Montag, 29. April 2024

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FDP-Vize-Vorsitzender Vogel
"Mehr Steuerbelastungen sind mit uns nicht zu machen"

"Deutschland ist ein absolutes Hochsteuerland", sagte der stellvertretende FDP-Vorsitzende Johannes Vogel im Dlf. In wenigen Industrienationen seien die Steuerbelastungen so hoch wie hierzulande. Aus der Verschuldung auch infolge der Coronakrise sei Wachstum der einzige Weg.

Johannes Vogel im Gespräch mit Stefan Heinlein | 17.05.2021
Johannes Vogel, neuer FDP-Vizevorsitzender, sitzt beim Bundesparteitag auf dem Podium.
Gerade nach einer Krise sollten die steuerlichen Abgaben nicht zu hoch sein: Johannes Vogel, neuer FDP-Vizevorsitzender, beim Bundesparteitag am 16. Mai 2021 (dpa / Michael Kappeler)
Der einzige Weg aus der Verschuldung sei Wachstum, deshalb müsse man sich fragen, wie man Wachstumskräfte fördern könne – und genau dies tue die FDP in ihrem Wahlprogramm. Zudem mache seine Partei im Bundestag seit Jahren konkrete Vorschläge für mögliche Einsparungen, betonte der FDP-Politiker Johannes Vogel. Wichtig sei nun unter anderem, die Modernisierung des Rentensystems anzugehen, um so eine langfristige und faire Perspektive für nachfolgende Generationen zu schaffen.

Mit Blick auf die Bundestagswahl im September erklärte Vogel, er schließe eine Jamaika-Koalition nicht aus. "Wir wollen gestalten und natürlich haben wir Lust auf die Übernahme von Verantwortung." Klar sei jedoch, dass die von anderen Parteien angestrebten Mehrbelastungen niemals dem Selbstzweck dienen dürften.
Johannes Vogel, Generalsekretär der FDP in Nordrhein-Westfalen, wurde am 16. Mai 2021 auf dem digitalen Parteitag der FDP mit 79 Prozent zum stellvertretenden Parteivorsitzenden der FDP gewählt.
Das Interview im Wortlaut:
Stefan Heinlein: "Es ist besser, nicht zu regieren als falsch zu regieren." Wohl selten hat nur eine Aussage das Bild einer Partei so lange so nachhaltig geprägt wie die Worte von Christian Lindner Mitte 2017 nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen. Was folgte war ein Absturz in den Umfragen. Auch die eigenen Anhänger nahmen die Regierungsunlust der Parteispitze übel. Doch mittlerweile hat sich die FDP in den Umfragen erholt. Wenige Monate vor der nächsten Bundestagswahl liegt sie stabil im zweistelligen Bereich. Auf dem Parteitag an diesem Wochenende wurden inhaltlich und personell die Weichen neu gestellt.
Über die FDP und ihren Parteitag kann ich jetzt reden mit dem frisch gewählten stellvertretenden Bundesvorsitzenden Johannes Vogel. Guten Morgen, Herr Vogel!
Johannes Vogel: Guten Morgen, Herr Heinlein.

"Fast 40 Prozent Frauenanteil im Bundesvorstand"

Heinlein: 79 Prozent Ja-Stimmen für Sie. Glückwunsch zum neuen Amt. Was wollen Sie damit anfangen? Können Sie das in drei Sätzen sagen?
Vogel: Ich will einen Beitrag leisten dabei, dass wir die enormen Chancen, die wir Freien Demokraten in einer sich wandelnden Gesellschaft haben, nutzen, noch mehr Menschen für uns interessieren und vielleicht sogar begeistern und gerade meine Themen und meine Ideen so auch auf breitere Bühnen heben.
Heinlein: Mit Ihrer Wahl – Sie wissen es, Herr Vogel – hat sich ein Trend bei den Liberalen verfestigt. Die Führungsriege ist weitgehend männlich dominiert. 2:1 das Verhältnis im Präsidium. Und in der engsten Führungsspitze ist der Frauenanteil mit Ihrer Wahl weiter geschrumpft. Hat die FDP ein Frauenproblem?
Vogel: Nein! Die Politik hat insgesamt beim Thema noch eine Menge zu tun. Ich hätte gar nicht kandidiert, wenn im letzten Sommer nicht Lydia Hüskens nachgerückt wäre für den damaligen Kollegen Frank Sitta. Ich habe das Präsidium – und das ist ja die engste Parteiführung – damit nicht männlicher gemacht, aber ich glaube, ich kann es thematisch diverser machen. Und im Bundesvorstand sind wir einen Schritt vorangekommen: Tolle neue Kolleginnen, Maren Jasper-Winter, Sandra Weeser, Gyde Jensen, sind erstmalig in den Bundesvorstand gekommen. Wir sind jetzt bei fast 40 Prozent Frauenanteil. Das ist noch nicht ausreichend, aber das ist zumindest ein Schritt in die richtige Richtung.

