hier nicht alle sechs Monate das Ganze neu beantragen.
    Kaess: Aber Sie müssen wissen, ob die Eltern wesentlich mehr verdienen oder eben nicht und den Anspruch auf die Leistungen noch haben.
    Aggelidis: Genau deswegen ist ja auch der Punkt, dass wir im Endeffekt sagen, solange sich nichts ändert. Das können Sie ja in Form einer entsprechenden Bestätigung machen. Das funktioniert ja.
    "Der Arbeitende, darf dafür nicht bestraft werden"
    Kaess: Das war jetzt Ihre Kritik an der Bürokratie. Dann schauen wir doch mal auf das Geld selber und auf die Höhe des Geldes. Die einschneidende Änderung ist ja beim Kinderzuschlag. Da war es bisher so, dass der wegfiel, wenn die Eltern mehr verdient haben oder eine bestimmte Höhe erreicht hatten. Jetzt soll das geändert werden, das soll nur noch anteilig verrechnet werden.
    Und auch bei den Alleinerziehenden werden zum Beispiel Unterhaltszahlungen nur noch anteilig mit dem Kinderzuschlag verrechnet. Hat die Regierung hier etwas grundlegend verändert, was überfällig war?
    Aggelidis: Ja, das war überfällig. Sie haben absolut recht. Das ist auch einer der Punkte, den wir begrüßen, weil das schon vor dem Wahlkampf unsere Forderung war und erst recht, seitdem wir im Bundestag sind, dass diese harte Abbruchkante abgeschafft wird, dass derjenige, der auch arbeitet, dafür belohnt und nicht bestraft wird.
    Wir haben auch entsprechend beantragt, dass gerade wenn Jugendliche entsprechend Gelder dazuverdienen, sich dazu jobben, dass auch das entsprechend honoriert und berücksichtigt wird. Das sind die positiven Aspekte - das muss man sagen - im Gesetz. Es gibt durchaus auch einzelne positive Aspekte, die wir auch so sehen und begrüßen, weil das auch unsere Forderungen waren.
    Grigorios Aggelidis (FDP), spricht bei der 38. Sitzung des Bundestages im Reichstagsgebäude. Foto: Sina Schuldt/dpa | Verwendung weltweit
    Grigorios Aggelidis, familienpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag. (dpa)
    "70 Prozent der Betroffenen stellen den Antrag nicht"
    Kaess: Sie sind aber nach wie vor trotzdem sehr skeptisch, dass der Kinderzuschlag dort ankommt, wo er ankommen sollte. Jetzt ist es aber so, dass mit dem neuen Gesetz auch die Familien, die ihn bekommen, keine Kita-Gebühren mehr zahlen müssen. Da ist ein weiterer Grund gegeben worden, den tatsächlich zu beantragen. Das reicht Ihnen nicht?
    Aggelidis: Es geht uns ja nicht um den Grund, sondern es geht uns hier eher darum, …
    Kaess: Die Motivation, den Kinderzuschlag zu beantragen.
    Aggelidis: Ja!
    Kaess: Sie zweifeln ja daran, dass das tatsächlich passiert.
    Aggelidis: Wir stellen fest, dass aktuell aufgrund der Systematik, so wie sie bisher läuft, und auch aufgrund der Systematik, so wie sie sich abzeichnet, wir die Nicht-Inanspruchnahme durch 70 Prozent der Betroffenen nicht signifikant erhöht sehen. Das ist das, was wir kritisieren.
    Unserer Ansicht nach müsste der Hauptaspekt darin liegen, dass wir sagen, erstens müssen wir dafür sorgen, dass die 70 Prozent, die ihn nicht beantragen, auch wirklich so gestellt werden, das Ganze so übersichtlich und unbürokratisch ist, dass sie ihn beantragen und bekommen. Das ist der erste Aspekt.
    Der zweite Aspekt der Priorität wäre, die Abbruchkanten abzuschaffen, diese Bestrafung für Leute, die sich engagieren und hinzuverdienen. Und der dritte Aspekt - lassen Sie mich das sagen, weil das ist auch beim einstimmig in unserer Fraktion beschlossenen Kinderchancengeld sehr deutlich geworden - ist aus unserer Sicht das Chancenpaket, was sehr stark Richtung der Chancen für die Kinder im Bereich Bildung und Teilhabe geht.
    Da müsste aus unserer Sicht ein ganz, ganz großer Schwerpunkt liegen in Zukunft. Das wären die drei Prioritäten, die wir in der Reihenfolge sehen würden im ersten Punkt, und da sehen wir leider von diesen Aspekten zu wenig.
    Kaess: Es gibt ja auch Kritik von Verbänden an dem neuen Gesetz. Die fordern aber noch mal ganz was anderes, nämlich eine Kindergrundsicherung. Wäre das nicht der schnellste und effizienteste Weg?
    Aggelidis: Die Hinweise, die wir bekommen haben von vielen, vielen Experten, sind, dass die Gedanken, die wir uns gemacht haben mit dem Kinderchancengeld, in die richtige Richtung gehen.
    Das bedeutet, den Familien einmal den Zugang zu den bestehenden Hilfen zu erleichtern, dass sie die bekommen, und zweitens sehr stark Wert auf den Ausbau von Chancen eröffnen für Kinder zu legen. Das ist eigentlich unsere Stoßrichtung und das wäre aus unserer Sicht das zielgerichtetste und auch das wirkungsvollste.
    Kaess: … sagt Grigorios Aggelidis. Er ist familienpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag. Herr Aggelidis, danke für das Gespräch.
    Aggelidis: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.