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Ferber befürchtet Stillstand unter tschechischer EU-Ratspräsidentschaft

Der CSU-Europa-Abgeordnete Markus Ferber befürchtet nach der bevorstehenden Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Tschechien einen politischen Stillstand. Der Staatengemeinschaft stehe ein verlorenes halbes Jahr bevor, sagte Ferber. Wegen der angespannten innenpolitischen Situation werde Tschechien kaum in der Lage sein, die EU zu führen. Das Problem liege darin, dass die tschechische Regierungspartei ODS antieuropäisch eingestellt sei und Staatspräsident Klaus den Integrationsprozess der EU für einen Fehler halte.

Markus Ferber im Gespräch mit Christian Schütte |
    Christian Schütte: Ebenfalls am Telefon der Europapolitiker der CSU, Markus Ferber. Guten Morgen!

    Markus Ferber: Guten Morgen, Herr Schütte.

    Schütte: Was Sie gerade vom tschechischen Schulminister gehört haben, beruhigt das eventuelle Zweifel?

    Ferber: Nein, überhaupt nicht, weil es ein sehr optimistischer Ausblick ist, der nicht ganz mit den Fakten belegbar ist. Die ODS macht zurzeit eine große Krise durch, nach den verlorenen Regional- und Kommunalwahlen. Die ODS hat sich immer als antieuropäische und populistische Europapartei definiert. Sie ist über die Koalition mit den Christdemokraten und mit den Grünen gezwungen, etwas europafreundlicher zu sein, aber im Grunde genommen ist sie in ihrer Spitze eine Anti-Europa-Partei und das wird auch in der Präsidentschaft eine entscheidende Rolle spielen.

    Schütte: Das heißt, der EU steht ein verlorenes halbes Jahr bevor?

    Ferber: Ja und es ist ein wichtiges Jahr für die Europäische Union. Wir müssen ja im Zusammenhang mit den Finanzmarktkrisen oder der großen Finanzmarktkrise europäische Antworten finden. Die Gesetzgebung dazu wird im ersten Halbjahr 2009 stattfinden. Die Vorschläge der Kommission kommen ja jetzt erst langsam auf den Tisch. Wir haben die Vorbereitung der neuen Kommission, die vorbereitet werden muss. Da muss die tschechische Ratspräsidentschaft organisatorische Fragen klären: Wie viele Kommissare gibt es überhaupt? Wie wird hier der Zeitplan festgelegt werden? Die Entscheidungen werden dann in der schwedischen Präsidentschaft fallen, aber die ganze Vorbereitung müssen die Tschechen tun. Und wir erwarten natürlich sehnsüchtig, dass die Tschechen auch den Lissabon-Vertrag ratifizieren. Es kann nicht sein, dass ein Ministerpräsident, Herr Topolanek, den Vertrag unterzeichnet, ihn mit nach Hause nimmt und ihn sofort dem Verfassungsgericht vorlegt mit der Bitte um Prüfung, und da liegt er heute noch. Also hier grüßt wieder mal der Herr Schwejk, wie wir das aus der Geschichte, aus der Literatur kennen, aber das ist nicht politisches Handeln.

    Schütte: Nun wird auch in Deutschland der Lissabon-Vertrag ja erst noch gerichtlich geprüft. Aber noch etwas anderes, Herr Ferber. Was ist die Konsequenz daraus? Heißt das, kleine Staaten dürfen in der EU keine Ratspräsidentschaft mehr übernehmen?

