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"Wir müssen uns wieder viel mehr um die bürgerliche Mitte kümmern"

Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass die FDP sich nur um Reiche, große Unternehmen und Banken kümmere, sagt Partei-Vize Wolfgang Kubicki im Deutschlandfunk. Stattdessen müssten Freiheitsrechte und ökonomische Vernunft stärker im Mittelpunkt stehen.

Wolfgang Kubicki im Gespräch mit Silvia Engels | 06.01.2014
    Silvia Engels: Seit Jahrzehnten trifft sich die FDP immer am 6. Januar, dem Dreikönigstag, im Südwesten der Republik, um sich auf sich selbst und auf die eigene Politiklinie zu besinnen. Doch in diesem Jahr ist alles etwas anders, schließlich hat sich die Partei nach dem historischen Scheitern an der Fünfprozenthürde nach der letzten Bundestagswahl in zentralen Positionen umbesetzt. Mit Spannung wird folglich in Stuttgart auch die Rede des neuen Vorsitzenden und Hoffnungsträgers Christian Lindner erwartet.
    Am Telefon ist Wolfgang Kubicki, Fraktionschef der FDP in Schleswig-Holstein und seit einigen Wochen stellvertretender Vorsitzender der Bundes-FDP. Guten Morgen, Herr Kubicki!
    Wolfgang Kubicki: Guten Morgen, Frau Engels!
    Engels: Spüren Sie auch, dass die FDP als außerparlamentarische Opposition nun eine Liga tiefer spielt?
    Kubicki: Ich spüre das selbstverständlich, denn ich bin seit 43 Jahren Mitglied der FDP und konnte mir nie vorstellen, dass wir nicht mehr im Deutschen Bundestag vertreten sind. Aber die Situation ist, wie sie ist, wir haben keine andere, wir müssen damit fertig werden. Und ich finde, dass wir mit dem Bundesparteitag Anfang Dezember auch der Öffentlichkeit gezeigt haben, dass wir verstanden haben, dass die Wählerinnen und Wähler die FDP der letzten vier Jahre mit ihrer öffentlichen Erscheinung nicht mehr wollten. Deswegen haben wir eine komplett neue Führung der Partei gewählt und Christian Lindner wird heute auch andere Akzente setzen als in den Reden der Vergangenheit.
    "Seit der Bundestagswahl mehr als 2.000 Mitglieder neu hinzugewonnen"
    Engels: Sie sind Teil dieser neuen Führung. Früher waren Sie ja eher als Kritiker früherer Parteivorsitzender bekannt, nun werben Sie mit Parolen wie "Die FDP lebt noch!" Wie fühlt sich die neue Rolle für Sie an?
    Kubicki: Na ja, ich werde meine Stimme nach wie vor erheben, wenn ich glaube, dass in der Partei etwas falsch läuft. Aber uns allen ist klar, wir gewinnen nur noch gemeinsam und unsere eigene politische Stärke in den Ländern, in den Kommunen wird davon abhängen, dass die FDP insgesamt erfolgreich ist. Daran arbeiten wir und es gibt ja ermutigende Signale. Ich bin nach dem gestrigen Abend auch noch optimistischer, als ich es vorher war, die Partei lebt wirklich, in ihr steckt unheimlich viel Kampfkraft und Aufbruchstimmung. Wir haben seit der Bundestagswahl mehr als 2.000 Mitglieder neu hinzugewonnen und wir sind bei den Meinungsumfragen wieder bei fünf Prozent. Und wenn ich den Beitrag Ihrer Kollegin mal kommentieren darf, wir haben weder Furcht noch Angst noch Sorge, was die AfD angeht. Allein die Tatsache, dass sich diese Gruppierung in Abgrenzung zur FDP definiert, deutet darauf hin, dass sie nur eine Eintagsfliege sein wird.
    Engels: Was muss Christian Lindner vermeiden, um nicht die Fehler seiner Vorgänger zu wiederholen?
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Christian Lindner ist neuer FDP-Parteichef (picture alliance / dpa/ Stephanie Pilick)
    Kubicki: Er muss in seinem Auftreten aufpassen, dass nicht das Gefühl entsteht, wir kümmern uns, arrogant wie wir sind, nur um die Interessen von Reichen und Besserverdienenden, Apothekern, Ärzten und Architekten und großen Unternehmen und großen Banken. Wir müssen deutlich machen - das wird er heute auch tun, wie er es schon begonnen hat auf dem Bundesparteitag –, dass Freiheit kein abstrakter Begriff ist, sondern die Lebenswirklichkeit von Hunderttausenden und Millionen Menschen beschreibt, die ihr Leben selbst gestalten wollen, die nicht wollen, dass andere ihnen hineinreden, und die möglichst unabhängig ihr Leben organisieren wollen.
    Engels: Herr Kubicki, Sie haben es angesprochen, in einigen Umfragen hat die FDP seit Jahresbeginn wieder etwas zugelegt. Profitieren Sie da nicht einfach vom Krach von Ihrer Konkurrenzpartei, der AfD?
