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FDP-Politiker Solms
"Die SPD ist mehr in der Verantwortung als wir"

Der FDP-Politiker Hermann-Otto Solms hat die Absage der FDP an eine Jamaika-Koalition verteidigt. Seine Partei wolle eine Erneuerung der Politik in Deutschland und dazu sei insbesondere die CDU nicht bereit gewesen, sagte Solms im Dlf. Jetzt sei die SPD gefordert - für sie sei die Regierungsbildung mit der Union leichter.

Hermann-Otto Solms im Gespräch mit Stefan Heinlein | 22.11.2017
    Der FDP-Politiker Hermann-Otto Solms
    Der FDP-Politiker Hermann-Otto Solms (dpa/picture alliance)
    Solms betonte, der Rückzug der FDP aus den Sondierungen für ein Jamaika-Bündnis sei keine Flucht aus der Verantwortung. Man habe mit großer Geduld verhandelt. In vielen Themen seien aus der Sicht der FDP aber notwendige Vereinbarungen mit den anderen Parteien nicht erreicht worden. Man habe auch nicht kurz vor einer Lösung gestanden, wie aus der CDU zu hören war: "'Das ist die schiere Unwahrheit", so Solms.
    Er habe den Eindruck, die CDU sei sich nicht bewusst gewesen, dass sie der Hauptverlierer der Bundestagswahl gewesen sei und nun ihre Politik ändern müsse. Es zeuge von Verantwortungsgefühl den Wählern gegenüber, wenn die FDP lieber in die Opposition gehe, als schlechte Regierungspolitik zu unterstützen.

    Das Interview mit Hermann-Otto Solms in voller Länge.
    Stefan Heinlein: Auch viele Stunden nach Abbruch der Sondierungen hat man in Berlin den Schock der gescheiterten Sondierungen noch nicht vollständig verarbeitet. Mühsam sind die Parteien jetzt dabei, den politischen Scherbenhaufen zu kitten. Einigkeit bislang nur in einem Punkt: Das Heft des Handelns liegt vorerst ganz auf Seiten des Bundespräsidenten. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hatte das Staatsoberhaupt eine so zentrale Rolle bei der Regierungsbildung, bei der Gestaltung der politischen Verhältnisse in unserem Land.
    Partei für Partei nimmt Frank-Walter Steinmeier die Vorsitzenden in dieser Woche ins Gebet. Zum Auftakt gab es Gespräche mit den Grünen und der FDP. Viel ist von diesen vertraulichen Beichtstuhl-Gesprächen im Schloss Bellevue bisher nicht nach außen gedrungen, doch ganz offensichtlich gibt es noch kein Licht am Ende des Tunnels. Eine Regierungsbildung bleibt weiter schwierig und darüber möchte ich jetzt sprechen mit dem FDP-Präsidiumsmitglied Hermann-Otto Solms. Guten Morgen, Herr Solms.
    Hermann-Otto Solms: Guten Morgen, Herr Heinlein.
    "In einer unbekannten Situation für die Politik"
    Heinlein: Herr Solms, seit 1980 sind Sie mit kurzer Unterbrechung Mitglied des Bundestages, also weit über 30 Jahre. Helfen Sie uns weiter mit Ihrer ganzen politischen Erfahrung. Wie dramatisch ist die Situation? Steckt Deutschland tatsächlich in einer tiefen politischen Krise?
    Solms: Nein, das wäre eine Übertreibung. Wir sind in einer neuen Situation, in einer unbekannten Situation für die Politik und für die Mehrheitsbildung im Deutschen Bundestag. Aber es ist keine Staatskrise. Das ist zu regeln. Wir waren ja auch bereit dazu. Wir haben ja verhandelt über mehr als vier Wochen, vom 18. Oktober bis zum frühen Morgen des 19. November hinein, mit großer Geduld. Aber es hat sich keine gemeinsame Vertrauensbasis entwickeln können und in den Fragen, in denen wir eine Modernisierung, eine Erneuerung der Politik wollten, beispielsweise in der Digitalisierung, in der Globalisierung, beim demographischen Wandel, in der Flüchtlingspolitik oder in der Energiepolitik, waren gemeinsame Vereinbarungen nicht herzustellen.