"Liberaler Feminismus und mehr Gleichberechtigung"

Heinlein: Das sind Namen, die man weitgehend in der bundesdeutschen Öffentlichkeit nicht kennt. Zwei Namen, die man kannte, sind weg: Linda Teuteberg als Generalsekretärin und Katja Suding, eine weitere FDP-Spitzenfrau, hat das Handtuch geworfen. Das spricht für das Frauenproblem der Liberalen. Sehr bunt, sehr divers ist die liberale Bürgerrechtspartei nicht. Ist das der liberale Feminismus, den Sie fordern in Ihrem Programm?
Vogel: Den liberalen Feminismus und viele programmatische Vorschläge zur besseren Durchlässigkeit und mehr Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft haben wir verabschiedet in dem Programm. Ich glaube, das ist sehr modern. Daran hat zum Beispiel die tolle Kollegin Maren Jasper-Winter gearbeitet. Und dass personelle Verbreiterung immer Schritte braucht, nämlich auch den Schritt, zum Beispiel über die Wahl in den Bundesvorstand bekannter zu werden, das gehört zur Natur der Sache. Wie gesagt: Wir haben tolle neue Kolleginnen in den Bundesvorstand bekommen. Ich freue mich, wenn Sie die dann bald auch in den Deutschlandfunk einladen.

"Nein" zur Frauenquote "ist eine liberale Grundsatzfrage"

Heinlein: Aber besonders attraktiv scheint die FDP nicht zu sein für Frauen. Nur jedes fünfte Parteimitglied ist eine Frau. Könnte das daran liegen, dass die FDP die Quote in allen Bereichen ablehnt?
Vogel: Na ja. Das ist, glaube ich, eine liberale Grundsatzfrage. Aber deswegen sind wir nicht gegen mehr Diversität. Ganz im Gegenteil! Die brauchen wir in der Gesellschaft und darüber reden wir ja auch, wenn wir über politische Vorschläge reden, als auch bei uns selbst. Wie gesagt, wir sind jetzt bei fast 40 Prozent Frauenanteil im Bundesvorstand. Das ist ein Zwischenschritt, aber das ist ein großer Schritt voran im Vergleich zu den letzten Jahren, sehr viel mehr als in der Mitgliedschaft. Alle Parteien in Deutschland haben leider das Problem, dass die Mitgliedschaft insgesamt mehrheitlich männlich ist.
Bei den Wählerinnen und Wählern sieht es zum Glück anders aus. Wenn Sie sich unsere letzten Wahlergebnisse anschauen in Rheinland-Pfalz, in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel, wo ich es genau weiß, weil ich selber der Wahlkampfleiter war, da war es ziemlich genau fifty-fifty. Und das müssen wir jetzt irgendwann auch bei der Mitgliedschaft abbilden. Das ist eine Aufgabe, auch übrigens mit Blick auf Parteiorganisation, wie Veranstaltungen stattfinden etc.

"Überdurchschnittliche Belastungen für Unternehmen"

Heinlein: Blicken wir, Herr Vogel, auf weitere Inhalte Ihres Wahlprogramms. Keine Steuererhöhungen, weniger Schulden – das ist das zentrale Mantra oder das bleibt das zentrale Mantra der Liberalen. Das klingt gut, aber wie sollen die Kosten der Pandemie finanziert werden, ohne Steuererhöhungen und ohne Schulden?
Vogel: Dass man das gefragt wird, wenn man als einzige Kraft im absoluten Hochsteuerland Deutschland – wir belasten ja die Bürgerinnen und Bürger so stark wie außer uns sonst nur Belgien von allen Industrieländern -, wenn man da sagt, das ist vielleicht keine gute Idee, die kleinen und mittleren Einkommen gerade so stark zu belasten. Gerade nach einer Krise muss man sich auch fragen, ist es eine gute Idee, dass wir die Unternehmen im internationalen Vergleich sehr, sehr weit überdurchschnittlich belasten. Ist das nicht auch ein Hemmschuh für Wachstum.
Das macht ja nur deutlich, dass wir das gefragt werden, wenn wir das als einzige vertreten, wie notwendig diese Position ist. Der IWF hat es gerade wieder dargestellt. Der Weg raus, wie nach der letzten Krise 2008/2009, der Weg raus aus dem Rauswachsen aus der Verschuldung ist Wachstum. Deshalb muss man sich fragen, wie man Wachstumskräfte fördert, und genau das tun wir in unserem Programm.

"Wir sind bei 70 Prozent Staatsverschuldung"

Heinlein: Meine Frage war, wie die Kosten der Pandemie, diese milliarden-Kosten der Pandemie finanziert werden sollen, ohne neue Steuern und ohne neue Schulden. Das kann ja dann nur über Einsparungen gehen, und da verrät Ihr Programm nicht, wo gespart werden soll.
Vogel: Na ja. Erstens macht meine Fraktion und meine tollen Kolleginnen und Kollegen. die bei uns die Haushaltspolitik machen, seit vielen Jahren im Deutschen Bundestag ganz konkrete Einsparvorschläge bei jeder Haushaltsberatung in der Größenordnung je nach Jahr von plus-minus 20 Milliarden. Das ist kein Pappenstiel, da kommt was zusammen. Und zweitens: Das was ich gerade beschrieb. Der IWF bezieht sich ja genau auf die Corona-Krise.
Wir sind jetzt bei etwas über 70 Prozent Staatsverschuldung, bezogen aufs BIP, nach dieser Krise und der IWF hat dargelegt, wenn man die Wachstumskräfte fördert, selbst im relativ moderaten Basis-Szenario, dass wir bis Mitte des Jahrzehnts, also 2025, wieder bei dem Schuldenstand von 60 angelangt sein können, also rausgewachsen sein können aus den durch die Krise entstandenen Schulden.

