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FDP-Gesundheitspolitiker Ullmann
"Wir haben zu wenig infektionsmedizinisch qualifizierte Ärzte"

Der FDP-Politiker und Arzt Andrew Ullmann hat angesichts der Ausbreitung des Coronavirus auf einen Mangel an infektionsmedizinischer Kompetenz in Deutschland hingewiesen. Mit Blick auf zukünftige Epidemien müsse ein Facharzt für Infektiologie eingeführt werden, sagte Ullmann im Dlf.

Andrew Ullmann im Gespräch mit Dirk Müller | 27.02.2020
Der FDP-Politiker und Mediziner Andrew Ullmann spricht im Bundestag
Der FDP-Politiker und Mediziner Andrew Ullmann (picture alliance/ dpa/ Fabian Sommer)
Das Coronavirus verbreitet sich. In China stehen Mega-Städte unter Quarantäne. In Norditalien regeln Soldaten und Polizisten ganze Ortschaften ab. Die österreichischen Behörden wollen am Brenner stärker Einreisende kontrollieren. Und was passiert in Deutschland? Die neuen Corona-Fälle zeigen: Schulen, Kitas und Verwaltungen in den betroffenen Regionen könnten länger geschlossen bleiben. Das THW bereitet Hilfsmaßnahmen vor. Die Krankenhäuser sind in erhöhter Aufnahmebereitschaft. Denn bei den aktuellen Fällen in Deutschland wird es nicht bleiben - das ist für die Experten und Beobachter keine Frage. Dazu Fragen an Professor Andrew Ullmann, Obmann der FDP im Gesundheitsausschuss des Bundestages. Er ist auch Facharzt für innere Medizin, auch für Infektiologie.
Dirk Müller: Herr Ullmann, wie schlimm ist es?
Andrew Ullmann: Wir haben noch eine Situation in Deutschland, wo wir eigentlich doch beruhigt schlafen gehen können. Aber nichtsdestotrotz: Wenn man die Ausbreitung in China sich anschaut und auch vor allem jetzt in Norditalien - das kann auch in Deutschland natürlich passieren.
"Die Maßnahmen sind adäquat"
Müller: Warum schlafen Sie dann noch beruhigt?
Ullmann: Weil die Zahlen noch sehr niedrig sind, die bisher nachgewiesenen Fälle von Corona-Virus. Ich bin auch insofern beruhigt, als über 80 Prozent der Fälle milde verlaufen oder asymptomatisch verlaufen. Schwieriger ist es natürlich, diese 20 Prozent zu identifizieren und natürlich auch zu behandeln.
Müller: Sind Sie da optimistisch, dass dieser Verbreitungsfaktor, der Verbreitungs-Koeffizient – Stichwort "Karneval" -, dass der sich kontrollieren lässt, dass der nicht ausufert?
Ullmann: Ich denke, die Maßnahmen, die jetzt getroffen sind, sind adäquat in Deutschland. Insofern, weil bei einer Erzieherin der Corona-Virus nachgewiesen wurde und in Heinsberg dann die Kindergärten entsprechend geschlossen worden sind und die Kinder möglicherweise infiziert worden sind. Das weiß man natürlich bis dato nicht, weil die Inkubationszeit 14 Tage dauert. Wir versuchen, diese Infektion in unserem Land zu verlangsamen. Verhindern werden wir es nicht, wir haben ja schon die ersten Fälle, und da müssen wir mehr Aufmerksamkeit hinstellen. Aber man muss auch sicherlich berücksichtigen, dass diese Zahlen sich noch weiter steigern werden. Und wir können eventuell schon mehr Fälle haben, die wir noch nicht identifiziert haben, weil wir zeitgleich auch die Grippesaison haben, und die Symptome sind ja sehr ähnlich.
