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Flucht aus Afrika
"Barcelona oder die Hölle"

Cheikh Maba Bengue unterrichtet im Senegal Deutsch. Er berichtete im DLF, dass der Druck auf junge Menschen dort groß sei, genug Geld zum Unterhalt der Familie zu erhalten. Da es im Senegal nicht genug Arbeitsplätze gebe, sähen die Jugendlichen keine Alternative zur Flucht nach Europa - und nähmen dabei den Tod bewusst in Kauf.

Cheikh Maba Bengue im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Afrikanische Flüchtlinge in einer Haftanstalt in Misrata in Libyen.
    Afrikanische Flüchtlinge in einer Haftanstalt in Misrata in Libyen. (Imago / Xinhua)
    Den Jugendlichen sei bewusst, wie gefährlich die Reise nach Europa sei. Aber wenn sie ohne Arbeit und ohne Geld im Land blieben, sei es auch wie ihr Tod, sagte Bengue. Die jungen Menschen hätten ein Motto: "Das heißt: Barcelona oder die Hölle."
    "Die jungen Senegalesen suchen einfach ein besseres Leben, bessere Lebensbedingungen, bessere Bildungsbedingungen", betonte er. Der soziale Druck sei groß, denn der älteste Sohn müsse ab einem bestimmten Zeitpunkt die Unterhaltskosten übernehmen. "Wenn es nicht klappt, dann schämen sie sich", sagte Bengue.
    Behörden schweigen zur Massenflucht
    Der Deutschlehrer erzählte, dass die Behörden und die offizielle Presse kaum über das Thema berichteten. "Das würde als Misserfolg gelten für die Regierung." Die müsse so schließlich zugeben, dass es nicht genug Arbeitsplätze gebe. Wer ins Ausland fliehe, spreche darüber vorher nicht. Die Leute würden es erst erfahren, wenn die Person Europa erreicht habe - oder auf der Reise verunglückt sei.
    Der Staat als größter Arbeitgeber versuche, den jungen Menschen eine Perspektive aufzuzeigen und finanziere beispielsweise Mikrokredite in der Landwirtschaft. Aber: "In die Landwirtschaft zu investieren, bedeutet nicht unbedingt erfolgreich sein", sagte Bengue. Denn die Konkurrenz sei groß - wegen der subventionierten Produkte aus Europa. Er betonte, die jungen Menschen würden im Senegal bleiben, wenn sie genug Geld für ihren Lebensunterhalt verdienten. Um den Flüchtlingsstrom zu stoppen, könnten die europäischen Länder helfen, Arbeitsplätze zu schaffen.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Ihre Lebensumstände zuhause empfinden sie als unerträglich. Sie fliehen vor Gewalt oder wollen der Armut entrinnen, hunderttausende Flüchtlinge aus Afrika, die sich auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer nach Europa machen. Viele kommen dabei ums Leben. Den Regierungen zuhause scheint das gleichgültig zu sein, so der Vorwurf. Darüber habe ich vor dieser Sendung mit Cheikh Maba Bengue sprechen können, der im Senegal unter anderem auch für das deutsche Goethe-Institut arbeitet. Der Senegal ist eine Demokratie, es herrscht kein Krieg, es gibt Armut, aber nichts im Vergleich zu Staaten wie dem Sudan zum Beispiel. Warum machen sich trotzdem jeden Monat hunderte Senegalesen auf den Weg nach Europa? Das habe ich Cheikh Maba Bengue zu Beginn gefragt.
    Cheikh Maba Bengue: Diese Frage wird nicht oft gestellt, weil wie Sie sagen: im Senegal gibt es keine Kriege wie in anderen afrikanischen Ländern. Das bedeutet, die Gründe, die die jungen Senegalesen in Richtung Europa bewegen, sind anders als bei Jugendlichen aus dem Sudan, Kongo und so weiter. Die jungen Senegalesen, die suchen einfach bessere Lebensbedingungen, bessere Bildungsbedingungen. Das sind die einzigen Gründe, warum die jungen Senegalesen sich in Richtung Europa bewegen. Wenn man Senegal gut kennt: Weiß man, der soziale Druck ist sehr groß, weil das ist eine ...
    Barenberg: Was heißt, der soziale Druck ist groß?
    Maba Bengue: Die Jugendlichen haben Angst, bis zu einem bestimmten Alter zu kommen, ohne in der Lage zu sein, sich um ihre Familie zu kümmern. Das heißt, die Familie finanziell zu unterstützen. Das heißt, der Familienchef ist verantwortlich für die Familie bis zu einem bestimmten Alter. Dann übernimmt der älteste Sohn die Unterhaltskosten. Und wenn man es so nicht schafft, dann schämt man sich. Deswegen suchen sie um jeden Preis bessere Möglichkeiten, wenn sie zu diesem Alter gelangen, dass sie in der Lage sind, dann die Familie finanziell zu unterstützen.