    Heinlein: Über die Details der Verhandlungen können wir vielleicht später noch reden. Grundsätzlich noch einmal gefragt: Sie sagen, es keine Krise. Aber dennoch: Wie gefährlich ist es für unsere parlamentarische Demokratie, wenn jetzt Bundestagsparteien, vier Parteien, die schon länger im Parlament sitzen, es nicht schaffen, einen politischen Grundkonsens zu formulieren, um dann gemeinsam eine Regierung zu bilden?
    Solms: Das ist ja noch nicht das Ende der Diskussion. Jetzt ist die SPD gefordert. Die hätte es ja viel leichter. Denn CDU und SPD haben ja bis jetzt zusammen regiert. Sie haben sich auf ein gemeinsames Programm vereinbaren können. Und es dürfte überhaupt kein Problem sein, auf Basis dieser Vereinbarung weiterzuregieren. Die SPD ist schon noch viel mehr in der Verantwortung, als wir das sind, denn wir wollten eine Erneuerung. Wir wollten eine Erneuerung der Politik und dazu war offenkundig insbesondere auch die CDU nicht bereit.
    "CDU war nicht bewusst, dass sie Hauptwahlverlierer war"
    Heinlein: Glauben Sie, Herr Solms, dass viele Wähler, viele Bürger Verständnis haben, wenn jetzt die FDP den schwarzen Peter einfach weitergibt an die Sozialdemokraten und sagen, jetzt macht ihr mal, jetzt übernehmt ihr mal Verantwortung? Haben Sie sich nicht gefragt, ist das noch meine Partei, die FDP, die bisher in der Vergangenheit immer Verantwortung übernommen hat?
    Solms: Sehen Sie, wir sind angetreten vor der Bundestagswahl mit einem Programm der Erneuerung, rundum mit Trendwenden. Die Wähler haben uns dafür gewählt, dass wir einen Beitrag leisten, dass die Politik der Großen Koalition, die ja eine Niederlage erlitten hat, abgewählt wird und erneuert wird. Dazu waren offenkundig die anderen Partner nicht in ausreichendem Maße bereit. Ich hatte überhaupt den Eindruck, dass der CDU nicht bewusst war, dass sie der Hauptwahlverlierer war und dass sie ihre Politik ändern müsse, und diese Bereitschaft habe ich bei den Verhandlungen nicht erkennen können.
    Heinlein: Aber jetzt scheint es so – und damit sind viele Journalisten nicht allein; auch viele Bürger sehen es so -, als ob die FDP jetzt bereit ist, das Wohl der Partei und der eigenen Klientel über das Wohl des Landes zu stellen, also eine Flucht aus der Verantwortung.
    Solms: Nein, das ist keine Flucht aus der Verantwortung. Das ist Verantwortung gegenüber unseren Wählern. Wir sind ja deswegen gewählt worden. Wir sind nicht dafür gewählt worden, die Politik der Großen Koalition mit anderen Mehrheiten einfach fortzusetzen oder mit ein paar grünen Einsprengseln, sondern wir sind dafür gewählt worden, …
    "Nicht vernünftig, nicht zeitgemäß, nicht modern genug"
    Heinlein: Aber das sieht der Bundespräsident ganz anders. Der sagt, es geht nicht nur um die eigenen Wähler, sondern es geht um das Land insgesamt. Und Parteien, die sich um die Macht bewerben, dürfen diese Macht dann nicht einfach verweigern und an die Wähler zurückgeben.
    Solms: Es geht um die Verantwortung für den Staat und für eine vernünftige Politik. Aber wir halten die Politik, die bisher betrieben worden ist, nicht für vernünftig, nicht für zeitgemäß, nicht für modern genug, um die Zukunftsprobleme zu lösen, und dafür sind wir angetreten.
    Heinlein: Können Sie denn die Zukunftsprobleme aus der Opposition heraus lösen?
