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Finanzexperte: EZB überschreitet die Grenzen ihres Mandats

Die Europäische Zentralbank (EZB) dürfe im Grunde keine Staatsanleihen von Euro-Krisenländern ankaufen, da sie kein Mandat für fiskalpolitische Aktivitäten habe, kritisiert Heribert Dieter, Finanzexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die sei ein Überschreiten ihres Mandats und vermutlich rechtswidrig, so Dieter.

Heribert Dieter im Gespräch mit Christoph Heinemann | 07.09.2012
    Christoph Heinemann: Nach der Entscheidung der Europäischen Zentralbank zum Aufkauf von Staatsanleihen der Euro-Krisenländer gehen die Risikoaufschläge für spanische Staatsanleihen weiter zurück. Das ist gut für Spanien. In Berlin wird der Beschluss unterdessen vielstimmig kommentiert.

    Am Telefon ist Heribert Dieter, Finanzexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag!

    Heribert Dieter: Guten Tag.

    Heinemann: Herr Dieter, darf die EZB unbegrenzt Staatsanleihen aufkaufen?

    Dieter: Im Grunde darf sie das nicht. Sie überschreitet hiermit die Grenzen ihres Mandates. Die EZB hat für Geldwertstabilität zu sorgen, sie hat aber kein Mandat für fiskalpolitische Aktivitäten, die sie gegenwärtig in großem Umfang beginnen möchte. Das ist ein Überschreiten des Mandats und sehr gefährlich.

    Heinemann: Rechtswidrig?

    Dieter: Vermutlich rechtswidrig. Dazu bräuchte es aber einen Kläger, der das vorm Europäischen Gerichtshof klären lässt. Ich vermute, den wird es nicht geben. Insofern wird es bei dieser ungeklärten Situation bleiben. Allerdings ist das aus deutscher Sicht keine befriedigende Entwicklung. Herr Weidmann hat das ja auch deutlich gemacht.

    Die EZB tut etwas, für das man sie nicht beauftragt hat, und wir brauchen nun eine Diskussion über die künftige Rolle der Europäischen Zentralbank. Wenn sie Fiskalpolitik macht, dann muss sie einen Teil ihrer Unabhängigkeit verlieren. Wenn sie unabhängig bleiben will, dann muss sie aufhören, Fiskalpolitik zu betreiben.

    Heinemann: Warum gab es bei der Entscheidung nur eine einzige, nämlich die deutsche Gegenstimme?

    Dieter: Das ist eine sehr gute Frage. Es gab in der Vergangenheit aus anderen europäischen Ländern ebenfalls Kritik an diesem geplanten Programm der EZB. Diese anderen Länder, etwa die Niederlande, Finnland oder auch Österreich, haben sich inzwischen Herrn Draghi angeschlossen. Warum das genau der Fall ist, kann ich nicht beurteilen. Es ist zumindest gefährlich, wenn innerhalb Europas nur noch ein Land darauf pocht, dass die Verträge eingehalten werden, und das war in diesem Falle Deutschland.

    Heinemann: Die Zinsen für zehnjährige spanische Anleihen fallen zurzeit. Gibt der Erfolg der EZB Recht?

    Dieter: Nun, die EZB hat im Vorfeld, wie ich finde, über die Gebühr Panik verbreitet. Es ist richtig, dass die Zinssätze hochgegangen sind. Es ist richtig, dass Italien und Spanien einen größeren Anteil am Bruttoinlandsprodukt für den Zinsdienst aufwenden mussten. Es ist aber keineswegs so, dass dies eine Situation war, die ausgesprochen krisenhaft war. Italien zahlt heute etwa die Hälfte dessen, was sie vor Beginn der Europäischen Währungsunion für den Zinsdienst aufzuwenden hatten.

    Kurzfristig ist das durchaus einmal in Ordnung, dass die Märkte ein Signal senden. Was die EZB getan hat, ist: Sie hat diese Signale des Marktes als unangemessen interpretiert, sie hat sich als weiser als der Markt bezeichnet, und das ist natürlich etwas, was auf Dauer keinen Sinn hat. Man steigt ein in eine Art geldpolitische Planwirtschaft, und dafür wurde die EZB nicht gemacht.

