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Fernsehfilm "Brüder"
Salafist aus bürgerlichem Elternhaus

Im Fernsehfilm "Brüder" wird Hauptdarsteller Jan Welke, der aus einem liberalen Elternhaus stammt, zum IS-Kämpfer. Es sei ihr wichtig gewesen, zu zeigen, wie sich Männer mit bürgerlichem Hintergrund von gebürtigen Muslimen unterscheiden, die sich dem Salafismus zuwenden, sagte Drehbuchautorin Kristin Derfler im Dlf.

Kristin Derfler im Gespräch mit Fabian Elsäßer |
    Kristin Derfler mit rotem Schal
    Kristlin Derfler schrieb das Drehbuch zum TV-Zweiteiler "Brüder" (imago/ Andre Poling)
    Fabian Elsäßer: Ein starker, sehenswerter Stoff sei das, aber nichts für schwache Nerven, so schreibt ein Kritiker der Deutschen Presseagentur über den Film "Brüder", ein Zweiteiler, der morgen Abend im Ersten zu sehen sein wird. Es ist die Geschichte eines jungen Mannes aus Deutschland, der in die salafistische Szene hineingerät und schließlich in Syrien selbst zum IS-Kämpfer wird. Kristin Derfler hat das Drehbuch geschrieben, zusammen mit Regisseur Züli Aladag und ist jetzt am Telefon. Schönen guten Tag!
    Kristin Derfler: Guten Tag!
    Elsäßer: Frau Derfler, mit der Hauptfigur Jan, den haben wir eben auch schon gehört, gespielt von Edin Hasanovic, wollten Sie, so habe ich gelesen, Klischees über Islamismus und Radikalisierung durchbrechen. Welche?
    Derfler: Da muss man einfach unterscheiden zwischen den sogenannten bio-deutschen Konvertiten und denjenigen, die bereits als Muslime geboren sind und die man mit dem Titel Deutsche mit Migrationshintergrund bezeichnet. Das war mir sehr wichtig, hier also eine Unterscheidung zu machen, dass nämlich Jan Welke, der eigentlich aus einem ganz liberalen, man kann fast sagen bürgerlichen Elternhaus entstammt, sich in dieser Form dem Salafismus in der dschihadistischen Variante zuwendet und dort seine neue Familie findet und sich selbst findet. Das ist doch ein großer Unterschied zu denjenigen, die bereits als Muslime geboren sind.
    Unter anderen Umständen zu den Linksautonomen oder zum NSU
    Elsäßer: Was kann oder was soll "Brüder" zur aktuellen Debatte zu Terrorismus, religiösem Fanatismus und Sicherheitspolitik beitragen, Frau Derfler?
    Derfler: Das ist ja letztendlich eine ganz bestimmte Variante, wie man das fiktional aufbereitet. Und wichtig war mir, einen jungen Mann zu zeigen, der vielleicht unter anderen Umständen auch bei den Linksautonomen oder beim NSU gelandet wäre. Es geht im Grunde genommen um jegliche Form von Radikalisierung, wenn einem jungen Menschen die Mitte innerhalb der Gesellschaft fehlt, also wenn er für sich selbst gar nicht etwas findet, wo er andocken kann, dann besteht die Gefahr, dass er sich in irgendeiner Weise einer Extremität zuwendet, wenn bestimmte Vorbedingungen vorhanden sind.
    Elsäßer: Haben Sie Antworten gefunden auf diese Frage nach Motiven der Radikalisierung?
    Derfler: Jede Radikalisierung verläuft individuell, und die kommt auch in jeder Gesellschaftsschicht vor, das habe ich wirklich im Laufe dieser dreijährigen Beschäftigung mit dem vielschichtigen Thema auch begriffen. Und dann gibt es natürlich bestimmte Grundkonstellationen, die jegliche Art von Radikalisierung befördern. Bei den jungen Männern, das sind oft die fehlende Vaterfigur, oder auch gewisse Lebensläufe ähneln sich. Die sind labil, frustriert, unreif, haben Probleme in der Familie, Drogen- und Alkoholkonsum und auch so eine gewisse Wut oder Abscheu gegenüber einer individualistisch geprägten Welt. Ich glaube, das ist wirklich wichtig zu begreifen. Da geht es immer um Abgrenzung, Aufmerksamkeit, Gruppengefühl und vermeintlich starke Männlichkeitsbilder.
    Nie zuvor gab deutlichere Szenen aus einem IS-Kalifat
    Elsäßer: Ein Kritiker schrieb, noch nie seien Szenen aus dem Kalifat des IS in einem deutschsprachigen Film so deutlich gezeigt worden. Wie weit darf man dabei gehen? Das war sicherlich nicht leicht für Sie?
    Derfler: Nein, das war wirklich nicht leicht. Wir haben natürlich viel auch gemeinsam darüber diskutiert, auch mit der Redaktion haben wir viel darüber gesprochen. Aber wir haben uns dann doch entschlossen, das zu zeigen. Und hierbei habe ich auch gemeinsam mit Züli Aladag mehrere Links, Videos über IS-Deserteure angeschaut, und es war dann klar, dass ich daraus, also aus den Erzählungen dieser IS-Deserteure die Bilder schreiben sollte, und so sind dann die Bilder entstanden.
    Sie zu schreiben, nun ja, das war natürlich alles andere als einfach. Aber sie gehören da rein. Das hat natürlich auch den Hintergrund, dass wir immer wieder über die sogenannten IS-Rückkehrer reden, aber wir relativ wenig darüber wissen. 30 Prozent kommen ja zurück und sind wirklich schwer traumatisiert, 30 Prozent haben sich zusätzlich komplett radikalisiert, und 30 Prozent bewegen sich in so einer sogenannten Grauzone. Bei zehn Prozent weiß man gar nichts. Und das fanden wir halt auch sehr spannend, wobei das auch schon immer so war. Dieses Rätsel Jan – er gibt sich ja eine Agenda der Entführung, der Geiselhaft. Wer ist Jan wirklich, was hat er erlebt, hat er sich vielleicht im letzten Moment doch noch abgewandt? Das sind ja viele Fragen, die im zweiten Teil offen bleiben und verhandelt werden und letztendlich dann auch dieses fulminante Ende einleiten.
    Elsäßer: Sagt Kristin Derfler, eine der Drehbuchautorinnen des Fernsehfilms "Brüder". Beide Teile zeigt das Erste morgen Abend, also Mittwoch, um 20:15 Uhr. Frau Derfler, vielen Dank für das Gespräch!
    Derfler: Sehr gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.