    Ferber: Nur mal vorne weg: Wir haben ratifiziert und jetzt prüft das Verfassungsgericht. In der Tschechischen Republik prüft das Verfassungsgericht, ohne dass sich die Parlamente jemals damit beschäftigt haben. Das ist doch ein kleiner Unterschied. Aber ich glaube nicht, dass es hier um die Frage groß oder klein geht. Es geht hier zunächst mal um die Frage, weiß ein Land überhaupt, was es bedeutet, eine Ratspräsidentschaft inne zu haben. Wir haben bei den Slowenen erlebt, dass auch ein neues Land eine sehr engagierte Ratspräsidentschaft durchführen kann. Wir sind es ja gerade von den Niederländern, von den Luxemburgern gewohnt, sehr engagierte Ratspräsidentschaften zu haben. Aber die innenpolitische Situation in der Tschechischen Republik ist seit Jahren eine so angespannte, dass sie aufgrund dieser innenpolitischen Situation gar nicht die Kraft haben, europäische Fragen zu formulieren, europäische Fragen auch zu einer Beantwortung zu führen und Europa zu führen. Ratspräsidentschaft heißt ja führen auf allen Ebenen.

    Schütte: Im Sinne des Herrn Liska, dem Schulminister, den wir gerade gehört haben, könnte man entgegenhalten, da wird eben Tschechien aufgrund seines schlechten Rufes einfach unterschätzt?

    Ferber: Noch mal: der Schlüssel, um die Tschechische Republik oder tschechische Politik zum jetzigen Zeitpunkt zu verstehen, ist der Präsident, Herr Klaus, und die Rolle der ODS. Wenn Sie beides zusammennehmen, Topolanek als die Marionette von Herrn Klaus, die ODS als eine Partei, die eine junge proeuropäische Wählerschaft hat, aber selber eine antieuropäische Partei ist, und ein Staatspräsident, der die europäische Integration für einen der größten Fehler der Geschichte hält, dann ist das Problem klar beschrieben. Dass es in der Koalition mit KDU-CSL und mit den Grünen auch stabilisierende Faktoren gibt, das ist richtig, aber das sind die Juniorpartner in der Koalition.

    Schütte: Herr Ferber, wie viel hängt in den EU-Entscheidungsprozessen tatsächlich an der Ratspräsidentschaft? Wenn sich alle EU-Staaten einig sind, dann kann es doch vielleicht auch mit einer schwächeren Präsidentschaft seitens Tschechiens klappen.

    Ferber: Ich teile diesen Optimismus nicht, Herr Schütte. Das würde ja bedeuten, dass 27 Außenminister, Agrarminister, Wirtschaftsminister, Finanzminister in ihren Hauptstädten ins Flugzeug steigen, nach Brüssel fliegen und da schon eine Meinung haben. So funktioniert Europa nicht. Wenn Sie sich anschauen, was Frankreich zurzeit für Anstrengungen unternimmt, um immer wieder einstimmige Beschlüsse herbeizuführen, die dringend notwendig sind, wenn Sie sich die Georgien-Krise unter tschechischer Ratspräsidentschaft vorstellen, wenn Sie sich die Herausforderung der Finanzkrise unter tschechischer Ratspräsidentschaft vorstellen, dann wird sehr, sehr schnell klar, dass hier einstimmige Beschlüsse in der Geschwindigkeit nicht herbeizuführen sind, wenn nicht eine Nation, die führen kann, die auch von allen akzeptiert wird, in der Lage ist, diese Führung zu übernehmen.

    Schütte: Herr Ferber, wir haben zu einem früheren Zeitpunkt in dieser Sendung über ein anderes Thema gesprochen, nämlich die mögliche Nachfolge von Horst Seehofer als Landwirtschaftsminister. Da ist auch Ihr Name gefallen. Stehen Sie bereit?

    Ferber: Ich habe das mit großem Interesse verfolgt, dass mein Name da auch genannt wurde.

    Schütte: Aber das überrascht Sie nicht oder?

    Ferber: Ich will nächstes Jahr zum Erfolg der CSU bei den Europawahlen beitragen. Das ist meine Aufgabe und ich glaube, da kann ich einiges dazu leisten.

    Schütte: Das heißt, die Koffer sind noch nicht gepackt für Berlin?

    Ferber: Nein. Die Koffer sind noch für Brüssel gepackt.

    Schütte: Okay. - Markus Ferber, CSU-Abgeordneter im Europaparlament. Ich danke Ihnen für das Gespräch.