"Dann kann es schnell eng werden in den Krankenhäusern"
Müller: Was können wir tun gegen diese Symptome beziehungsweise wenn diese Symptome auftauchen? Da wird immer wieder diskutiert - erst einmal stillhalten, nicht bei jedem Husten zum Arzt gehen. Woher soll ich als Betroffener, als Erkrankter, wie auch immer, wissen, ob es jetzt Zeit ist aufzubrechen?
Ullmann: Zunächst einmal wäre es fatal, wenn man Husten, Gliederschmerzen, Fieber hat, erstens zur Arbeit zu gehen. Zweitens wäre es auch fatal, wenn man jetzt die Notaufnahmen der Krankenhäuser damit belästigt, mit dieser Symptomatik, um abgeklärt zu werden, oder auch in die Arztpraxis zu fahren. Da lohnt es sich durchaus, zunächst einmal mit seinem Hausarzt zu telefonieren und abzuklären, ob da weitere Untersuchungen stattfinden müssen. Wir wissen nämlich, dass die Patienten, die verstorben sind am Coronavirus, die Patienten sind, die bereits höheres Risiko haben, auch an Grippe zu versterben. Das heißt, ältere Menschen, Menschen mit chronischen Krankheiten, Menschen, die auch immungeschwächt sind, zum Beispiel durch Transplantation oder Krebstherapien. Diese Menschen müssen achtsam sein und Menschenmengen auch vermeiden. Das sind die allgemeinen Empfehlungen, die bereits heute ausgesprochen werden, unabhängig von der Coronavirus-Situation.
Müller: Jetzt sagen ja viele Ärzte: Wir sind grundsätzlich vorbereitet, wir sind uns der Situation bewusst. Ich glaube, das steht auch außer Frage. Aber die Krankenhäuser beispielsweise, sie haben viel zu wenig Betten auf den Intensivstationen. Welche Erfahrungen haben Sie da gemacht?
Ullmann: Das kann ich auch nur bestätigen. Wenn wir eine Grippewelle haben mit vermehrten Beatmungspatienten, wird es natürlich sehr schnell eng auf den Intensivstationen, denn wir haben bereits heute eine sehr hohe Belegzahl in den Krankenhäusern. Wenn wir jetzt on top noch eine weitere Epidemie haben, mit Infektionskrankheiten, mit Beatmungspatienten, dann kann es relativ schnell eng werden in den Krankenhäusern.
"Der Infektiologe fehlt"
Müller: Dann war das ein Fehler, da zu sparen und nicht vorzuhalten?
Ullmann: Ich denke, es ist da weniger gespart worden, sondern wir haben insgesamt ein Problem der Krankenhausstrukturen in Deutschland. Das würde sicher das Interview jetzt hier deutlich verlängern. Es bedarf einer schnellen Strukturreform in Deutschland mit den Krankenhäusern, die sich dann spezialisieren. Aber wir haben auch einen Mangel an infektionsmedizinischer Kompetenz, der dadurch zum Ausdruck kommt, dass wir den Facharzt für Infektiologie beispielsweise gar nicht haben in Deutschland. Das wäre eine wichtige Forderung, die wir auch für zukünftige Epidemien einsetzen müssen.
Müller: Zu wenig qualifizierte Ärzte in dem Bereich?
Ullmann: Zu wenig infektionsmedizinisch qualifizierte Ärzte. Wir haben gute Mikrobiologen. Wir haben gute Virologen. Wir haben gute Hygieniker. Aber der Infektiologe fehlt.
Müller: Wir hören vielleicht noch einmal Christian Drosten, der vor zwei Wochen uns hier im Deutschlandfunk ein Interview gegeben hat. Er ist der Chefvirologe der Berliner Charité.
