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Fatima Farheen Mirza: "Worauf wir hoffen"
Kein Ort für uns

Vom Scheitern beim ersten Rechtschreibtest führt ein direkter Weg über Zigaretten und Alkohol bis zur Sünde aller Sünden. Fatima Farheen Mirza erzählt in ihrem Familienroman von muslimisch-indischen Migranten der ersten und zweiten Generation in den USA. Und von ihrer Sehnsucht nach Zugehörigkeit.

Von Mithu Sanyal | 27.02.2019
Buchcover: Fatima Farheen Mirza: „Worauf wir hoffen“
Die Einwanderer in Fatima Farheen Mirzas Roman hoffen auf einen Ort, an dem sie sein dürfen, wie sie sind, und trotzdem geliebt werden (Buchcover: Deutscher Taschenbuch Verlag, Foto: dtv/Jürgen Frank)
Amar ist der verlorene Sohn, der nach drei Jahren Abwesenheit zurückkehrt, nur nicht zu einer jüdischen Familie wie in der Bibel, sondern zu einer muslimischen Familie in Amerika, genauer gesagt zur Hochzeit seiner ältesten Schwester Hadia:
"Dort, inmitten der leuchtenden Frauenkleider, dachte Amar, dass es vielleicht doch richtig gewesen war zu kommen. Er würde sie alle überzeugen – er vermochte sogar sich selbst zu überzeugen, dass er hierher gehörte und es die natürlichste Sache der Welt war, heute Abend seine Rolle als Bruder der Braut zu übernehmen."
Sehnsucht nach Zugehörigkeit
Nur ist bei einem solchen Anfang das einzig Natürliche, dass dieser Versuch scheitern wird, scheitern muss. In Fatima Farheen Mirzas Roman ist die Sehnsucht nach Zugehörigkeit das zentrale Thema. Amar ist der klassische Bad Boy, der James Dean des Buches, der nicht weiß, was er tut. Während seine Schwestern Hadia und Huda fleißig in der Schule lernen und sich an alle Sitten und Vorschriften der kleinen indischen Gemeinde in Kalifornien halten, strauchelt er bei der ersten Hürde, respektive dem ersten Rechtschreibtest. Von dort ist es nur ein kleiner Schritt zu Zigaretten und Alkohol und dazu - die Sünde aller Sünden -, sich heimlich mit einer Person des anderen Geschlechts zu treffen.
",Amar', sagt sie und die Regentropfen bilden Ringe in der Pfütze.
,Ich kann meinen Eltern das nicht länger antun.'
,Und ich? Bin ich niemand?'
,Du verlangst von mir, dass ich allen, die ich liebe, den Rücken kehre.'
,Ich würde das umgekehrt sofort für dich tun.'
,Dir ist es egal, wie sich dein Handeln auf andere auswirkt.'"
Angst vor den Nachbarn
"Worauf wir hoffen" ist ein Gegenwartsroman, der im Post-9/11-Amerika spielt, im Einreiseverbot-für-Muslime-Amerika. Amars Schwestern Hadia und Huda tragen kein Kopftuch, nicht aus Widerstand gegen ihre Religion, sondern aus Angst vor den Nachbarn. Amar wird von Mitschülern zusammengeschlagen, weil er "aussieht wie ein Terrorist", unter den Angreifern ist sein bester Freund. Die Botschaft des Buches, dass Amar der Einzige ist, der sich fehl am Platz fühlt, ist absurd. Ebenso wie die Vorstellung, dass keiner der anderen Jugendlichen in der Moscheegemeinde gegen die strengen Regeln der Elterngeneration aufbegehrt: keine Widerworte, keine Freunde außerhalb der Familie, keine anderen Berufswünsche außer Arzt oder Ärztin.
So klischeehaft die Geschichte auch sein mag, die Figuren sind es nicht. Fatima Farheen Mirza begann den Roman, als sie 18 war, und schrieb beinahe ein Jahrzehnt lang daran. Zehn Jahre, die sie in intimstem Kontakt mit ihren Charakteren verbrachte und sie stets fragte: Was ist die Story für dich?
"Amira zu lieben bedeutete nicht nur eine junge Frau zu lieben, es bedeutete eine ganze Welt zu lieben. Wenn er mit ihr zusammen wäre, könnte er Muslim sein."
Die Handlung, die mit Hadias Hochzeit beginnt, springt - bevor das letzte Foto geschossen ist - zurück in die Vergangenheit und erzählt zentrale Momente der Familiengeschichte aus Sicht der einzelnen Mitglieder, allerdings nicht linear, sondern wie Stofffetzen, die aus einem Korb gezogen werden, und irgendwo am Ende dieses Patchworks liegt das Ende der Hochzeit, das nicht harmonisch verlaufen kann.