    Heinemann: Was bedeutet diese geldpolitische Planwirtschaft für den Wert des Euro?

    Dieter: Es ist jetzt eine Wette. Wir beginnen eine Wette, dass die EZB in der Lage sein wird, aus diesem Programm wieder auszusteigen. Die EZB selbst sagt ja, wir wollen dieses Programm nicht auf Dauer, sondern wir wollen es nur für diese, von ihr selbst als krisenhaft bezeichnete Situation, und wir werden da wieder aussteigen. Die politische Frage ist: Wird sie das durchhalten, wird sie tatsächlich aus diesem Notprogramm wieder aussteigen können. Und die zweite Frage ist: Wird sie in der Lage sein, den Ländern, die Kredite in Anspruch nehmen beziehungsweise denen die EZB durch Maßnahmen auf dem Sekundärmarkt hilft, wird sie die Auflagen umsetzen können. Wird also Italien tatsächlich das tun, was es tun soll, wenn es Hilfe von der EZB bekommt? Das ist eine schwierige Frage.

    Wir haben hier keine besonders gute Bilanz in der Europäischen Union. Wir haben zwei Fälle, wo es gut funktioniert hat, nämlich Irland und Portugal, wir haben ein Land, wo es überhaupt nicht funktioniert, wo die Auflagen überhaupt nicht umgesetzt werden, das ist Griechenland. Insofern ist völlig unklar, ob diese Auflagenpolitik der Europäischen Zentralbank, so wie es jetzt geplant ist, also Unterstützung nur gegen Auflagen, ob das in der Praxis tatsächlich auch umzusetzen ist.

    Heinemann: Kann die EZB als Schuldner die Ankäufe auch wieder beenden?

    Dieter: Theoretisch ja, aber auch das wäre eine politische Entscheidung, und wie wir jetzt in den letzten Monaten gesehen haben, hat die EZB ein sehr offenes Ohr für die Klagen der Schuldner und sie hat die Geldwertstabilität, die Risiken für die Geldwertstabilität hintangestellt. Es besteht natürlich die Gefahr, dass das bei der nächsten schwierigen Situation, die unweigerlich kommen wird, genau und gleich sein wird. Insofern die Frage: Wird die EZB die Unabhängigkeit haben, da auch wieder auszusteigen? Hier muss man Zweifel haben.

    Heinemann: Rechnen Sie mit Inflation?

    Dieter: Die inflationären Risiken sind deutlich angestiegen. Es wäre allerdings zu früh, heute zu sagen, dass die Inflation schon vor der Haustür steht. Allerdings gehen sämtliche Notenbanken der westlichen Welt große Risiken in diesem Bereich ein, die amerikanische, die britische und natürlich jetzt auch die Europäische Zentralbank. Ob das zu schwerer Inflation führen wird, werden wir in drei, vier, fünf Jahren wissen. Die Risiken sind da, wenn es der EZB nicht gelingt, die expansiven Maßnahmen der Geldpolitik durch entsprechende Gegenmaßnahmen einzufangen.

    Heinemann: Herr Dieter, der Verfassungsrechtler Paul Kirchhof kritisiert in seinem jüngsten Buch, die eigentliche Krise sei der ständige Rechtsbruch. Ist die EU noch eine Rechtsgemeinschaft? Sie sagten selbst eben "rechtswidrig".

    Dieter: Herr Kirchhof hat völlig Recht, wenn er darauf hinweist, dass wir nicht in der Situation wären, in der heutigen Situation, wenn die Verträge auch eingehalten worden wären. Ich bin der Ansicht, dass der Vertrag von Maastricht im Grunde ein gutes Konstrukt ist. Er belässt den Mitgliedsstaaten der Währungsunion ein hohes Maß an Autonomie in ihrer Fiskalpolitik.

    Die Kehrseite ist, dass sie dann auch verantwortlich sind für ein eventuelles Scheitern. Das ist die No-Bailout-Klausel, und die müsste man stärken. Wir müssten zurückkehren zu einem vertragstreuen Europa, und mit den gestern beschlossenen Maßnahmen tun wir das genaue Gegenteil.

    Heinemann: Heribert Dieter, Finanzexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Dieter: Gerne – auf Wiederhören.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.