    Barenberg: Aber das heißt auch, Herr Bengue, dass es zum einen natürlich junge Menschen sind, wie Sie sagen, aber nicht unbedingt Menschen, die von starker Armut bedroht sind, sondern zum Teil auch Menschen, die eine gute Ausbildung haben?
    Maba Bengue: Genau. Also nicht nur Leute, die stark von der Armut betroffen sind. Es gibt junge Leute, die eine Ausbildung haben, die gut ausgebildet sind, und die sagen einfach, wenn ich hier im Land bleibe, werde ich sowieso keine Arbeitsstelle bekommen. Deswegen gehe ich woanders hin, wo ich die Möglichkeit habe.
    Barenberg: Ist diesen Menschen bewusst, die sich da Monat für Monat auf den Weg machen, welche Gefahren drohen auf dem Weg, bis sie Europa möglicherweise erreichen?
    Maba Bengue: Ja, das wissen sie wohl. Wenn man die Jugendlichen fragt, die sich Richtung Europa begeben, sie sagen, sie haben ein Motto, und dieses Motto heißt, Barcelona oder die Hölle. Sie wissen, dass es gefährlich ist. Es ist vergleichbar, wenn sie auch im Land bleiben ohne Arbeit, ohne Geld. Das ist auch wie der Tod. Deswegen sagen sie sich, ich gehe lieber auf dem Weg nach Europa in den Tod, als arbeitslos im Senegal oder in Afrika.
    Barenberg: Und weil Sie sagen Barcelona, zieht es die Menschen vorwiegend in Richtung Spanien?
    Maba Bengue: Die am meisten besuchten Länder in Europa sind Spanien und Italien. Diese illegale Auswanderung, die geht Richtung Spanien oder Richtung Italien.
    Berichterstattung im Senegal über Flüchtlingsbewegungen
    Barenberg: Nun lesen und hören wir viel über die Menschen, die auf dem Mittelmeer ums Leben kommen. Wir kennen die furchtbaren Bilder von gekenterten Schiffen auf dem Weg, die nicht Europa erreichen. Nun heißt es, die Regierungschefs in Afrika würden schweigen, würden nichts tun und auch nicht darüber sprechen. Ist das auch im Senegal so?
    Maba Bengue: Im Senegal, da hörst Du kaum von den Behörden, was heißt auf offizieller Seite, dass die Behörden darüber sprechen. Das kann man verstehen, weil das würde als Misserfolg für die Regierenden gelten. Und die Regierenden, wenn sie hören, sie haben es nicht geschafft, den Jugendlichen Arbeitsstellen anzubieten, das ist wie ein Misserfolg. Deswegen sprechen sie nicht gern darüber. Die einzigen, die darüber sprechen, ist die Presse, die offizielle Presse, ganz kurz. Sie berichten nicht so weit darüber. Und die private Presse spricht wohl darüber, aber nicht so in einem größeren Umfang. Ich kann wohl verstehen, dass man auf offizieller Seite nicht gern darüber spricht.
    "Behörden sprechen nicht konkret und offen über die Katastrophe der illegalen Auswanderung der jungen Menschen"
    Barenberg: Nicht gern, sagen Sie. Das versteht man ja auch. Trotzdem ist es ja die Aufgabe einer Regierung, sich um die Probleme im Land zu kümmern. Was sagen denn die Menschen dazu, dass das kein Thema ist weitestgehend in der Öffentlichkeit? Was sagen Sie dazu?
    Maba Bengue: Im Allgemeinen ist eine Reise ins Ausland, eine Reise in ein fremdes Land im Senegal Tabu. Wenn jemand eine Reise vorbereitet, es wird nicht in seiner nahen Umgebung gesprochen. Die Leute erfahren es erst, wenn er in Europa ist und wenn er Geld nachhause bringt, oder wenn ein Unglück passiert. Das erfährt man zuerst dann. Aber es wird nicht oft darüber gesprochen. Aber die Behörden, die verstehen, dass es deren Aufgabe ist, zum Beispiel ihren Jugendlichen zu helfen in der Not oder Arbeitsplätze anzubieten, denen ist das bewusst und sie versuchen, Programme zu entwickeln, die den Jugendlichen die Möglichkeit geben, eine Beschäftigung hier vor Ort zu finden. Das machen sie, das entwickeln sie in ihren politischen Programmen, weil sie verstehen, dass es ihre Aufgabe ist. Aber sie sprechen nicht konkret und offen über die Katastrophe der illegalen Auswanderung der jungen Menschen.