Übersetzung wird dem Original nicht gerecht
Mirza navigiert virtuos durch diese wüsten Sprünge, Sie schafft es, nur mit einem einzigen Wort oder einem Nebensatz stets klar zu machen, wo man sich in der Zeit befindet. All das in einer Sprache, die schlicht ist, aber niemals simpel. Genau das gelingt der Übersetzung jedoch nicht. Dort, wo das Original Reibung entwickelt, schleift Sabine Hübner die Kanten ab. Was übrig bleibt, ist das Gerüst, nicht aber der Geschmack der Geschichte. So reflektiert Hadia während ihrer Hochzeit, dass sie als Kind das Spiegelritual, bei dem Braut und Bräutigam unter einem roten Tuch sitzen, zwischen ihnen ein Spiegel, am meisten liebte. Es erschien ihr als das bizarrste und deshalb das magischste Ritual. In der Übersetzung wird daraus:
"Als Kind war dies Hadias liebstes Hochzeitsritual, denn es hatte Magie."
Diese Magie erhält es jedoch nur durch seine Befremdlichkeit, dadurch, dass seine Bedeutung in Laufe der Generationen verloren gegangen ist:
"Dieses Ritual stammte aus einer Zeit, wo Brautleute vor der Trauung noch kein einziges Mal das Gesicht des anderen erblickt hatten. So hatten ihre Großeltern einander zum ersten Mal gesehen. Bei Hadias Heirat war das Spiegelritual nur noch eine Programmbeilage."
Sie wollen sein dürfen, wie sie sind
Ganze Sätze und sogar Absätze wie zum Beispiel der, dass Amira zu lieben für Amar bedeute eine Welt lieben, fallen auf Deutsch unter den Tisch. Doch die größte Übersetzungssünde ist der Titel: "Worauf wir hoffen" ist so universell, dass es eine Floskel ist. Das Original "A place for us" – Ein Ort für uns - dagegen legt den Finger in die offene Wunde des Buches, in dem alle Figuren einen Ort suchen, an dem sie sein dürfen, wie sie sind, und trotzdem geliebt werden. Als Amar vier Jahre alt ist, wünscht er sich, mit den Eltern Rafik und Laila und den Schwestern ein Picknick zu machen:
"Und Rafik erwiderte, ja, warum nicht.- Laila lächelte, ganz überrascht, wie spontan ihr Mann sein konnte, und bot sogleich an, für die Verköstigung zu sorgen. Hadia sagte: Mandarinen. Huda sagte: Limonade. Amar sagte: Fluss. Schauen wir mal, meinte Rafik, vielleicht weiß ich einen Platz für uns."
A place for us. Dies ist die einzige Szene, in der sie zusammen als Familie glücklich sind. Einen Nachmittag lang am Fluss. Später wird Amar Wälder und Landkarten nach diesem Ort absuchen. Und noch später wird er mit seiner großen Liebe Amira dorthin kommen. Doch noch immer ist dieser Platz ein Konjunktiv, ein Vielleicht, denn bei ihren Treffen dürfen Amir und Amira von niemandem gesehen werden. "Worauf wir hoffen" ist so bewegend, dass es unmöglich ist, den Roman trockenen Auges zu lesen, während man gleichzeitig immer wieder denkt: Jetzt werd' doch mal erwachsen - und nicht weiß, ob man damit Amar meint oder Fatima Farheen Mirza.
Es ist der Roman einer brillanten, jungen Autorin, mit allen Charakteristika der Jugend, die sich Altern als ewige Ausdehnung des Ist-Zustands vorstellt und Verletzungen als absolut wahrnimmt. Diese überlebensgroßen Gefühle sind wunderbar bei den Schilderungen intensiver Szenen. Allerdings nicht ganz so geeignet, die Handlung zu erklären, die sich über Jahrzehnte erstreckt, in denen es mannigfaltige Gelegenheiten zur Reflexion gäbe und zur Relativierung. Jahre, in denen die Figuren lernen könnten, ihre Eltern und Geschwister für das zu lieben, was sie sind, und ihnen zu verzeihen, was sie nicht können. Denn es fehlt diesem Roman wie dieser Familie nicht an Liebe. Eine nahezu übergroße Liebe, die alle Charaktere für ihre Religion, füreinander und vor allem für Amar empfinden. Diese Liebe ist beinahe schmerzhaft. Falsch: Sie ist schmerzhaft.
Nur Huda, die mittlere Schwester, blickt ohne narzisstische Überhöhung auf ihre Lieben. Bezeichnenderweise ist sie das einzige Familienmitglied, aus dessen Perspektive wir die Geschichte nicht geschildert bekommen. Wahrscheinlich, weil sie von ihr deutlich nüchterner ausfallen würde.
"Huda führte ihn sanft am Arm zum Parkplatz.
,Hättest du mit dem Streiten nicht noch warten können, bis der Hochzeitsabend vorbei ist, wo du schon so lange gewartet hast.'
,Seit wann bist du so clever?’, fragte er Huda.
,War ich schon immer.'
Es schien fast so, als wären er und Huda Freunde, als könnten sie Freunde sein.
,Wenn du an der Reihe bist zu heiraten, wirst du mich dann auch anrufen?'
,Warum bleibst du nicht einfach? Dann muss ich dich nicht anrufen.'"
Fatima Farheen Mirza: "Worauf wir hoffen"
aus dem amerikanischen Englisch von Sabine Hübner
Deutscher Taschenbuch Verlag, München. 480 Seiten, 24 Euro.