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FDP
"Was uns gefehlt hat, war soziale Empathie"

Christian Lindner gibt der FDP neues Selbstvertrauen, sagt Burkhard Hirsch, ehemaliger FDP-Innenminister von Nordrhein-Westfalen. Philipp Rösler und Rainer Brüderle seien nicht die richtige Besetzung für die Führung der Partei gewesen. Die FDP müsse nun deutlich machen, dass sie soziale Verantwortung übernehmen will.

Burkhard Hirsch im Gespräch mit Dirk Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Guido Westerwelle war zu seiner Zeit mit stehenden Ovationen gefeiert worden. Auch Philipp Rösler wurde frenetisch bejubelt. Eigentlich hatte sich die Regie auf dem FDP-Parteitag vorgenommen, vor dem Hintergrund dieser Erfahrung nicht allzu sehr Begeisterungsstimmung aufkommen zu lassen. Und doch wurde auch der neue FDP-Vorsitzende Christian Lindner als Retter der Partei gefeiert, auch wenn das Wahlergebnis mit 79 Prozent der Stimmen nicht gerade galaktisch ausgefallen ist.
    Telefonisch verbunden sind wir jetzt mit Burkhard Hirsch, dem ehemaligen FDP-Innenminister in Nordrhein-Westfalen. Schönen guten Tag, Herr Hirsch!
    Burkhard Hirsch: Schönen guten Tag.
    Heckmann: Herr Hirsch, erst die One-Man-Show von Guido Westerwelle, dann die Begeisterungsstürme für Philipp Rösler, die sich bald in ihr Gegenteil verkehrten, jetzt also Standing Ovations für Christian Lindner. Weshalb soll ihm gelingen, woran schon andere scheiterten?
    Hirsch: Es ist ja eine Wende in der ganzen politischen Landschaft eingetreten, dadurch, dass die Liberalen zum ersten Mal aus dem Parlament ausgeschieden sind, und dass sich eine Große Koalition bildet, an deren Handlungsfähigkeit zurecht große Zweifel bestehen, wenn Sie sich den Streit um die Koalitionsvereinbarungen und die Koalitionsverhandlungen selber ansehen. Wir sind ja wirklich in einer Zeitenwende und wir sind uns einig darüber, dass der Liberalismus als solcher als politische Größe erhalten bleibt. Wir kämpfen darum, dass er in der FDP so wie bisher eine Heimat findet und nicht in andere Richtungen abwandert. Ich denke, dass der Parteitag das begriffen hat, dass die Partei das begriffen hat, und Herr Lindner ist ein Mann, der in seinem ganzen Auftreten diese Stimmung auch aussprechen konnte.
    Heckmann: Sie sprechen ja nicht ganz zu Unrecht von einer Zeitenwende, Herr Hirsch. Aber ist denn jemand der richtige Parteichef, der in einer anderen Situation Knall auf Fall die Brocken hingeworfen hat, nämlich als Generalsekretär unter Philipp Rösler?
    Hirsch: Nun, das kann man so nicht sagen, dass er Knall auf Fall die Funktion hingeworfen hat, sondern wir hatten ja Führungsschwierigkeiten im vorigen Bundesvorstand, und dass der Generalsekretär, wenn er mit seinen Vorschlägen nicht Gehör findet, oder das Gefühl hat, dass er sich mit seinen Vorstellungen nicht durchsetzt, dann sagt, dann höre ich auf und gehe nach Nordrhein-Westfalen, das halte ich doch für richtig. Das ist doch besser, als in einer solchen Situation auf dem Sessel zu kleben.
    "Der Versuch, eine neue Politik zu formulieren"
    Heckmann: Und diese Führungsschwierigkeiten, von denen Sie sprechen, die sind jetzt damit überwunden?
    Hirsch: Er hat, wie der Verlauf des Parteitages zeigt, sich in der Partei durchgesetzt, so wie er das bei der Landtagswahl vorher in Nordrhein-Westfalen auch getan hatte, und er gibt der Partei nicht nur ein neues Selbstbewusstsein, sondern auch ein neues Gesicht, und das ist ganz wichtig in der Situation, in der sich die FDP befindet. Ein neuer Anfang, Schluss mit Auseinandersetzungen der Vergangenheit, und der Versuch, eine neue Politik zu formulieren.