O-Ton Christian Drosten: "Die Gesundheitsämter sind schlecht ausgestattet in ganz Deutschland. Die haben wenig Personal. Die müssen aber das Meldewesen organisieren. Und das andere, was ich für ein eigentlich noch größeres Problem halte, das sind die Krankenhäuser. Alleine in den vergangenen zehn Jahren wurden so viele Reserven aus dem Gesundheitssystem herausgespart, die uns jetzt fehlen werden in einer Pandemie. In einer Pandemie braucht das ganze Gesundheitssystem seine Reserven, um den Anstrom von Patienten zu organisieren."
"Wir sparen manchmal an den falschen Stellen"
Müller: Er sagt, mit dem Sparen, das war schon ein großer Fehler.
Ullmann: Ja! Wir sparen manchmal an sehr falschen Stellen im Gesundheitswesen. Wir erleben es ja letztendlich. Wir geben sehr viel Geld aus im Gesundheitswesen, über eine Milliarde Euro am Tag, aber wir erkennen tagtäglich, dass wir auch Fehlverteilungen haben. Wir haben in Ballungszentren eine Überversorgung, wir haben in ländlichen Regionen eine Unterversorgung. Hinzu kommt, dass wir auch sehr viele stationäre Betten haben, ohne dass wir Spezialisierungen haben in den Krankenhäusern. Denn nicht jedes Krankenhaus kann jedes Krankheitsbild, jetzt unabhängig von Corona, auch behandeln. Das ist eine Diskussion, die wir nach dieser Epidemie von Corona noch mal anstoßen müssen.
Müller: Gesundheitsämter, Herr Ullmann. Das hat Herr Drosten ja auch angesprochen. Für viele jetzt überraschend: Die Gesundheitsämter haben auch nicht genügend Kapazitäten, Personal, wie auch immer im Falle einer Pandemie. Einige behaupten ja, dass wir diese Pandemie bereits haben. Viele wollen es nur nicht aussprechen, oder die Politik will es noch nicht aussprechen. Können Sie das auch bestätigen, Gesundheitsämter sind ein Problem, weil dort dementsprechend das Leistungspotenzial fehlt?
Ullmann: Ich denke, Gesundheitsämter sind per se erst mal kein Problem, sondern die Personalsituation ist sicherlich ein Problem in den Gesundheitsämtern. Da ist in den letzten Jahren sehr viel gespart worden. Wir hatten ja erst vor einigen Monaten die Diskussion im Bundestag gehabt bezüglich Impfungen, wo man gesagt hat, am liebsten würden wir sehen, dass niederschwellige Impfungen angeboten werden durch Gesundheitsämter. Aber diese Reserve fehlt auch, diese Versorgung mit zu übernehmen. Ich denke, da bedarf es eines Umdenkens. Das ist nicht nur unbedingt auf Bundesebene, sondern auch auf Landesebene.
"Wir wissen nicht, wer infiziert ist"
Müller: Dann reden wir noch mal konkret über die Fälle, die bisher aufgetreten sind. In Baden-Württemberg, in Nordrhein-Westfalen, auch in Rheinland-Pfalz, je nach regionaler Zählweise. Da gibt es jetzt Forderungen danach, beispielsweise Kitas, die geschlossen bleiben, Schulen, die geschlossen werden, Verwaltungsteile, Behörden, die geschlossen werden. Wie restriktiv müssen die Behörden vor Ort vorgehen, wenn es mehrere Fälle konzentriert gibt? Gibt es eine Alternative zu dieser viel diskutierten Quarantäne?
Ullmann: Das Problem ist letztendlich, dass wir nicht wissen, wer infiziert ist, weil es durchaus asymptomatische Menschen oder wenig symptomatische Menschen gibt, die unterwegs sind und ansteckend sind. Die restriktiven Maßnahmen, die ergriffen worden sind, die ich jetzt selber nur übersehen konnte durch die Presse, sind letztendlich Menschen, die in diesen Bereichen gearbeitet haben. Und deswegen sind dann diese Behörden oder Kitas geschlossen worden, damit nicht weitere angesteckt werden beziehungsweise auch Menschen, die vielleicht schon angesteckt sind, nicht weiter andere Menschen anstecken. Das ist einfach eine Maßnahme, die getroffen wird, um die Ausbreitung von Corona zu verlangsamen. Ich glaube nicht, dass wir mit diesen Maßnahmen die Corona-Virusinfektion, diese Ausbreitung auch weiter verhindern können.
