Samstag, 20. April 2024

Archiv


FDP-Politikerin: BVG-Urteil ist Ohrfeige für Rot-Grün

Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Bundeswehr-AWACS-Flügen im Jahre 2003 begrüßt. Das Urteil sei eine"klare Ohrfeige" für die damalige rot-grüne Bundesregierung. In Richtung Unionsfraktion fügte Homburger hinzu, der Beschluss des Gerichts sei auch ein klarer Fingerzeig für alle Bestrebungen, die Rechte des Parlaments bei einem möglichen Bundeswehr-Einsatz einzuschränken.

Moderation: Bettina Klein | 07.05.2008
    Bettina Klein: Es war gewissermaßen die letzte Amtshandlung des bisherigen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichtes Winfried Hassemer. Heute Nachmittag wird der erwartungsgemäß seine Entlassungsurkunde entgegennehmen. Das Urteil, das am Vormittag zu verkünden war, dürfte hingegen viele überrascht haben. Es ging um eine Entscheidung aus dem Jahre 2003 am Rande des Irak-Krieges. Bundeswehrsoldaten wurden in AWACS-Aufklärungsflugzeugen über der Türkei eingesetzt, ohne dass zuvor noch einmal der Bundestag befragt worden wäre. Die Regierung unter Gerhard Schröder argumentierte damals, es handele sich um Routineeinsätze der NATO. Die Flugzeuge seien nicht bewaffnet. Die FDP war damals anderer Meinung, aber mit einem Eilantrag gescheitert. Im Hauptverfahren bekam sie heute in Karlsruhe Recht. Die Entscheidung damals fiel wie gesagt seinerzeit ohne neuen Parlamentsbeschluss - und zwar in der Ägide der rot-grünen Bundesregierung. SPD-Fraktionsgeschäftsführer heute ist Thomas Oppermann. Dass er sich in seiner ersten Reaktion zerknirscht gezeigt hätte, das wäre wohl übertrieben.

    Thomas Oppermann: "Ich bin immer dankbar für jede Klarheit, die das Bundesverfassungsgericht schafft. Das Thema ist auch deshalb aktuell, weil die Union ja ein Papier vorgelegt hat, das die Bundeswehr als Parlamentsarmee relativieren soll. Parlamentsarmee bedeutet, dass nicht die Regierung die Bundeswehr in Auslandseinsätze schicken darf, sondern dass das nur der Bundestag mit Mehrheitsbeschluss legitimieren kann. Daran halten wir fest. Wir sind auch gegen bundestagsfreie, parlamentsfreie Blitzinterventionen, wie die CDU sie verlangt, und nach dem Beschluss, den das Bundesverfassungsgericht heute gefasst hat, sind die ohnehin in weite Ferne gerückt."

    Klein: So weit also die Reaktion von Thomas Oppermann, SPD-Geschäftsführer, der gleich die Grundsatzdiskussion aufmacht, die wir hier auch weiter führen wollen. Am Telefon ist jetzt Birgit Homburger, verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion. Wir erreichen sie in Karlsruhe. Dort hat sie die Urteilsverkündung gehört. Grüße Sie Frau Homburger!

    Birgit Homburger: Ja, guten Tag!

    Klein: Sie haben gerade die SPD-Reaktion gehört. Die fühlen sich jetzt mehr oder weniger bestätigt. Haben Sie Reue erwartet?

    Homburger: Es ist festzustellen, dass dieses Urteil eine klare Ohrfeige ist für die damalige Bundesregierung - für den zuständigen Außenminister Fischer, aber auch für Bundeskanzler Schröder. Das Gericht ist in seiner Urteilsbegründung der Argumentation der FDP-Bundestagsfraktion voll gefolgt und hat die Rechte des Parlaments gestärkt.

    Klein: Welche praktischen politischen Konsequenzen muss das Urteil jetzt haben aus Ihrer Sicht?

    Homburger: Das Urteil hat die Konsequenz, dass in Zukunft klargestellt ist, dass der Deutsche Bundestag weit reichende Rechte hat und dass die Bundesregierung diese Rechte des Bundestages zu wahren hat. Ein Einsatz bewaffneter Gewalt liegt eben nicht erst vor bei tatsächlicher Gewaltanwendung, sondern dann, wenn bewaffnete Einsätze konkret zu erwarten sind. Das hat das Gericht heute klargestellt und damit auch deutlich gemacht anhand eines Grundsatzurteils mit klaren Kriterien, wann ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorliegt, und damit die Rechte des Parlaments deutlich gestärkt.

    Klein: Aber dennoch, Frau Homburger, wird auch in Zukunft jeder Einzelfall aufs Neue diskutiert und bewertet werden müssen?

    Homburger: Das ist ganz selbstverständlich. Es muss jeder Einzelfall neu bewertet werden und das ist auch wichtig und richtig so. Die FDP-Bundestagsfraktion hat diese Klage weitergeführt auch deshalb, weil wir Rechtssicherheit für die betroffenen Soldatinnen und Soldaten erreichen wollten, und das ist doch mit dem heutigen Urteil gelungen.

    Klein: Das heißt aber auch, dass es für Sie durchaus in der Zukunft Situationen geben kann, wo man dann sagen muss, da wird das Parlament eben nicht unbedingt zustimmen müssen?

