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"Fay" von Larry Brown
Road trip ins Verderben

Flirrende Hitze, staubige Highways, weite Felder: Die Südstaaten der USA in den 80er Jahren. Das Leben ist hart, die junge Fay will raus aus Armut und Elend. Auf ihrem Weg begegnet sie zwei Männern, die ihr zum Verhängnis werden. Larry Brown erzählt in rauen Bildern von der Sehnsucht nach einem besseren Leben.

Von Kirsten Reimers |
    Cover Larry Brown: "Fay"
    Weites Land, hartes Leben: Larry Browns Figuren stammen aus einfachsten Verhältnissen (Heyne Verlag / dpa / Combo: Deutschlandradio)
    Es ist ein Bild von großer Eindringlichkeit: Durch die flirrend heiße Mittagshitze geht die 17-jährige Fay einen staubigen Highway entlang, im Hintergrund zieht ein Mähdrescher seine Bahnen auf einem schier unendlich wirkenden Feld.
    "Inzwischen war sie ziemlich durstig, das Gras war mit Styroporbechern, Aluminiumdosen und Reifenfetzen übersäht. Sie ging um ein zerquetschtes Gürteltier mit geborstenem Panzer und behaarten Beinen herum, dessen Zehen gespreizt auf den Steinen neben der Straße ruhten. Zur Rechten sah sie ein paar Schimmel, die um einen Trog versammelt standen und daraus tranken."
    Flucht vor Elend und Verwahrlosung
    Fay ist, was man als "white trash" bezeichnet, aufgewachsen in bitterer Armut als Kind von Landarbeitern, die von Job zu Job ziehen. Auch Fay und ihre Geschwister mussten mit anpacken, der Vater ist Alkoholiker, die Mutter verrückt, der jüngste Bruder wurde gegen einen Pick-up eingetauscht. Fay flieht vor Verwahrlosung und Elend und zieht aus in eine Welt, die ihr vollkommen fremd ist. Sie kann mit ihren 17 Jahren kaum lesen und schreiben, war noch nie im Kino, hat keine Ahnung, was ein Strip-Club oder Prostitution ist oder dass Jugendliche kein Bier kaufen dürfen. Ihr Ziel ist das Meer, auch wenn sie es noch nie gesehen hat:
    "Süden schien ihr die beste Lösung zu sein. Sie hatte eine vage Vorstellung von der Küste. Dort würde es im Winter wärmer sein, hauptsächlich das trieb sie in diese Richtung. Sie stellte sich Zitronenhaine vor, sonnige Tage, an denen sie Obst pflückte, ein kleines Häuschen, in dem sie ihr eigenes Essen hatte und fernsehen konnte, wann immer sie wollte."
    Fay ist zwar unwissend, aber nicht naiv. Und sie lernt schnell – es bleibt ihr auch wenig anderes übrig. Nachdem sie nur knapp einer Vergewaltigung entgangen ist, wird sie am Rand des Highways vom State Trooper Sam aufgelesen. Für ihn und seine Frau Amy wird Fay eine Weile lang eine Art Ersatztochter sein. Sie lernt lesen und schreiben, erfährt erstmals etwas über US-amerikanische Geschichte, sieht Tierdokumentationen und Zeichentrickfilme im Fernsehen. Nach Amys Tod beginnt Fay eine Liebesbeziehung mit Sam und wird schwanger. Für einen Moment scheint es, als könne die junge Frau in ein abgesichertes Leben eintauchen. Doch das Schicksal will es anders, und bald ist Fay wieder auf der Flucht, weiter Richtung Süden, Richtung Meer. Ihr Sehnsuchtsort heißt Biloxi, ein abgehalfterter Badeort im Süden des Bundesstaates Mississippi.
    Unausweichliche Tragödie
    Dort angekommen begegnet sie Aaron, der als Rauswerfer in einem Striplokal arbeitet. Eine Zeit lang kommt sie bei ihm unter. Sie schläft mit ihm, um eine Bleibe zu haben, aber auch, weil sie es will. Doch dieser Mann, der zunächst so fürsorglich, freundlich und beschützend wirkt, entpuppt sich als emotional instabiler Drogendealer und Mörder. Fay beschließt, ihn zu verlassen und zu Sam zurückzukehren – doch was als Hoffnung beginnt, endet in einer Tragödie. Zu sehr sind die beiden Männer, der Polizist und der Verbrecher, dieser jungen schönen Frau verfallen, die sich selbst ihrer Wirkung auf das andere Geschlecht kaum bewusst ist, ihren Körper aber dennoch einzusetzen weiß, um zu erreichen, was sie will.
    Für Männer ist Fay eine Projektionsfläche für ihre Sehnsüchte. Was ihnen dabei jedoch entgeht, ist die innere Stärke der jungen Frau. Sie mag ungebildet sein, doch sie weiß genau, was sie nicht mit sich machen lässt, wo ihre Grenze ist. Und sie kann sich wehren. Sie scheut sich nicht, verbale oder körperliche Gewalt gegen Männer wie Frauen einzusetzen, um sich zu verteidigen.
    "'Dann fick dich doch', hörte Fay ihn murmeln. Sie blieb stehen. Er blickte sie ängstlich an. Sie kehrte zu ihm zurück.
    'Mich ficken? Hast du das gesagt? Wie wär's, wenn du dich selber fickst, du dürrer Scheißkerl?' Sie trat ihm Sand ins Gesicht, und er prustete und verschüttete sein Bier. Arschloch."
    Befleckte Schönheit
    Larry Brown beschreibt Fays Suche nach einem besseren Leben in klaren, schlichten Worten. Dadurch gelingen ihm Bilder von großer Prägnanz und Eindringlichkeit. Er schildert das Leben der einfachen Menschen im Süden der USA in den 80er Jahren mit viel Licht und noch mehr Schatten – das Schöne ist immer auch zerrissen und befleckt, während auch im Hässlichen immer wieder Hoffnung aufscheint. Ebenso ist es mit den Menschen: Niemand ist einfach gut oder böse, jeder hat unterschiedliche, auch widersprüchliche Facetten.
    Fünf Romane und unzählige Kurzgeschichten hat Larry Brown veröffentlicht, zumeist über das tagtägliche Leben einfacher Menschen zwischen harter Arbeit und zu viel Alkohol, stets mit genauem Blick für die scheinbar banalen Dinge des Alltags. Brown stammte wie seine Figuren aus sehr einfachen Verhältnissen, eine Laufbahn als Schriftsteller war ihm nicht vorgezeichnet, er musste sie sich hart erarbeiten.
    Zwischen Ewigkeit und Augenblick
    Im Nachwort zu "Fay" schreibt Alf Mayer, dass Larry Brown körperliche Arbeit wichtig war: "Auf vielen Autorenfotos von ihm stehen im Hintergrund landwirtschaftliche Maschinen", so Mayer. Dies spiegelt sich auch im Roman selbst wieder: Immer wieder ziehen am Horizont John-Deere-Traktoren ihre Kreise; Landwirtschaft, Viehzucht und Fischfang bilden ein stetes Hintergrundrauschen – als wollte alles sagen: Das Bestellen der Felder, der Kampf des Menschen mit der Natur, um ihr seine Existenz abzutrotzen, währt für die Ewigkeit. Die kleinen emotionalen Dramen hingegen sind nur von kurzer Dauer. Doch auch sie kehren immer wieder und gehören zum Kreislauf des Lebens dazu. Ein kleines Detail im Ewigen.
    Larry Brown: "Fay"
    Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Thomas Gunkel
    Heyne Verlag München, 652 Seiten, geb. 22,99 Euro