    Kubicki: Die AfD ist keine Konkurrenzpartei, ich verstehe nicht, warum das immer so dokumentiert wird. Wir haben deutlich mehr Wählerinnen und Wähler an die SPD und die Grünen verloren, wir haben …
    "Es fehlt eine Kraft der ökonomischen Vernunft"
    Engels: Aber immerhin auch an die AfD!
    Kubicki: Ja, aber 400.000 Wähler an die AfD und über zwei Millionen Wähler an die CDU/CSU verloren. Es wäre völlig falsch, sich um diese 400.000 Wähler zu kümmern, die bei der AfD gelandet sind, wir müssen uns viel mehr um die bürgerliche Mitte wieder kümmern, um die Unternehmer, die Selbstständigen, die Handwerker, die jeden Tag das erwirtschaften müssen, was andere verteilen. Und wenn wir uns anschauen, was die Große Koalition gegenwärtig macht, ist es doch ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet die CSU – das kann man nur mit bayrischer Höhenluft erklären – nun die Energiewende auf Pump finanzieren will. Das heißt, Subventionen sollen durch Kredite finanziert werden, die einfache Menschen bezahlen müssen, statt an die Subventionen heranzugehen. Es zeigt, es fehlt eine Kraft der ökonomischen Vernunft, und diese Kraft ist die FDP und das wird auch so bleiben.
    Engels: Sie wollen sich also an der CSU abarbeiten. Ich komme trotzdem noch mal auf die AfD zu sprechen, denn diese fehlenden 400.000 Wähler, die vielleicht zur AfD abgewandert sind, haben vielleicht letztlich den Einzug in den Bundestag verhindert. Der neue Parteichef Lindner will ja seinen Euro-freundlichen FDP-Kurs fortsetzen, gleichzeitig aber die Euro-Kritiker wie Frank Schäffler in den eigenen Reihen halten. Wie soll das gut gehen?
    Kubicki: Die FDP ist eine Partei der Meinungsfreiheit. Wir haben ein breites Spektrum und darauf bin ich auch stolz. Selbstverständlich muss es auch Persönlichkeiten geben wie Frank Schäffler, die immer wieder darauf hinweisen, dass europäische Verträge eingehalten werden müssen und nicht ausgehöhlt werden dürfen. Das ändert aber nichts daran, dass die FDP nach wie vor eine Europa-Partei ist und dass wir wissen, auch aus ökonomischer Vernunft, dass ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone für uns wirtschaftlich katastrophal wäre und eine Renationalisierung zu nichts anderem führen würde als zu neuem Streit innerhalb Europas mit fatalen Konsequenzen für Deutschland. Wir müssen doch auch aus unserer Geschichte lernen!
    Aber noch einmal: Die AfD ist nicht die Größe, mit der wir uns beschäftigen müssen. Das ist eine rechtspopulistische Organisation und Herr Lucke hat ein Gespür dafür gehabt, wie man mit Stimmungen möglicherweise auch Wählerinnen und Wähler begeistern kann. Unsere Wählerinnen und Wähler haben uns verlassen in Richtung CDU/CSU und in Richtung SPD und Grüne in einer übergroßen Mehrzahl und es geht darum, die zurückzugewinnen mit wirtschaftlicher Vernunft auf der einen Seite und dem Bewahren von Privatheit, Bürgerrechten und eigener Lebensgestaltung auf der anderen Seite. Deshalb sage ich noch einmal: Ich bin so froh, dass Heiko Maas nun erkannt hat, dass es keinen Sinn macht, eine Vorratsdatenspeicherung einzuführen, bevor der Europäische Gerichtshof entschieden hat. Das ist die Fortsetzung einer liberalen Politik, die Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in der letzten Koalition auch schon vorgenommen hat.
    "Wir haben keine Armutsmigration"
    Engels: Dann schauen wir noch mal etwas voraus auf die Themen des bevorstehenden Europawahlkampfes für die FDP. Mit Alexander Graf Lambsdorff soll ja hier der Spitzenkandidat ausgerufen werden, dessen Nachname ist ja schon mit einem neoliberalen Wirtschaftsmodell verbunden. Bedeutet das auch symbolisch ein Zurück der FDP zu Altbekanntem?
    Kubicki: Wir sollten aus Namen nichts schließen und vor allen Dingen keine Sippenhaft ausrufen! Unser Freund Graf Lambsdorff, der wahrscheinlich Spitzenkandidat zur Europawahl werden wird - das entscheidet sich am 19. Januar - ist ein wirklicher Europäer, der begriffen hat, dass Grundfreiheiten innerhalb Europas wie Freizügigkeit, wie freie Arbeitsplatzwahl, wie die Möglichkeit, frei zu reisen, sich überall niederzulassen, jedes Mal verteidigt werden müssen, weil es Kräfte innerhalb Europas gibt in Großbritannien, in Frankreich mit Le Pen, in Holland, die diese europäische Einigung nicht wollen. Wir wissen aber, dass Deutschland seinen Wohlstand nur halten kann und nur bestehen kann in der Welt, wenn wir die Integration Europas vorantreiben, wenn wir innerhalb Europas unsere Position dokumentieren und mit Europa gemeinsam auf den globalen Märkten spielen und garantieren - und das geht auch nur europaweit -, dass niemand unsere Schlafzimmer ausspionieren kann.