    Heckmann: Wo wir gerade bei den Führungsschwierigkeiten sind, Herr Hirsch. Philipp Rösler hat ja bei dem Parteitag gesagt, es sei nicht gelungen, ein Team aufzubauen, und der jetzt aus dem Amt geschiedene Generalsekretär Patrick Döring sprach von Rassismus in der Partei. Rösler sei immer als „der Vietnamese“ wahrgenommen worden, oder man habe von ihm mit diesen Worten gesprochen. Das hört sich an, als sei die FDP ein ziemlich intriganter Haufen?
    Hirsch: Ich habe dieses Wort mit dem Vietnamesen vorher nicht gehört. Ich habe das erst aus der Bemerkung von Herrn Döring entnommen. Ich glaube, das ist nicht richtig. Ich habe Herrn Rösler eigentlich bewundert, weil er eine neue Sprache gewählt hat, weg von dem bisherigen Polit-Chinesisch, das so üblich geworden war. Man merkte, wenn er redete, dass er dabei auch wirklich denkt. Das war doch ganz ansprechend. Aber man kann an der Tatsache nicht vorbei, dass er in der Öffentlichkeit nicht angekommen war. Er ist, wie man so sagt, nicht über die Rampe gekommen. Ich finde oder fand, dass seine unmittelbare Umgebung ihm das vorher deutlich hätte sagen müssen. Das Duo Rösler und Brüderle war kein Duo, das wirklich in der deutschen Öffentlichkeit Erfolg haben konnte. Das konnte man sehen. Ich habe damals schon auf Herrn Lindner eingeredet, dass er kandidieren sollte. Er wollte das noch nicht. Ich finde, ich bin nicht bereit, weder auf Herrn Rösler noch auf Herrn Brüderle irgendwie herumzuschimpfen. Die haben getan, was sie konnten. Aber sie waren nicht die richtige Besetzung. Das hat Herr Lindner verändert.
    Heckmann: Christian Lindner will die FDP unabhängiger machen von anderen Parteien, also von der Union, thematisch wieder breiter aufstellen. Das, was aber da zu hören war jetzt am Wochenende auf dem Parteitag, waren solche Zitate wie: Die FDP ist die Wächterin der Freiheit des Einzelnen - weniger Staat - auch das Thema Steuersenkungen scheint wieder auf. Das hört sich so ein bisschen an nach altem Wein in neuen Schläuchen.
    Hirsch: Das habe ich nicht so empfunden. Dass wir sagen, wir sind eine Partei, die dem Einzelnen Chancen geben will, seinen eigenen Weg zu gehen, nach seiner eigenen Fasson willig zu werden, das sind ja doch Grundgedanken, die uns seit Anfang an in dieser Partei immer wieder begeistern und bewegt haben, nicht gegängelt zu werden, sondern eigene Entscheidungen treffen zu können.
    "Eine liberale Gesellschaft ohne soziale Verantwortung ist mörderisch"
    Heckmann: Das sind alles Dinge, die auch Philipp Rösler gesagt hat.
    Hirsch: Ja, aber was uns gefehlt hat, ist das, was man soziale Empathie nennen könnte. Ich sage lieber, die soziale Verantwortung. Eine liberale Gesellschaft ohne soziale Verantwortung ist mörderisch oder selbstmörderisch oder beides. Es gehört dazu, die soziale Verantwortung, und die ist nicht so deutlich geworden wie sie in unserer Gesellschaft nötig ist. Liberale sind keine Horde von Robinsonen, sondern leben genauso wie alle anderen in einer Gesellschaft, in der es eine reine persönliche Autarkie nicht mehr geben kann, wo jeder auf die Leistung des anderen angewiesen ist. Aber das ist nicht eine Standesangelegenheit, das ist nicht eine Frage von Apothekern, Zahnärzten oder Rechtsanwälten oder von Unternehmern, sondern das bezieht sich auf jeden Einzelnen. Das ist nicht so deutlich geworden in der Vergangenheit wie das nötig gewesen wäre. Mir sträuben sich schon immer die Nackenhaare, wenn ich was von einer bürgerlichen Partei höre. Das ist 19. Jahrhundert. Wer ist denn nicht bürgerlich? Wir sind eine staatsbürgerliche Partei, eine bürgerrechtliche Partei. Das ist das Entscheidende und das muss deutlicher werden und das wird es mit Sicherheit.
    Heckmann: Der ehemalige FDP-Innenminister in Nordrhein-Westfalen, Burkhard Hirsch, war das hier im Deutschlandfunk. Herr Hirsch, danke Ihnen für das Gespräch!
    Hirsch: Vielen Dank! Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.