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Flucht aus China
Das Schicksal der Uiguren

Die türkischsprachigen Einwohner in der autonomen Region Xinjiang im Nordwesten Chinas berichten immer wieder von Unterdrückung. Zeugenberichten zufolge werden Uiguren in chinesische Lager gesteckt, dort misshandelt und umerzogen. Einige von ihnen fliehen in die Türkei. Deren Regierung darf die Situation der Uiguren in China nun untersuchen.

Von Gunnar Köhne |
27. April 2018 in Brüssel: Maskierte Person auf einem Protestmarsch für die Schließung der chinesischen Umerziehungslager, in denen Uiguren aus der Autonomen Region Xinjiang festgehalten werden
Protestmarsch für die Schließung der chinesischen Umerziehungslager, in denen Uiguren aus der Autonomen Region Xinjiang festgehalten werden (AFP / Emmanuel Dunand)
Unsicher blickend brüllt der kleine Junge die auswendig gelernten Antworten auf Mandarin in die Kamera. Die Fragen kommen aus dem Hintergrund: Wie alt bist du? Wie heißt dein Vaterland? Wie heißt die Fahne?" Abdurrahman Tohti hält dem Reporter sein Handy mit dem Video entgegen, er selbst will es nicht mehr anschauen. Der Junge auf dem Video ist sein Sohn Abduleziz, 5 Jahre alt, mutmaßlich aufgenommen in einem chinesischen Umerziehungslager.
Siedlung südlich von Kashgar in der chinesischen Provinz Xinjiang am 4.6.2019
Minderheiten in China - Die Lage der Uiguren
Lagerhaft, Zwangsarbeit, Zwangs-sterilisationen: Die Menschen-rechtslage in Chinas Uiguren-Provinz Xinjiang wird immer prekärer. Fragen und Antworten zu einem Konflikt, in den möglicherweise auch internationale Firmen verstrickt sind.
Nur durch Zufall hatte Tohti die Aufnahme in chinesischen sozialen Netzwerken entdeckt – das einzige Lebenszeichen seines Sohnes seit drei Jahren. "Mein Kind befindet sich in meiner Heimat Ost-Turkestan, aber seit Jahren weiß ich nicht wie es ihm geht, ob es überhaupt noch lebt. Und dann entdecke ich den Jungen auf dem Social-Media-Account eines fremden Chinesen. Wie würde es Ihnen dabei gehen?"
"Jeden Tag hängten sie mich an den Armen auf"
Dem 32-jährigen steht die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben. Tohti kam in die Türkei, nachdem er, wie er berichtet, immer wieder verhaftet und misshandelt worden war. Der Vorwurf: Der gläubige Muslim unterstütze militante Gruppen. "Einen Monat lang hielt mich die Polizei in der Hauptstadt der Provinz Ürümqi fest. Jeden Tag hängten sie mich an den Armen auf und stellten meine Füße in Wasser. Im November ist es in Ürümqi ja sehr kalt. Bis heute habe ich in meinen Füßen so gut wie kein Gefühl mehr."
Nachdem seine Frau und seine drei Kinder besuchsweise nach China zurückgekehrt waren, wurden sie festgenommen. Seitdem sitzen sie vermutlich in einem der berüchtigten chinesischen Umerziehungslager der Provinz Xinjiang ein.
Tohti sitzt im Café eines Landsmanns im Istanbuler Stadtteil Zeytinburnu. Zeytinburnu ist geprägt von Einwanderern aus Mittelasien, vor allem aus Ost-Turkestan, Die meisten Uiguren hier haben ein ähnliches Schicksal wie Abdurrahman Tohti; Hidayet Oğuzhan, Vorsitzender des "Kultur-Vereins Ostturkestan", eine Art Dachverband in der Türkei, betont die Dankbarkeit seiner Landsleute für die Solidarität der Türkei.
Seine Enttäuschung über die türkische Chinapolitik ist dennoch unüberhörbar: Ihm zufolge drohe den Uiguren ein kultureller Genozid: "Die Chinesen stellen uns mit ihrer Politik vor die Wahl: Entweder ihr werdet Chinesen oder ihr werdet vernichtet. Natürlich gibt es für jedes Land außenpolitische und wirtschaftliche Rücksichten nehmen. Aber es sollte unverrückbare Werte geben, die auch in der Außenpolitik gelten. Gerade von der Türkei, dem Land, dem wir kulturell und ethnisch so tief verbunden sind, würde ich mir so eine Haltung gegenüber China wünschen."
Die Türkei will eine engere Beziehung zu China
Doch aus Ankara kommen widersprüchliche Äußerungen zum Vorgehen der chinesischen Führung in der Provinz Xinjiang: Während Außenminister Çavuşoğlu Anfang des Jahres noch von "besorgniserregenden Verstößen gegen die Menschenrechte" sprach, hieß es von Staatspräsident Erdogan während eines China-Besuches im Sommer, die Uiguren lebten überwiegend "glücklich" in China. So meldete es zumindest eine chinesische Nachrichtenagentur. Von türkischer Seite wurde dies nicht bestätigt.
Gerne würde die Türkei mehr Handel mit China treiben. Doch nur knapp 2 Prozent aller Exporte des Landes gehen nach China, nach Deutschland gehen dagegen zehn Prozent. Für den Direktor des Zentrums für Asien-Studien in Ankara, Selcuk Çolakoğlu, ist die Wunschliste der Türkei lang, die politischen Hürden aber noch hoch:
"Die Türkei versucht chinesische Investitionen anzulocken, etwa für eine Schnellbahn-Trasse quer durch die Türkei und für den Bau eines Atomkraftwerks. Bloß können die Chinesen dafür kein absolutes politisches Wohlverhalten verlangen. Die Uiguren völlig im Stich zu lassen - das könnte sich aufgrund der engen kulturellen und historischen Beziehungen beider Völker keine türkische Regierung leisten."