    Nur Europa kann insgesamt technisch so aufrüsten, dass wir es mit den Amerikanern und Chinesen aufnehmen können, und das wird das Problem der Zukunft sein. Nur Europa kann gewährleisten, dass die unterschiedlichen Bedingungen auf den Arbeitsmärkten - die haben Fachkräftemangel in Griechenland, Spanien, in Italien gibt es Menschen, die keine Arbeit finden, obwohl sie gut ausgebildet sind -, dass das ausgeglichen werden kann. Und das ist hier Aufgabe der Zukunft. Ich glaube aber, Frau Engels, dass der Wahlkampf im Mai mehr von innenpolitischen Themen bestimmt sein wird als von europapolitischen Themen, beispielsweise von der Frage: Macht es überhaupt Sinn, dass Deutschland alleine versucht, eine Energiewende zu stemmen, wenn die anderen europäischen Länder nicht mitmachen?
    Engels: Derzeit sieht es so aus in der Tat, dass Innenpolitik dort eine große Rolle spielen wird beim Europawahlkampf, aber gerade unter dem Kennzeichen Armutsmigration. Sie haben es eben angedeutet. Wenn ich Sie recht verstehe, sieht da die FDP sich eher aufseiten der Positionen, die SPD und auch Grüne vertreten. Wie soll denn da eine Abgrenzung gelingen?
    Kubicki: Zunächst einmal haben wir eigene Positionen, wir definieren uns nicht in Abgrenzung oder Zustimmung zu anderen Parteien, sondern wir formulieren unsere eigenen Vorstellungen. Und wenn andere entsprechende Überlegungen haben, ist das in Ordnung, finde ich das gut, lobe ich das auch, weil, Vernunft ist das, was sich durchsetzen muss, und nicht Emotionen, die im Zweifel zu falschen Schlüssen führen. Aber wir haben keine Armutsmigration, es kann auch nicht vorkommen. Die Rechtslage ist bereits so, dass niemand in unsere Sozialsysteme einfach einwandern kann.
    Aber wir haben einen Fachkräftemangel in vielen Bereichen, in Pflegeberufen, bei Ärzten, bei Facharbeitern. Und es ist doch wunderbar, wenn wir europäische Länder haben, bei denen gut ausgebildete junge Menschen das Gefühl haben, es lohnt sich für sie, dass sie innerhalb Europas, innerhalb des gleichen Hauses vom Dachgeschoss ins Erdgeschoss umziehen und von Rumänien, Bulgarien, aus Italien, Spanien nach Deutschland kommen, um hier ihr Geld zu verdienen und uns dabei zu helfen, unseren Wohlstand zu halten. Das ist doch der Sinn der europäischen Idee und ich freue mich darüber, dass immer mehr Menschen begreifen, dass dies sinnvoll ist. Übrigens auch eine Menge Deutsche, die woanders hingehen und dort ihren Lebensunterhalt verdienen und dort dazu beitragen, dass der Wohlstand in Europa insgesamt wächst.
    "Eine vollkommen andere und eine vollkommen neue Führung"
    Engels: Schauen wir zum Schluss noch einmal auf die Bühne heute in Stuttgart! Die ist personell ganz anders besetzt als vor einem Jahr. Freut Sie das?
    Kubicki: Sie ist in gleicher Weise besetzt, es halten die Reden der Fraktionsvorsitzende der baden-württembergischen FDP, der Landesvorsitzende, der Bundesvorsitzende der FDP und die Generalsekretärin der FDP.
    Engels: Aber andere Namen.
    Kubicki: Ja, es muss ja Konsequenzen geben aus der Wahlniederlage vom 22. September letzten Jahres. Und diese Konsequenzen hat die Partei insgesamt auf ihrem Bundesparteitag gezogen, es ist eine vollkommen andere und eine vollkommen neue Führung. Und selbstverständlich wird diese neue Führung sich auf diesem Dreikönigstreffen präsentieren. Und ich finde, man kann auch akzeptieren, dass seit der Bundestagswahl die FDP in Meinungsumfragen auch wieder zulegt, und das wird sich verstetigen, dieser Trend, das werden Sie sehen in den nächsten Wochen und Monaten.
    Engels: Wolfgang Kubicki, Fraktionschef der FDP in Schleswig-Holstein und seit einigen Wochen stellvertretender Vorsitzender der FDP im Bund. Vielen Dank für das Gespräch!
    Kubicki: Vielen Dank an Sie, Frau Engels!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.