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"Fernsehen hat ein Allzeithoch"

Seine Ziele habe er weitgehend erreicht, meint der scheidende ZDF-Intendant Markus Schächter. Angesichts der sich weiter entwickelnden Digitalisierung sei es Zeit, eine neue Mannschaft ans Ruder zu lassen. Entscheidend sei auch, durch digitale Spartensender wie ZDFneo jüngere Zuschauer an die Öffentlich-Rechtlichen zu binden.

Markus Schächter im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Der frühere Chef des Grimme-Instituts, Bernd Gäbler, hat dieser Tage den Job des Intendanten des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) so umschrieben: Der ZDF-Intendant ist ein kleiner König, mindestens so wichtig wie zum Beispiel der Ministerpräsident des Saarlandes. Der amtierende König und Intendant des ZDF, Markus Schächter, er hört heute auf. Zehn Jahre lang steuerte er die Geschicke des Zweiten Deutschen Fernsehens.
    Markus Schächter hat heute seinen letzten Arbeitstag, ihm folgt Thomas Bellut nach als Intendant. Schächter sollte das ZDF modernisieren, zugespitzt gesagt, weg vom Image des alten Fernsehens führen. Ich habe vor der Sendung mit ihm gesprochen; guten Morgen, Herr Schächter.

    Markus Schächter: Guten Morgen!

    Meurer: Letzter Arbeitstag für Sie heute?

    Schächter: Richtig.

    Meurer: Haben Sie schon den Schreibtisch leergeräumt?

    Schächter: Das allerdings. Darauf legten meine Mitarbeiter und mein Nachfolger wert. Das gehört sich so.

    Meurer: Wie fühlt sich das so an, der letzte Tag nach, ich glaube, Sie waren 40 Jahre beim ZDF?

    Schächter: Ja das ist schon ein besonderes Gefühl und die Emotion ist sehr stark – reiche Erfahrung, große Gefühle, bewegte Emphase. Ich habe einem, wie ich das ernst meine, wunderbaren Haus Dankeschön zu sagen heute.

    Meurer: Sie hätten auch noch weitermachen können. Sie sind – ich darf das mal sagen – 62 Jahre alt. Warum machen Sie jetzt schon Schluss?

    Schächter: ... , weil ich glaube, dass es in einem Wahlamt gut ist, nicht bis zum letzten Tag, bis man vielleicht weggebeten wird, die Sache zu bestimmen. Ich habe, als ich gewählt wurde, Ziele aufgestellt, die Ziele sind weitestgehend erreicht, ein Haken dran, und in der Phase, in der wir Medien uns befinden, in der Digitalisierungsphase II, wo sich die Welt noch mal schneller dreht, halte ich es für gut, dass jetzt eine neue Mannschaft mit neuen Zielen, mit einem neuen Team an die Sache herangeht. Das tut der publizistischen Vorstellung gut, das tut dem Haus gut und das tut auch mir gut.

    Meurer: Tut es Ihnen auch deswegen gut, weil vielleicht der Ärger noch nachwirkt von den ganzen Wirren um Nikolaus Brender, den Sie nicht als Chefredakteur in der Verlängerung durchsetzen konnten? Die Politik und Roland Koch hatten das verhindert.

    Schächter: Das war schon ein gewaltiger Ärger, aber das wäre jetzt zu weit gegriffen. Das liegt drei Jahre zurück und in der Zwischenzeit – im Übrigen eine Woche, nachdem dies mir nicht gelungen war, Nikolaus Brender durchzusetzen -, eine Woche danach haben wir einen neuen Chefredakteur, Peter Frey, der mit großem Elan, mit einer intellektuell bedeutsamen Dynamik das Haus vorantreibt, und wir sind auf einem guten Weg. Wir sind zum Beispiel in der Zeit, die zählt – das ist der Abend, wo Fernsehen selektiv gesehen wird, wo man auch bewusst einschaltet, wo auch die meisten Menschen einschalten -, in einem Hoch über die letzten zehn Jahre, in einem Jahrzehnthoch. Das will belegen, dass wir auf einer guten Spur sind.

    Meurer: Günther Jauch hat ja mal die Mitglieder der Gremien als Gremlins bezeichnet. Das bezog sich auf die ARD.

    Schächter: Das bezog sich auf die Sache, als er abgelehnt wurde. Das hat etwas sehr Subjektives.

    Meurer: Wie war denn Ihre subjektive Erfahrung mit den Gremlins in den ganzen Jahren?

    Schächter: Ich habe natürlich mit dieser Ausnahme und von dieser Ausnahme abgesehen ein außerordentlich konstruktives Verhältnis zum Fernsehrat, zu den 77 Mitgliedern, zu seinem Vorsitzenden Ruprecht Polenz. Das sind Leute, die ja eine Doppelfunktion haben: Sie sind als Vertreter ihrer Organisation gesandt und müssen dann an der Garderobe des Hauses gewissermaßen ihren Mantel des Interessensvertreters abhängen und das Haus kontrollieren – möglichst unabhängig.