Plädoyer für Reform des Rentensystems

Was mir wichtig ist – das sage ich mal als Sozialpolitiker, der bewusst auch als Sozialpolitiker für die FDP jetzt mehr Verantwortung übernommen hat und kandidiert hat: Wenn das dann nach 2025 weitergehen soll, dann müssen wir uns Gedanken machen, wie wir jetzt auch in der Struktur unser Rentensystem modernisieren. Denn die nächste Legislaturperiode ist die letzte Legislaturperiode, bevor die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen, und deshalb muss jetzt die Modernisierung des Rentensystems angegangen werden, damit auch künftig die Rente für alle Generationen stabil ist und für die ganze Gesellschaft fair. Darüber würde ich im Bundestagswahlkampf auch gerne reden. Das ist die langfristige Betrachtung, das Denken in Jahrzehnten, was wir endlich wieder stärker brauchen.
Heinlein: Herr Vogel, reden möchte ich mit Ihnen jetzt nicht über Ihr Leib- und Magenthema, die Renten- und Sozialpolitik, sondern vielleicht …
Vogel: Das ist aber wichtig!
Heinlein: Aber es wurde auch deutlich auf Ihrem Parteitag, Herr Vogel, dass anders als 2017 Ihre Partei jetzt offenbar wieder richtig Lust hat zu regieren. Aber für Ihre Traumpartnerschaft – und das zeichnet sich ja klar ab – allein mit der Union wird es nicht reichen. Wären Sie denn diesmal bereit für Jamaika?
Vogel: Wir haben ja deutlich gemacht, glaube ich, zweierlei. Erstens: Wir haben 2017 deutlich gemacht, dass wir nicht um jeden Preis regieren, sondern dass es inhaltlich auch stimmen muss, dass die Projekte auch in die richtige Richtung gehen.

Klares "Ja" zu "Jamaika"

Heinlein: Das haben die Wähler Ihnen aber sehr übel genommen.
Vogel: Das stimmt! Aber gleichzeitig treffe ich viele Bürgerinnen und Bürger – es gab welche, die uns das damals kritisch gefragt haben. Ich treffe heute allerdings auch viele Bürgerinnen und Bürger, die sagen, na ja, gut, das kann man euch nicht vorwerfen, dass ihr eure Inhalte verratet, und das ist schon mal eine gute Grundlage für die nächste Regierungsbildung. Aber genauso richtig ist: Wir wollen, dass die Projekte in die richtige Richtung gehen. Wir wollen gestalten und natürlich haben wir Lust auf die Übernahme von Verantwortung. Jetzt geht es erst mal darum, möglichst stark zu werden, möglichst viele Menschen davon zu überzeugen, dass sie uns unterstützen, damit wir mit möglichst viel Rückenwind dann auch für diese Projekte und Überzeugungen verhandeln können.
Heinlein: Keine neuen Steuern, keine neuen Schulden – ist das mit den Grünen zu machen, oder schließen Sie, wenn die Grünen sagen, das machen wir nicht mit, direkt Jamaika doch noch mal aus?
Vogel: Christian Lindner hat ja für uns alle deutlich gemacht, dass gerade weil die Position offenbar eine exotische Position geworden ist – wir haben eben darüber gesprochen -, aber notwendig, dass mehr Belastungen mit uns nicht zu machen sind, weil sie der falsche Weg wären. Wenn aber mehr Belastungen kein Selbstzweck sein sollen für die anderen Parteien, sondern wenn es darum geht, wie wir Wachstum fördern können, wie wir auch private Investitionen steigern können, wie wir dann über das Wachstum dafür sorgen können, dass unser Staat damit auch so finanziert ist, dass wir auch öffentliche Investitionen in die richtigen Projekte machen können – in den letzten Jahren hatte der Staat Rekordeinnahmen; die Große Koalition hat das Geld (letzter Hinweis auf die Rentenpolitik) vor allem für Gießkannen-Maßnahmen ausgegeben und nicht für Zukunftsinvestitionen -, dann kann man zusammenkommen. Und da ist ja die Frage auch an die anderen: Ist mehr Belastung der Bürgerinnen und Bürger in einem Hochbelastungsland ein Selbstzweck, oder geht es um die Gestaltung der Zukunft? Bei letzterem kommen wir zusammen.
Heinlein: Jamaika schließen Sie nicht aus?
Vogel: Nein, natürlich nicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.