    Barenberg: Nun heißt es, wenn es um diese Programme geht, dass es Angebote geben soll an junge Männer, zu bleiben und staatliche Unterstützung dafür anzunehmen, wenn sie beispielsweise etwas in der Landwirtschaft arbeiten wollen. Ist das richtig und glauben Sie, dass das hilfreich sein kann?
    Maba Bengue: Der Staat ist sozusagen der größte Arbeitgeber in Senegal und sie wissen, dass sie es nicht schaffen, alle zufriedenzustellen. Und sie sind auf die Idee gekommen, wenn die Jugendlichen eigene wirtschaftliche Projekte haben, können sie etwa auf Privatbasis eine eigene Existenzgrundlage schaffen. Aber das können sie nicht schaffen, wenn sie keine Unterstützung haben. Deswegen stellt der Staat Finanzierungszuschüsse zur Verfügung, oder Mikrokredite. Ich zum Beispiel, ich bin skeptisch, denn ich weiß, in der Landwirtschaft zu investieren bedeutet nicht unbedingt erfolgreich sein, denn es gibt die Konkurrenz, weil Senegal auch landwirtschaftliche Produkte besonders aus Europa importiert. Und wenn wir wissen, dass diese Produkte in Europa subventioniert werden und das heißt hier im Senegal billiger sind als die lokalen Produkte, dann kann man natürlich skeptisch sein, dass solche Projekte auch irgendwie erfolgreich sein können.
    "Europäischen Länder könnten unseren Ländern helfen, Arbeitsplätze hier zu schaffen"
    Barenberg: Heißt das auch im Umkehrschluss sozusagen, dass Europa viel tun könnte, dass auch Deutschland viel tun könnte, um die Situation im Senegal so zu verbessern, dass die Menschen eine bessere Chance hätten?
    Maba Bengue: Wenn die Jugendlichen sicher wären, hier im eigenen Land Arbeit zu bekommen, womit sie gut verdienen können, womit sie in der Lage wären, für sich selbst zum Beispiel ihren eigenen Lebensunterhalt zu bezahlen und auch für ihre Familie, dann wären sie bereit, hier zu bleiben. Aber wenn hier die Hoffnungslosigkeit so groß ist, wenn sie wissen, dass es hierzulande nichts gibt, dann gibt es nichts anderes, als woanders zu suchen. Das heißt, die europäischen Länder könnten unseren Ländern helfen, Arbeitsplätze hier zu schaffen, oder, wie man sagt, so zu investieren, dass Arbeitsplätze hier geschaffen werden können. Das wäre meiner Meinung nach eine Lösung, oder ein guter Weg zur Lösung.
    Barenberg: Und das wäre es auch, was Sie sich beispielsweise von der Bundesregierung, aber möglicherweise ja auch von anderen europäischen Regierungen wünschen würden, eine solche Politik?
    Maba Bengue: Ja, das denke ich wohl. Ich bin ja Deutschlehrer. Ich unterrichte Jugendliche zwischen 14 bis 20 Jahren und spreche manchmal mit ihnen über die Gefahren illegaler Auswanderung und auch über die Möglichkeiten, die Möglichkeiten, die hier im Lande sind. Und es bedeutet nicht unbedingt Erfolg, in einem europäischen Land zu leben, und man könnte auch hier vor Ort etwas unternehmen. Aber manchmal treffe ich auf Probleme, auf Schwierigkeiten, ihnen zu erklären, wie sie es hier schaffen. Wenn man die Jugendlichen überzeugt, hierzulande zu bleiben, was können sie machen, das ist meistens das Problem.
    "Die Hoffnungslosigkeit ist wichtiger als die Gefahr"
    Barenberg: Und im Moment ist es tatsächlich so, wenn Sie mit den jungen Leuten sprechen, mit den jungen Menschen, dass ihnen die Gefahren bewusst sind, aber dass sie, einige von ihnen diese Gefahren in Kauf nehmen wollen?
    Maba Bengue: Genau. Deswegen sage ich, die Hoffnungslosigkeit ist so groß, dass sie keine Angst mehr vor Gefahren haben. Sie sagen, es ist ihnen egal. Dadurch haben sie ihr eigenes Motto entwickelt. Die Kandidaten für illegale Auswanderung haben sich als Motto dieses "Barcelona oder die Hölle" gegeben. Sie wissen, dass sie in Gefahr sind. Aber die Hoffnungslosigkeit ist wichtiger als die Gefahr.
    Barenberg: Cheikh Maba Bengue, der Gymnasiallehrer aus dem Senegal, hier im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch.
    Maba Bengue: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.