    Solms: Wir konnten sie jedenfalls aus der Regierung heraus nicht lösen, und das haben wir ja erlebt in der Legislaturperiode 2009 bis 2013, dass man dann während des Regierungshandelns über vier Jahre die wichtigen Probleme nicht mehr lösen und durchsetzen kann, dass dann ein kleiner Koalitionspartner sozusagen in den Mühlen der Regierungspolitik zermahlen wird. Dieses Risiko konnten wir nun wirklich nicht eingehen. Wir müssen zu unseren Aussagen stehen.
    Das ist ja nun gerade das Prinzip der Demokratie, dass wir zu unseren Zielen und Aussagen stehen. Dafür sind wir gewählt worden und dafür sind wir unseren Wählern im Wort. Das ist das Wesen der Demokratie. Das ist kein unverantwortliches Verhalten, sondern das zeigt ja gerade Verantwortung, dass wir statt eine schlechte Regierungspolitik zu unterstützen, dann lieber in der Opposition bleiben.
    "Wir waren noch in über 200 Punkten auseinander"
    Heinlein: Aber, Herr Solms, so ein Spruch, es ist besser, nicht zu regieren als falsch zu regieren – das hat Christian Lindner gesagt -, das wirkt doch reichlich platt zur Begründung. Das ist Twitter-Stil im Stil von Donald Trump.
    Solms: Ja, wir reden jetzt nicht über Stilfragen, sondern wir reden über inhaltliche Fragen. Und inhaltlich ist es so, dass in den wesentlichen Punkten – ich habe ja viele Themen genannt – die notwendigen Vereinbarungen bis zum Schluss nicht erreicht werden konnten. Dass die Gesprächspartner nun im Nachhinein den Eindruck zu vermitteln versuchen, es wäre kurz vor einer Lösung gestanden, das ist die schiere Unwahrheit. Wir waren noch in über 200 Punkten auseinander und gerade in den wesentlichen Punkten gab es die notwendigen Zugeständnisse nicht.
    Ich will nur mal das Beispiel, was ich verhandelt habe, Energiepolitik nennen. Die Energiepolitik der Bundesregierung ist ja auf breiter Basis gescheitert. Wir haben zusätzliche Kosten von 35 Milliarden, die jedes Jahr aufgewendet werden, ohne dass wir beim CO2-Ausstoß irgendeinen Fortschritt erzielt hätten. Das kann ja so nicht weitergehen. Wir wollten die Energiepolitik vom Kopf auf die Füße stellen, aber dazu waren die Koalitionspartner nicht bereit, und so können Sie alle Themen durchdiskutieren.
    Heinlein: Herr Solms, ich habe vor unserem Gespräch um kurz vor sieben mit dem AfD-Chef Jörg Meuthen gesprochen, und der hat sich mokiert, ein wenig gefreut sogar über den Rechtsruck der FDP. Der sagt, die FDP, die Liberalen haben viele Positionen von uns übernommen. Geht es tatsächlich mit Christian Lindner in Richtung einer deutschen FPÖ, in Richtung Rechtspopulismus?
    Solms: Die AfD gab es ja gar nicht. Wir haben uns natürlich nicht an denen orientiert. Wir machen eine zukunftsorientierte Politik. Die hat mit rechts überhaupt nichts zu tun. Auch in der Europapolitik, wo die AfD sich besonders engagiert, geht es uns nicht darum, jetzt eine rechte Politik zu machen, sondern wir wollen auch in der Europapolitik eine zukunftsfähige Politik machen.
    Wir wollen verhindern, dass die Haftungen in Europa vermischt werden, sondern jeder Staat muss für seine Ausgaben selber haften, so wie im normalen Leben auch. Auf der Basis können wir natürlich Europa weiterentwickeln und den Euro weiterentwickeln, aber nicht dadurch, dass wir die Verantwortung vermischen und vergemeinschaften und dadurch niemand mehr zu seiner Verantwortung stehen muss.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen FDP-Präsidiumsmitglied Hermann-Otto Solms. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Solms: Danke, Herr Heinlein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.