    Meurer: Tun sie das mit dem Mantel abhängen? Hängen die den Mantel ab?

    Schächter: Ich habe eine gute Erfahrung. Ich will gegen alle wohlfeilen Versuche, hier die Gremien als zu poletisiert darzustellen, ich will aus meiner ZDF-Erfahrung deutlich machen, das war eine sehr gute Erfahrung, wir haben sehr konstruktiv miteinander den Weg des ZDF vom Unterhaltungsdampfer in eine Multimediawelt geleistet, das war sehr viel Konstruktives.

    Meurer: Noch kurz zu dieser Sache. Würden Sie sagen, dieser Wirbel um Nikolaus Brender, hat das dem journalistischen Renommee des ZDF geschadet?

    Schächter: Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, im Moment sind wir mit unseren wichtigen Sendungen durchaus auf einer guten Linie. Zum Beispiel unser "Heute-Journal" als ein Flaggschiff unserer journalistischen täglichen Möglichkeit, uns zu zeigen, das "Heute-Journal" ist das einzige Nachrichtenformat, das im Moment Zuschauer mehr findet als im letzten Jahr. Wir müssen uns nirgends verbergen, das ZDF ist der Sender mit 50 Prozent Anteil an Information, das ist von keinem anderen Sender in Kontinentaleuropa bisher übertroffen.

    Meurer: Aber nicht bei den Jüngeren, Herr Schächter. Die Zuschauer des ZDF sind im Schnitt 61 Jahre alt. Das ist selbst für öffentlich-rechtliche Verhältnisse ziemlich viel. Sie kennen auch die Spötteleien, das ZDF sei ein Kukident-Sender und Pensionärsfernsehen. Ist es das geblieben?

    Schächter: Das ist ein alter Spott von Herrn Thoma, der damals den Unterhaltungsdampfer ZDF als seinen größten Konkurrenten angesehen hat. – Es ist richtig, wir haben erhebliche Probleme mit jüngeren Zuschauern, aber wir sind auch hier auf einem Kurs, der uns weiterbringt. Mit unseren drei Digitalkanälen holen wir jetzt schon weitaus mehr junge Leute wieder zur ZDF-Programmfamilie zurück, als wir im Hauptprogramm verlieren. Im Übrigen: Älter als wir sind sicher auch die dritten Programme. Ihre in der Frage anklingende Exklusivität des ZDF für das Alter ist so nicht ganz richtig.

    Meurer: Gut. – Halten wir trotzdem fest: 61 Jahre ist relativ viel, Sie setzen auf die Spartensender, die digitalen Spartensender wie ZDFneo für die Jüngeren, ZDF Info, ZDF Theater. Machen Sie sich – das werfen Ihnen die Privaten vor – da auf Kosten der Gebührengelder zu breit im Netz mit diesen ganzen Spartenkanälen?

    Schächter: Also was wollen wir jetzt? Wollen wir die jungen Leute ansprechen und die Krokodilstränen der Privaten ernst nehmen, die die Jungen für sich pachten wollen? Nein! Wir haben einen Gesamtauftrag an die Gesellschaft, mit einem einzigen Programm können wir nicht mehr alle Schichten der Gesellschaft erreichen, also versuchen wir, mit einem Komplementärprogramm hier die jüngeren Zuschauer zu erreichen, die wir im Hauptprogramm nicht mehr so ohne Weiteres bekommen, ohne die alten zu versetzen, und das ist der Spagat in der digitalen Welt.

    Meurer: Wird es, Herr Schächter, in zehn Jahren überhaupt noch Fernsehen geben, oder surfen alle nur noch im Internet?

    Schächter: Ich bin sicher, dass es auch in zehn Jahren noch Fernsehen gibt, weil sich zwei Entwicklungen abzeichnen. Erstens: Die Jüngeren gehen durchaus mehr ins Netz, gehen in die zeitsouveräne Nutzung von Fernsehen, also über Mediatheken und so weiter. Aber es bleibt gleichzeitig ein harter Kern der Gesellschaft, der lineares Fernsehen will. Als vor zehn Jahren die digitale Welt begann, haben durchaus namhafte Zeitungen das Totenglöcklein für das klassische Fernsehen geläutet. Was ist das Ergebnis nach zehn Jahren? Fernsehen hat ein Allzeithoch. So viel Zuschauer wie jetzt und so lange wurde Fernsehen noch nie gesehen.

    Meurer: Markus Schächter, noch ZDF-Intendant, heute ist sein letzter Arbeitstag. Herr Schächter, ich wünsche Ihnen alles Gute für den Ruhestand und natürlich erst einmal eine schöne gelungene Abschiedsfeier heute. Alles Gute und auf Wiederhören.

    Schächter: Ich bedanke mich sehr. Danke!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.