Müller: Aber sie müssen sein?
Ullmann: Sie müssen in einem vernünftigen Maße sein.
Müller: Quarantäne, ist das unvernünftig?
Ullmann: Quarantäne ist in dem Moment eine vernünftige Maßnahme, wenn größere Bevölkerungsstrukturen gefährdet werden. Dann ist auch eine Quarantänemaßnahme sinnvoll. Irritierend finde ich aber dann Maßnahmen wie neulich in Österreich, wo ein Zug angehalten wird, weil ein Verdachtsfall entstanden ist. Dann frage ich mich natürlich, wie ist so ein Verdachtsfall entstanden. Haben die Mitreisenden den Verdacht geäußert, oder hat der Zugschaffner einen Verdacht geäußert. Dann entsteht so eine Art Panikmache und ich denke, da müssen wir auch sehr zurückhaltend sein.
Müller: Das geht Ihnen zu weit?
Ullmann: Das geht zu weit.
"Wir machen auch bei Grippe keine Quarantänemaßnahmen"
Müller: Sie sagen, Herr Ullmann, Quarantäne dann, wenn es notwendig ist in größerem Rahmen. Wo fängt bei Ihnen der größere Rahmen an? Wie viele Infizierte in einer Ortschaft, in einem Dorf, in einer Stadt sind das?
Ullmann: Ich denke, das kann man nicht unbedingt mit einer Zahl festlegen, sondern man muss auch wissen, wie aggressiv so eine Virusinfektion ist. Wir haben bis dato in unserem Land noch keinen Todesfall. Wir haben im Übrigen in Deutschland mehr Todesfälle durch Grippe und mehr Fälle mit Grippe, und da machen wir jetzt auch keine unmittelbaren Quarantänemaßnahmen. Deswegen ist es auch sehr schwer, das in einer Zahl festzulegen. Das muss man immer örtlich schauen, wie da die Betroffenheit aussieht. Wenn beispielsweise eine Stadt betroffen ist und, ich sage jetzt mal ganz willkürlich eine Zahl, 30 Prozent der Bevölkerung infiziert ist, dann macht es durchaus Sinn, entsprechende Quarantänemaßnahmen zu ergreifen. Wobei wir sind ja noch in der Lernkurve dieser Infektion. Die Daten am Anfang aus China beispielsweise waren ja sehr intransparent. Da wurden nur Zahlen übermittelt und wir wussten erst gar nicht, wer stirbt denn an dieser Infektion. Sind es junge Menschen, wie wir das von der Spanischen Grippe kennen, oder sind es die älteren und chronisch kranken Menschen, wie wir es von der Grippe per se schon heute kennen. Da deutet einiges aufs Letztere hin und da müssen die Einzelmaßnahmen ergriffen werden, und dann ist auch durchaus sinnvoll eine Quarantäne daheim. Dann bleiben die Leute zu Hause.
Müller: Sie haben 30 Prozent gesagt. Wenn ich das jetzt mal auf Köln beziehe, Standort des Deutschlandfunks, eine Million Einwohner, dann haben wir 300.000. Das ist eine Zahl, die unfassbar ist. Die Chinesen würden da früher vorgehen, um ganz restriktiv zu sein.
Ullmann: Die Chinesen haben auch andere politische Probleme und die müssen zeigen, dass sie noch hyperaktiv sind. In Deutschland wird es einfach so sein: Wenn jetzt 30 Prozent infiziert sind und davon, sage ich mal, 99 Prozent relativ asymptomatisch sind, muss man natürlich dann keine Quarantänemaßnahmen ergreifen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.