    Homburger: Das ist ja auch bisher schon so. Das wird auch in Zukunft so sein. Wenn beispielsweise Gefahr im Verzug ist, muss die Regierung handeln können. Da widersprechen wir auch überhaupt nicht. Aber es ist doch so, dass eben Einsätze der Bundeswehr in der Regel doch einige Vorlaufzeit brauchen und damit auch eine Befassung des Deutschen Bundestages völlig unproblematisch möglich ist. Im Übrigen ist es ja auch so, dass in der Vergangenheit nie am Deutschen Bundestag ein Einsatz der Bundeswehr gescheitert ist. Der Deutsche Bundestag hat sich immer rechtzeitig mit solchen Fragen befasst. Insofern ist das heutige Urteil eine klare Stärkung der Rechte des Parlaments. Wir haben als FDP-Bundestagsfraktion nun in zwei Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten, dass es klare Kriterien dafür gibt, wie der Deutsche Bundestag von der Bundesregierung zu beteiligen ist.

    Klein: Aber dennoch heißt es ja es wäre gut möglich gewesen, wenn das Parlament abgestimmt hätte, damals Nein gesagt hätte, dann wäre der gesamte Einsatz dieser AWACS-Aufklärungsflugzeuge möglicherweise zum Scheitern verurteilt gewesen. Und die Frage ist ja: kollidiert das nicht mit Bündnispflichten, die dann im Zweifelsfalle vorgehen können müssen?

    Homburger: Nein, in keiner Weise. Das Bundesverfassungsgericht hat heute klargestellt, dass die Beteiligung des Deutschen Bundestages auch für Fragen gilt, bei denen die Bundeswehr im Rahmen von Systemen kollektiver Sicherheit eingesetzt wird, also beispielsweise im Rahmen der NATO, und dass es insofern sogar besser ist, den Deutschen Bundestag vorab zu befassen, als gegebenenfalls zu riskieren, dass der Deutsche Bundestag, wenn er nach einer Entscheidung der Bundesregierung befasst worden wäre, dann womöglich verlangt, die Bundeswehr zurückzurufen. Auch das hat das Bundesverfassungsgericht heute deutlich gemacht.

    Klein: Dieses Urteil kommt just an jenem Tag, an dem die CDU heute Nachmittag ihr neues Sicherheitskonzept offiziell vorstellen wird, über das schon seit einigen Tagen diskutiert wird. Darin geht es ja unter anderem auch gerade darum, den Parlamentsvorbehalt im Falle des Falles tendenziell einzuschränken. Inwieweit ist das Urteil heute also jetzt ein Widerspruch dazu?

    Homburger: Die Unionsfraktionen versuchen ja seit einiger Zeit, im Deutschen Bundestag die Rechte des Parlaments bei der Entscheidung über den Einsatz der Bundeswehr einzuschränken. Mit dem heutigen Urteil ist es doch so, dass das nicht vereinbar ist. Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass der Deutsche Bundestag weit reichende Befugnisse hat, was den Einsatz der Bundeswehr angeht. Das Parlament entscheidet. Wir haben eine Parlamentsarmee. Das hat das Verfassungsgericht heute noch mal deutlich gemacht. Insofern ist die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gut beraten, die Begründung des Urteils sehr intensiv zu studieren.

    Klein: Also auch eine Ohrfeige für die CDU ganz nebenbei?

    Homburger: Es ist zunächst einmal eine Ohrfeige für die damalige Bundesregierung, aber es ist auch ein klarer Fingerzeig für alle Bestrebungen, die Rechte des Parlaments in diesem Zusammenhang einzuschränken, und insofern auch für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

    Klein: Die CDU versucht natürlich mit ihrem Sicherheitskonzept auch Antworten auf Fragen zu geben, die sich aus einer neuen Weltlage heraus stellen. Und natürlich ist die Frage: es kann Situationen geben - wir sprachen gerade kurz darüber -, bei denen es eher zwingend ist, eine rasche Reaktion im Bündnisfall vorzunehmen, als eine Parlamentsabstimmung abzuwarten. Sie haben gesagt, bei Gefahr im Verzuge würden Sie das einsehen. Wo ziehen Sie denn die Grenze dort?

    Homburger: Die Grenzlinie ist heute durch das Bundesverfassungsgericht auch noch mal deutlich gemacht worden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Grundsatzurteil Kriterien festgelegt. Es ist auch vor allen Dingen eines noch mal deutlich hervorzuheben, dass der Deutsche Bundestag in der Vergangenheit in der Lage war, immer sehr schnell eine Entscheidung herbeizuführen. Und man muss ja sehen, dass auch im Rahmen solcher Einsätze beispielsweise der NATO eine gewisse Vorlaufzeit gegeben ist und damit überhaupt kein Problem besteht, tatsächlich auch den Deutschen Bundestag in eine Entscheidungsfindung mit einzubeziehen.

    Klein: Dennoch macht sich ja ein deutlicher Dissens auf zwischen Ihnen und der CDU. Nach wie vor ist die Partei aber Ihr Wunschpartner für eine mögliche Regierungszusammenarbeit. Das dürfte dann auf diesem wichtigen außenpolitischen Feld ausgesprochen schwierig werden.

    Homburger: Ich habe den Eindruck, dass das Konzept der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der Frage der Sicherheit und auch mit diesem nationalen Sicherheitsrat, den sie vorgeschlagen haben, keinerlei Mehrheit und keinerlei Unterstützung im Deutschen Bundestag findet - weder bei der FDP-Bundestagsfraktion, noch bei den anderen Fraktionen. Insofern ist die Unionsfraktion mit diesem Konzept isoliert.

    Klein: Birgit Homburger, die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion. Danke Ihnen für das Gespräch, Frau Homburger!